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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Sicherheit nicht vorgeschoben, oder die Flinte nicht verladen, oder das Zündhütchen
nicht "schändlicher Weise" herabgefallen, oder die Brille verloren ist, der Ge¬
wehrriemen nicht "gerade als man zielen will" über dem Lauf liegt, oder der
Schuß nicht nachbrennt, als man das Wild "so herrlich auf dem Korn hatte",
oder der Hase zu weit oder zu schnell läuft, oder wenn tausend andere Oder
und unvorhergesehene Zufälle nicht dazwischen kommen und besonders das Haupt-
Oder -- ihnen keinen Strich durch die Rechnung macht, wenn sie nämlich nicht
effectiv fehlen -- dann schießen sie wol ihr Häschen oder ihre unglückliche Ricke,
die sie in der Eile, "weil sie nicht aus den Büschen heraus wollte", für einen
Bock angesehen haben.

Das nennen sie nachher Jagd.

Die Otterjagd ist vielleicht die einzige, der, in England wenigstens, bis auf
unsre Tage viel Eigenthümliches und Kräftiges geblieben.

Noch halten sich manche Edelleute ihre Otternieuten und verfolgen Tage
lang mit einer, unsren Jägern gewiß unbegreiflichen Mißachtung jeder Feuchtig¬
keit das flüchtige Thier durch Bäche und kleine flache Ströme; ihre Blüthenzeit
ist aber auch vorüber, und wirklich interessante Jagden werden mit jedem Jahre
seltener.

Der Pomp und die Umständlichkeit der alten Jagden gaben an sich schon
dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz, und die Otterjäger hatten nicht allein
ihre verschiedenen Sitten und Gebräuche, sondern auch eine ganz besondere Tracht.
Ihre kurzschößigen Jacken waren grün, mit, Scharlach, ihre Pelzmützen mit Gold¬
bändern besetzt, und mit-Straußenfedern geziert. Stiefeln, ziemlich nach Art
unsrer jetzigen hohen Wasserstiefeln, reichten bis zu ihren Hüften hinauf, und
trugen oben goldene oder silberne Franzen. Ihre Speere zeichneten sich ebenfalls
durch ihre reichen Verzierungen und ihre geschnitzte Arbeit ans, und der Anblick
eines Zuges vollständig ausgerüsteter Otterjäger war zu gleicher Zeit so pitto¬
resk als imposant. Mit der Verringerung der Ottern hat aber auch zu gleicher
Zeit ihre Jagd sich vereinfacht; doch war selbst noch zu Ende des letzten Jahr¬
hunderts die Otterjagd in England eine der betriebensten und volksthümlichsten.
Regelmäßige Ottenneuten wurden gehalten, und die Landleute schienen damals von
ihren Otterspeeren so unzertrennlich, wie jetzt von ihren Spazierstöcken.

Zu eben dieser Zeit war übrigens der Otterspeer einfacher als er jetzt ist,
und er bestand nur aus einer gewöhnlichen, geraden Eschenstange mit einfachen
oder doppelten Harpunen oder Pfeilspitzen. Jetzt hat eine neuere und wol auch
zweckmäßigere Erfindung den gewöhnlichen Widerhaken verdrängt, und die Stahl¬
spitze ist so gearbeitet, daß sie erst dann, wenn sie in den Körper des Thieres "
getrieben ist, zwei Haken ausläßt, die es der verwundeten Otter unmöglich machen,
sich von der tödtlichen Waffe wieder zu befreien.

Ich schildere d. Gr. eine solche Jagd, der ich vor einigen Jahren selbst bei-


Sicherheit nicht vorgeschoben, oder die Flinte nicht verladen, oder das Zündhütchen
nicht „schändlicher Weise" herabgefallen, oder die Brille verloren ist, der Ge¬
wehrriemen nicht „gerade als man zielen will" über dem Lauf liegt, oder der
Schuß nicht nachbrennt, als man das Wild „so herrlich auf dem Korn hatte",
oder der Hase zu weit oder zu schnell läuft, oder wenn tausend andere Oder
und unvorhergesehene Zufälle nicht dazwischen kommen und besonders das Haupt-
Oder — ihnen keinen Strich durch die Rechnung macht, wenn sie nämlich nicht
effectiv fehlen — dann schießen sie wol ihr Häschen oder ihre unglückliche Ricke,
die sie in der Eile, „weil sie nicht aus den Büschen heraus wollte", für einen
Bock angesehen haben.

Das nennen sie nachher Jagd.

Die Otterjagd ist vielleicht die einzige, der, in England wenigstens, bis auf
unsre Tage viel Eigenthümliches und Kräftiges geblieben.

Noch halten sich manche Edelleute ihre Otternieuten und verfolgen Tage
lang mit einer, unsren Jägern gewiß unbegreiflichen Mißachtung jeder Feuchtig¬
keit das flüchtige Thier durch Bäche und kleine flache Ströme; ihre Blüthenzeit
ist aber auch vorüber, und wirklich interessante Jagden werden mit jedem Jahre
seltener.

