Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kreuzes durch die heilige Irene von Wohlgemut!), dem Lehrer A. Dürer's,
eine byzantinische Madonna, und eine im Chor befindliche Kreuzabnahme, die
einem Schüler Van Dyk's zugeschrieben wird, sind mir erinnerlich. Ueber den
kleinen Altären in dew Seitenschiffen befinden sich Holzschnitzereien von vorzüg¬
licher Feinheit; die Gesichter, die Hände sind mit einer solchen Wahrheit und
mit Beobachtung der kleinsten Züge wiedergegeben, wie man es kaum für möglich
halten sollte, daß es aus diesem Stosse geschehen kann. Ich entsinne mich unter
Anderem des heiligen Conrad und des heiligen Joseph. Den Letztern verdankt
die Lorenzkirche, wie mir erzählt wurde, einer kleine" Bilderstürmerei; der gegen¬
wärtige Seelsorger der Marthakirche, die 1800 der reformirten Confession ein¬
geräumt wurde, entdeckte bei seinem Amtsantritt in dem ihm anvertrauten Gottes¬
hause zu seinem Schrecken den heiligen Joseph. Derselbe wurde sofort hinaus
und auf die Flucht, wenn auch nicht, wie sein Urbild nach Aegypten, sondern
nur bis in die Lorenzikirche getrieben, die ihn gastfreundlich aufnahm. Wenn der
tapfere Hüter der Marthakirche die Seelen seiner Schutzbefohlenen vor allen
Gefahren und Verlockungen des Lebens mit demselben Erfolg bewahrt, wie vor
den Schlingen und Stricken des heiligen Joseph, so kann man ihm und seiner
Gemeinde nur aufrichtig Glück wünschen. Das Einzige, was innerhalb der
Lorenzikirche ihrem sonst streng gothischen Charakter widerspricht, ist ein Denkmal
der Markgräfin Sophie von Brandenburg im Rococo-Geschmack; es rührt aus
dem Jahr 1649 her. Obwol es eine Impietät ist, die Ruhe der Todten zu
stören, so kann man sich des Wunsches nicht erwehren, daß es hinweg¬
geschafft werde.

Die Lorenzkirche steht auf einem mäßig großen Platz und ist von allen
Seiten frei und dem Anblick zugänglich. Sie ist in jeder Beziehung auf das
Vortrefflichste erhalten. So mächtig und bedeutend aber der Eindruck ist, den
sie gewährt, so kann man doch die Wahrnehmung nicht zurückdrängen, daß es
nicht mehr der gothische Styl in seiner höchsten Reinheit und Vollendung ist,
dem man hier gegenübersteht. Es zeigt sich vielmehr einige Schwerfällig¬
keit, und ohne daß die Feinheit der Arbeit erreicht ist, die wir am Thurm des
Straßburger Münsters und am Kölner Dom bewundern, macht sich eine gewisse
Ueberladung fühlbar.

Zunächst der Lorenzkirche steht an architektonischem Werth die des heiligen
Sebald. Sie ist ungefähr von derselben Größe und Höhe und nach einem in
den allgemeinen Umrissen entsprechenden Plane erbaut, obwol sie an Schönheit
und Einheit des Styls die erstere bei weitem nicht erreicht. Da sie bedeutend
älter ist, so findet sich viel Romanisches an ihr; von außen ist sie viel roher und
schmuckloser. Das Schiff ist schwerfällig und gedrückt, und eine Mischung so
verschiedener Baustyle, daß ich mich nicht darin zurechtfinden konnte. Der alte
Küster, der mir als Führer und Cicerone diente, behauptete, daß Kunstverständige


Kreuzes durch die heilige Irene von Wohlgemut!), dem Lehrer A. Dürer's,
eine byzantinische Madonna, und eine im Chor befindliche Kreuzabnahme, die
einem Schüler Van Dyk's zugeschrieben wird, sind mir erinnerlich. Ueber den
kleinen Altären in dew Seitenschiffen befinden sich Holzschnitzereien von vorzüg¬
licher Feinheit; die Gesichter, die Hände sind mit einer solchen Wahrheit und
mit Beobachtung der kleinsten Züge wiedergegeben, wie man es kaum für möglich
halten sollte, daß es aus diesem Stosse geschehen kann. Ich entsinne mich unter
Anderem des heiligen Conrad und des heiligen Joseph. Den Letztern verdankt
die Lorenzkirche, wie mir erzählt wurde, einer kleine» Bilderstürmerei; der gegen¬
wärtige Seelsorger der Marthakirche, die 1800 der reformirten Confession ein¬
geräumt wurde, entdeckte bei seinem Amtsantritt in dem ihm anvertrauten Gottes¬
hause zu seinem Schrecken den heiligen Joseph. Derselbe wurde sofort hinaus
und auf die Flucht, wenn auch nicht, wie sein Urbild nach Aegypten, sondern
nur bis in die Lorenzikirche getrieben, die ihn gastfreundlich aufnahm. Wenn der
tapfere Hüter der Marthakirche die Seelen seiner Schutzbefohlenen vor allen
Gefahren und Verlockungen des Lebens mit demselben Erfolg bewahrt, wie vor
den Schlingen und Stricken des heiligen Joseph, so kann man ihm und seiner
Gemeinde nur aufrichtig Glück wünschen. Das Einzige, was innerhalb der
Lorenzikirche ihrem sonst streng gothischen Charakter widerspricht, ist ein Denkmal
der Markgräfin Sophie von Brandenburg im Rococo-Geschmack; es rührt aus
dem Jahr 1649 her. Obwol es eine Impietät ist, die Ruhe der Todten zu
stören, so kann man sich des Wunsches nicht erwehren, daß es hinweg¬
geschafft werde.

