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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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zu machen. Er kannte Napoleon's Pläne nicht -- nicht die Stärke der ihm gegen¬
überstehenden Streitkräfte, nicht die Beschaffenheit des Terrains, wo er Angesichts
des Feindes manövriren sollte. Auch, scheinen die ihm ertheilten Befehle ziemlich
confus gewesen zu sein, und der Disposition seines Corps sehlte es an Klarheit
und Bestimmtheit. Nachdem sich Ney bis zwei Uhr früh mit Napoleon besprochen,
eilte er, ohne zu schlafen, nach Gossclies zum Grafen Rente, und ließ dann durch
seinen ersten Adjutanten, Oberst Heymes, die verschiedenen Regimenter mustern,
um wenigstens einige Einsicht in die Zahl und Eigenschaften der Soldaten
und Officiere dieses einen Corps zu gewinnen. Mehr konnte er nicht thun.
Die Truppen waren den ganzen vorherigen Tag bis spät in die Nacht im Gefecht
oder aus dem Marsch gewesen, und mußten daher nothwendiger Weise erst aus¬
ruhen, essen, die Gewehre reinigen, sich wieder mit Munition versehen, und so
weiter -- Beschäftigungen, die recht gut einen halben Tag in Anspruch nehmen
konnten. Außerdem waren zwar Ney jene 46,000 Manu zugewiesen, aber sie
standen noch weit aus einander, und wurden sogar zum Theil seinem Befehle ent¬
zogen. Erlon's Corps vou 24,000 Mann und das 'dritte Cavalleriecorps unter
Kellermann standen noch weit zurück bei Marchienne-an-Pont; Lefevbre Des-
nonetteö war zwar näher, erhielt aber durch Napoleon Befehl, sich dem Nest der
Garde anzuschließen. Rente, der der Nächste war, stand erst vor Gosselies, drei
Stunden von Quatrebras, und uur mit einer Avantgarde hatte Ney bis Frasne
vorauseilen können. Dieselben Verhältnisse, die Napoleon, der doch eben so viel
Gründe zur Beschleunigung hatte, abhielten, bei Ligny Vormittags anzugreifen,
fallen bei Ney eben so schwer in die Wagschale.

In Folge der Entziehung einer Division vou Rente's Corps (Girard), die
Napoleon an sich zog, und des langen Ausbleibens von Kellermann und Erlon
hatte Ney, als er um 2 Uhr seinen Angriff begann, nnr etwa 18,000 Mann zu
verwenden. Zwar standen ihm nnr 8, oder höchstens -10,000 Mann Engländer
entgegen, aber diese waren so zu sagen uur die erste Linie eiuer Armee vou 60
und nöthigenfalls 80,000 Mann, die sich colonnenförmig von Brüssel als Reserve
heranschob. Es war daher gar kein Wunder, daß Ney in den ersten Stunden
keinen erheblichen Eindruck machen konnte; dennoch gewann er Terrain, aber
schon trafen ans der andern Seite Reserven ein, welche das Gleichgewicht mehr
als wiederherstellten. Zwar erschien endlich anch der größte Theil von Keller-
mann'ö schwerer Reiterei ans dem Schlachtfelde, aber auch die Engländer erhielten
immer neue Verstärkungen, so daß ste zuletzt Ney das verlorene Terrain wieder
abnahmen, weil ste nach dem Einrücken der zwei Brigaden englischer Garde ent¬
schieden die Uebermacht erhielten. Erlon's Corps, das wenigstens das Gleich¬
gewicht wieder hätte herstellen können, bewegte sich, bald Befehlen Ney's, bald
Befehlen Napoleon's gehorchend, zwischen Frasne und Ligny hin und her, ohne
in's Gefecht zu kommen. Es geht daraus hervor, daß Ney in Quatrebras alle


zu machen. Er kannte Napoleon's Pläne nicht — nicht die Stärke der ihm gegen¬
überstehenden Streitkräfte, nicht die Beschaffenheit des Terrains, wo er Angesichts
des Feindes manövriren sollte. Auch, scheinen die ihm ertheilten Befehle ziemlich
confus gewesen zu sein, und der Disposition seines Corps sehlte es an Klarheit
und Bestimmtheit. Nachdem sich Ney bis zwei Uhr früh mit Napoleon besprochen,
eilte er, ohne zu schlafen, nach Gossclies zum Grafen Rente, und ließ dann durch
seinen ersten Adjutanten, Oberst Heymes, die verschiedenen Regimenter mustern,
um wenigstens einige Einsicht in die Zahl und Eigenschaften der Soldaten
und Officiere dieses einen Corps zu gewinnen. Mehr konnte er nicht thun.
Die Truppen waren den ganzen vorherigen Tag bis spät in die Nacht im Gefecht
oder aus dem Marsch gewesen, und mußten daher nothwendiger Weise erst aus¬
ruhen, essen, die Gewehre reinigen, sich wieder mit Munition versehen, und so
weiter — Beschäftigungen, die recht gut einen halben Tag in Anspruch nehmen
konnten. Außerdem waren zwar Ney jene 46,000 Manu zugewiesen, aber sie
standen noch weit aus einander, und wurden sogar zum Theil seinem Befehle ent¬
zogen. Erlon's Corps vou 24,000 Mann und das 'dritte Cavalleriecorps unter
Kellermann standen noch weit zurück bei Marchienne-an-Pont; Lefevbre Des-
nonetteö war zwar näher, erhielt aber durch Napoleon Befehl, sich dem Nest der
Garde anzuschließen. Rente, der der Nächste war, stand erst vor Gosselies, drei
Stunden von Quatrebras, und uur mit einer Avantgarde hatte Ney bis Frasne
vorauseilen können. Dieselben Verhältnisse, die Napoleon, der doch eben so viel
Gründe zur Beschleunigung hatte, abhielten, bei Ligny Vormittags anzugreifen,
fallen bei Ney eben so schwer in die Wagschale.

In Folge der Entziehung einer Division vou Rente's Corps (Girard), die
Napoleon an sich zog, und des langen Ausbleibens von Kellermann und Erlon
hatte Ney, als er um 2 Uhr seinen Angriff begann, nnr etwa 18,000 Mann zu
verwenden. Zwar standen ihm nnr 8, oder höchstens -10,000 Mann Engländer
entgegen, aber diese waren so zu sagen uur die erste Linie eiuer Armee vou 60
und nöthigenfalls 80,000 Mann, die sich colonnenförmig von Brüssel als Reserve
heranschob. Es war daher gar kein Wunder, daß Ney in den ersten Stunden
keinen erheblichen Eindruck machen konnte; dennoch gewann er Terrain, aber
schon trafen ans der andern Seite Reserven ein, welche das Gleichgewicht mehr
als wiederherstellten. Zwar erschien endlich anch der größte Theil von Keller-
mann'ö schwerer Reiterei ans dem Schlachtfelde, aber auch die Engländer erhielten
immer neue Verstärkungen, so daß ste zuletzt Ney das verlorene Terrain wieder
abnahmen, weil ste nach dem Einrücken der zwei Brigaden englischer Garde ent¬
schieden die Uebermacht erhielten. Erlon's Corps, das wenigstens das Gleich¬
gewicht wieder hätte herstellen können, bewegte sich, bald Befehlen Ney's, bald
Befehlen Napoleon's gehorchend, zwischen Frasne und Ligny hin und her, ohne
in's Gefecht zu kommen. Es geht daraus hervor, daß Ney in Quatrebras alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/257>, abgerufen am 27.09.2024.