Der Pomp und die Umständlichkeit der alten Jagden gaben an sich schon
dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz, und die Otterjäger hatten nicht allein
ihre verschiedenen Sitten und Gebräuche, sondern auch eine ganz besondere Tracht.
Ihre kurzschößigen Jacken waren grün, mit, Scharlach, ihre Pelzmützen mit Gold¬
bändern besetzt, und mit-Straußenfedern geziert. Stiefeln, ziemlich nach Art
unsrer jetzigen hohen Wasserstiefeln, reichten bis zu ihren Hüften hinauf, und
trugen oben goldene oder silberne Franzen. Ihre Speere zeichneten sich ebenfalls
durch ihre reichen Verzierungen und ihre geschnitzte Arbeit ans, und der Anblick
eines Zuges vollständig ausgerüsteter Otterjäger war zu gleicher Zeit so pitto¬
resk als imposant. Mit der Verringerung der Ottern hat aber auch zu gleicher
Zeit ihre Jagd sich vereinfacht; doch war selbst noch zu Ende des letzten Jahr¬
hunderts die Otterjagd in England eine der betriebensten und volksthümlichsten.
Regelmäßige Ottenneuten wurden gehalten, und die Landleute schienen damals von
ihren Otterspeeren so unzertrennlich, wie jetzt von ihren Spazierstöcken.

Zu eben dieser Zeit war übrigens der Otterspeer einfacher als er jetzt ist,
und er bestand nur aus einer gewöhnlichen, geraden Eschenstange mit einfachen
oder doppelten Harpunen oder Pfeilspitzen. Jetzt hat eine neuere und wol auch
zweckmäßigere Erfindung den gewöhnlichen Widerhaken verdrängt, und die Stahl¬
spitze ist so gearbeitet, daß sie erst dann, wenn sie in den Körper des Thieres »
getrieben ist, zwei Haken ausläßt, die es der verwundeten Otter unmöglich machen,
sich von der tödtlichen Waffe wieder zu befreien.

Ich schildere d. Gr. eine solche Jagd, der ich vor einigen Jahren selbst bei-


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[0233] Sicherheit nicht vorgeschoben, oder die Flinte nicht verladen, oder das Zündhütchen nicht „schändlicher Weise" herabgefallen, oder die Brille verloren ist, der Ge¬ wehrriemen nicht „gerade als man zielen will" über dem Lauf liegt, oder der Schuß nicht nachbrennt, als man das Wild „so herrlich auf dem Korn hatte", oder der Hase zu weit oder zu schnell läuft, oder wenn tausend andere Oder und unvorhergesehene Zufälle nicht dazwischen kommen und besonders das Haupt- Oder — ihnen keinen Strich durch die Rechnung macht, wenn sie nämlich nicht effectiv fehlen — dann schießen sie wol ihr Häschen oder ihre unglückliche Ricke, die sie in der Eile, „weil sie nicht aus den Büschen heraus wollte", für einen Bock angesehen haben. Das nennen sie nachher Jagd. Die Otterjagd ist vielleicht die einzige, der, in England wenigstens, bis auf unsre Tage viel Eigenthümliches und Kräftiges geblieben. Noch halten sich manche Edelleute ihre Otternieuten und verfolgen Tage lang mit einer, unsren Jägern gewiß unbegreiflichen Mißachtung jeder Feuchtig¬ keit das flüchtige Thier durch Bäche und kleine flache Ströme; ihre Blüthenzeit ist aber auch vorüber, und wirklich interessante Jagden werden mit jedem Jahre seltener. Der Pomp und die Umständlichkeit der alten Jagden gaben an sich schon dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz, und die Otterjäger hatten nicht allein ihre verschiedenen Sitten und Gebräuche, sondern auch eine ganz besondere Tracht. Ihre kurzschößigen Jacken waren grün, mit, Scharlach, ihre Pelzmützen mit Gold¬ bändern besetzt, und mit-Straußenfedern geziert. Stiefeln, ziemlich nach Art unsrer jetzigen hohen Wasserstiefeln, reichten bis zu ihren Hüften hinauf, und trugen oben goldene oder silberne Franzen. Ihre Speere zeichneten sich ebenfalls durch ihre reichen Verzierungen und ihre geschnitzte Arbeit ans, und der Anblick eines Zuges vollständig ausgerüsteter Otterjäger war zu gleicher Zeit so pitto¬ resk als imposant. Mit der Verringerung der Ottern hat aber auch zu gleicher Zeit ihre Jagd sich vereinfacht; doch war selbst noch zu Ende des letzten Jahr¬ hunderts die Otterjagd in England eine der betriebensten und volksthümlichsten. Regelmäßige Ottenneuten wurden gehalten, und die Landleute schienen damals von ihren Otterspeeren so unzertrennlich, wie jetzt von ihren Spazierstöcken. Zu eben dieser Zeit war übrigens der Otterspeer einfacher als er jetzt ist, und er bestand nur aus einer gewöhnlichen, geraden Eschenstange mit einfachen oder doppelten Harpunen oder Pfeilspitzen. Jetzt hat eine neuere und wol auch zweckmäßigere Erfindung den gewöhnlichen Widerhaken verdrängt, und die Stahl¬ spitze ist so gearbeitet, daß sie erst dann, wenn sie in den Körper des Thieres » getrieben ist, zwei Haken ausläßt, die es der verwundeten Otter unmöglich machen, sich von der tödtlichen Waffe wieder zu befreien. Ich schildere d. Gr. eine solche Jagd, der ich vor einigen Jahren selbst bei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/233>, abgerufen am 19.10.2024.