Die Lorenzkirche steht auf einem mäßig großen Platz und ist von allen
Seiten frei und dem Anblick zugänglich. Sie ist in jeder Beziehung auf das
Vortrefflichste erhalten. So mächtig und bedeutend aber der Eindruck ist, den
sie gewährt, so kann man doch die Wahrnehmung nicht zurückdrängen, daß es
nicht mehr der gothische Styl in seiner höchsten Reinheit und Vollendung ist,
dem man hier gegenübersteht. Es zeigt sich vielmehr einige Schwerfällig¬
keit, und ohne daß die Feinheit der Arbeit erreicht ist, die wir am Thurm des
Straßburger Münsters und am Kölner Dom bewundern, macht sich eine gewisse
Ueberladung fühlbar.

Zunächst der Lorenzkirche steht an architektonischem Werth die des heiligen
Sebald. Sie ist ungefähr von derselben Größe und Höhe und nach einem in
den allgemeinen Umrissen entsprechenden Plane erbaut, obwol sie an Schönheit
und Einheit des Styls die erstere bei weitem nicht erreicht. Da sie bedeutend
älter ist, so findet sich viel Romanisches an ihr; von außen ist sie viel roher und
schmuckloser. Das Schiff ist schwerfällig und gedrückt, und eine Mischung so
verschiedener Baustyle, daß ich mich nicht darin zurechtfinden konnte. Der alte
Küster, der mir als Führer und Cicerone diente, behauptete, daß Kunstverständige


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95198"/>
          <p xml:id="ID_571" prev="#ID_570"> Kreuzes durch die heilige Irene von Wohlgemut!), dem Lehrer A. Dürer's,<lb/>
eine byzantinische Madonna, und eine im Chor befindliche Kreuzabnahme, die<lb/>
einem Schüler Van Dyk's zugeschrieben wird, sind mir erinnerlich. Ueber den<lb/>
kleinen Altären in dew Seitenschiffen befinden sich Holzschnitzereien von vorzüg¬<lb/>
licher Feinheit; die Gesichter, die Hände sind mit einer solchen Wahrheit und<lb/>
mit Beobachtung der kleinsten Züge wiedergegeben, wie man es kaum für möglich<lb/>
halten sollte, daß es aus diesem Stosse geschehen kann. Ich entsinne mich unter<lb/>
Anderem des heiligen Conrad und des heiligen Joseph. Den Letztern verdankt<lb/>
die Lorenzkirche, wie mir erzählt wurde, einer kleine» Bilderstürmerei; der gegen¬<lb/>
wärtige Seelsorger der Marthakirche, die 1800 der reformirten Confession ein¬<lb/>
geräumt wurde, entdeckte bei seinem Amtsantritt in dem ihm anvertrauten Gottes¬<lb/>
hause zu seinem Schrecken den heiligen Joseph. Derselbe wurde sofort hinaus<lb/>
und auf die Flucht, wenn auch nicht, wie sein Urbild nach Aegypten, sondern<lb/>
nur bis in die Lorenzikirche getrieben, die ihn gastfreundlich aufnahm. Wenn der<lb/>
tapfere Hüter der Marthakirche die Seelen seiner Schutzbefohlenen vor allen<lb/>
Gefahren und Verlockungen des Lebens mit demselben Erfolg bewahrt, wie vor<lb/>
den Schlingen und Stricken des heiligen Joseph, so kann man ihm und seiner<lb/>
Gemeinde nur aufrichtig Glück wünschen.  Das Einzige, was innerhalb der<lb/>
Lorenzikirche ihrem sonst streng gothischen Charakter widerspricht, ist ein Denkmal<lb/>
der Markgräfin Sophie von Brandenburg im Rococo-Geschmack; es rührt aus<lb/>
dem Jahr 1649 her.  Obwol es eine Impietät ist, die Ruhe der Todten zu<lb/>
stören, so kann man sich des Wunsches nicht erwehren, daß es hinweg¬<lb/>
geschafft werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_572"> Die Lorenzkirche steht auf einem mäßig großen Platz und ist von allen<lb/>
Seiten frei und dem Anblick zugänglich. Sie ist in jeder Beziehung auf das<lb/>
Vortrefflichste erhalten. So mächtig und bedeutend aber der Eindruck ist, den<lb/>
sie gewährt, so kann man doch die Wahrnehmung nicht zurückdrängen, daß es<lb/>
nicht mehr der gothische Styl in seiner höchsten Reinheit und Vollendung ist,<lb/>
dem man hier gegenübersteht. Es zeigt sich vielmehr einige Schwerfällig¬<lb/>
keit, und ohne daß die Feinheit der Arbeit erreicht ist, die wir am Thurm des<lb/>
Straßburger Münsters und am Kölner Dom bewundern, macht sich eine gewisse<lb/>
Ueberladung fühlbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_573" next="#ID_574"> Zunächst der Lorenzkirche steht an architektonischem Werth die des heiligen<lb/>
Sebald. Sie ist ungefähr von derselben Größe und Höhe und nach einem in<lb/>
den allgemeinen Umrissen entsprechenden Plane erbaut, obwol sie an Schönheit<lb/>
und Einheit des Styls die erstere bei weitem nicht erreicht. Da sie bedeutend<lb/>
älter ist, so findet sich viel Romanisches an ihr; von außen ist sie viel roher und<lb/>
schmuckloser. Das Schiff ist schwerfällig und gedrückt, und eine Mischung so<lb/>
verschiedener Baustyle, daß ich mich nicht darin zurechtfinden konnte. Der alte<lb/>
Küster, der mir als Führer und Cicerone diente, behauptete, daß Kunstverständige</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0217] Kreuzes durch die heilige Irene von Wohlgemut!), dem Lehrer A. Dürer's, eine byzantinische Madonna, und eine im Chor befindliche Kreuzabnahme, die einem Schüler Van Dyk's zugeschrieben wird, sind mir erinnerlich. Ueber den kleinen Altären in dew Seitenschiffen befinden sich Holzschnitzereien von vorzüg¬ licher Feinheit; die Gesichter, die Hände sind mit einer solchen Wahrheit und mit Beobachtung der kleinsten Züge wiedergegeben, wie man es kaum für möglich halten sollte, daß es aus diesem Stosse geschehen kann. Ich entsinne mich unter Anderem des heiligen Conrad und des heiligen Joseph. Den Letztern verdankt die Lorenzkirche, wie mir erzählt wurde, einer kleine» Bilderstürmerei; der gegen¬ wärtige Seelsorger der Marthakirche, die 1800 der reformirten Confession ein¬ geräumt wurde, entdeckte bei seinem Amtsantritt in dem ihm anvertrauten Gottes¬ hause zu seinem Schrecken den heiligen Joseph. Derselbe wurde sofort hinaus und auf die Flucht, wenn auch nicht, wie sein Urbild nach Aegypten, sondern nur bis in die Lorenzikirche getrieben, die ihn gastfreundlich aufnahm. Wenn der tapfere Hüter der Marthakirche die Seelen seiner Schutzbefohlenen vor allen Gefahren und Verlockungen des Lebens mit demselben Erfolg bewahrt, wie vor den Schlingen und Stricken des heiligen Joseph, so kann man ihm und seiner Gemeinde nur aufrichtig Glück wünschen. Das Einzige, was innerhalb der Lorenzikirche ihrem sonst streng gothischen Charakter widerspricht, ist ein Denkmal der Markgräfin Sophie von Brandenburg im Rococo-Geschmack; es rührt aus dem Jahr 1649 her. Obwol es eine Impietät ist, die Ruhe der Todten zu stören, so kann man sich des Wunsches nicht erwehren, daß es hinweg¬ geschafft werde. Die Lorenzkirche steht auf einem mäßig großen Platz und ist von allen Seiten frei und dem Anblick zugänglich. Sie ist in jeder Beziehung auf das Vortrefflichste erhalten. So mächtig und bedeutend aber der Eindruck ist, den sie gewährt, so kann man doch die Wahrnehmung nicht zurückdrängen, daß es nicht mehr der gothische Styl in seiner höchsten Reinheit und Vollendung ist, dem man hier gegenübersteht. Es zeigt sich vielmehr einige Schwerfällig¬ keit, und ohne daß die Feinheit der Arbeit erreicht ist, die wir am Thurm des Straßburger Münsters und am Kölner Dom bewundern, macht sich eine gewisse Ueberladung fühlbar. Zunächst der Lorenzkirche steht an architektonischem Werth die des heiligen Sebald. Sie ist ungefähr von derselben Größe und Höhe und nach einem in den allgemeinen Umrissen entsprechenden Plane erbaut, obwol sie an Schönheit und Einheit des Styls die erstere bei weitem nicht erreicht. Da sie bedeutend älter ist, so findet sich viel Romanisches an ihr; von außen ist sie viel roher und schmuckloser. Das Schiff ist schwerfällig und gedrückt, und eine Mischung so verschiedener Baustyle, daß ich mich nicht darin zurechtfinden konnte. Der alte Küster, der mir als Führer und Cicerone diente, behauptete, daß Kunstverständige

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/217
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/217>, abgerufen am 20.10.2024.