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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Zeit, die noch der Herrschaft des romanischen Styls angehörte. Unsre Vor¬
fahren waren Leute, die sparsam mit Zeit und Arbeit umgingen; sie fügten
die alten byzantinischen Kirchen in die großen gothischen Dome ein, die
sie, als der gothische Styl sich Bahn brach, erbauten. Die Lorenzkirche
wurde 1278 begonnen (30 Jahre nach der Grundsteinlegung des Doms
zu Cöln) und 1477 mit Vollendung ihres zweiten Thurms beendigt. Obwol
sie von bedeutenden Dimensionen ist, so war sie doch nicht in so kolossalen
Maßstabe entworfen, daß der noch unfertige Bau, als mit der Reformation der
religiöse Eifer, der die Epoche des Mittelalters belebt hatte, nachließ, von der
Wandelung der Zeiten überholt, und wie bei vielen andere" Kirchen die Arbeit
daran aufgegeben wurde. Die Höhe der Thürme ist etwa 300 Fuß. Sie sind
nicht in der feinen, durchbrochenen Arbeit, wie der Thurm des Straßburger
Münsters und der des Freiburgers, souderu massiv, mit spitzen Dächern, jedoch
mit reichen Verzierungen ausgestattet. Die Front ist besonders schön, sowol das
überaus feine und reiche Portal, als über demselben in einer Höhe von 82 Fuß
die Rose oder der Stern. Die Kirche ist 3l2 Fuß laug, 82 Fuß breit, und hat
drei Schiffe; das Mittelschiff ist'76 Fuß hoch. Sie ist aus einem röthlichen
Sandstein erbaut -- der überhaupt zu fast allen Bauten in Nürnberg verwendet
wurde und noch verwendet wird -- welcher im Laufe der Zeit eine fast schwarz¬
graue Farbe angenommen hat. Da sie inwendig, was sehr zu loben, nicht an¬
gestrichen ist, so giebt diese dunkle Färbung ihren weiten Räumen einen eigen¬
thümlich ehrfurchtgebietenden Zauber. Die Fcnstermalereien am Chor -- sämmtlich
alt -- sind von hohem Werthe; am höchsten wird das Vvlkammer'sche Fenster
geschätzt, den Stammbaum Christi darstellend; aus einem andern sind die
Dürer'schen Apostel nachgebildet. Unter den Kunstwerken der Lorenzkirche nimmt
das Sakramentshäuschen von Adam Kraft gewiß eine der feinsten und kunst¬
reichsten Steinarbeiten, die wir aus dem Mittelalter besitzen, die erste Stelle ein.
Es ist ein 64- Fuß hohes Gebäude, dessen verschiedene Abtheilungen Scenen aus
dem Leben Christi enthalten, während das Ganze von knieenden Figuren, dem
Meister und seinen Gesellen, getragen wird; es wurde im Jahre -1306 aufgestellt
und befindet sich an" der linken Seite des Chors. Altar und Kanzel sind neu
nach Zeichnungen von Heideloff. Dieser Architekt hat sich überhaupt für Her¬
stellung der Bauwerke Nürnbergs, für Ausschmückung seiner Privathäuser und
für die Wiedererweckung des Sinnes der Einwohner für altdeutsche Baukunst die
außerordentlichsten Verdienste erworben. Man stößt aller Orten aus die Beweise
seiner unermüdlichen Thätigkeit. Von der Decke des Chors herabhängend erblickt
man eines der schönsten Schnitzwerke von Veit Stoß, den englischen Gruß.
Obwol die in der Kirche enthaltenen Gemälde keineswegs den Meisterwerken
gleichzustellen sind, die man anderwärts in Nürnberg findet, so ist doch mehreres
schätzenswerthe darunter. Die 1i Heiligen und die Entdeckung des echten


Zeit, die noch der Herrschaft des romanischen Styls angehörte. Unsre Vor¬
fahren waren Leute, die sparsam mit Zeit und Arbeit umgingen; sie fügten
die alten byzantinischen Kirchen in die großen gothischen Dome ein, die
sie, als der gothische Styl sich Bahn brach, erbauten. Die Lorenzkirche
wurde 1278 begonnen (30 Jahre nach der Grundsteinlegung des Doms
zu Cöln) und 1477 mit Vollendung ihres zweiten Thurms beendigt. Obwol
sie von bedeutenden Dimensionen ist, so war sie doch nicht in so kolossalen
Maßstabe entworfen, daß der noch unfertige Bau, als mit der Reformation der
religiöse Eifer, der die Epoche des Mittelalters belebt hatte, nachließ, von der
Wandelung der Zeiten überholt, und wie bei vielen andere» Kirchen die Arbeit
daran aufgegeben wurde. Die Höhe der Thürme ist etwa 300 Fuß. Sie sind
nicht in der feinen, durchbrochenen Arbeit, wie der Thurm des Straßburger
Münsters und der des Freiburgers, souderu massiv, mit spitzen Dächern, jedoch
mit reichen Verzierungen ausgestattet. Die Front ist besonders schön, sowol das
überaus feine und reiche Portal, als über demselben in einer Höhe von 82 Fuß
die Rose oder der Stern. Die Kirche ist 3l2 Fuß laug, 82 Fuß breit, und hat
drei Schiffe; das Mittelschiff ist'76 Fuß hoch. Sie ist aus einem röthlichen
Sandstein erbaut — der überhaupt zu fast allen Bauten in Nürnberg verwendet
wurde und noch verwendet wird — welcher im Laufe der Zeit eine fast schwarz¬
graue Farbe angenommen hat. Da sie inwendig, was sehr zu loben, nicht an¬
gestrichen ist, so giebt diese dunkle Färbung ihren weiten Räumen einen eigen¬
thümlich ehrfurchtgebietenden Zauber. Die Fcnstermalereien am Chor — sämmtlich
alt — sind von hohem Werthe; am höchsten wird das Vvlkammer'sche Fenster
geschätzt, den Stammbaum Christi darstellend; aus einem andern sind die
Dürer'schen Apostel nachgebildet. Unter den Kunstwerken der Lorenzkirche nimmt
das Sakramentshäuschen von Adam Kraft gewiß eine der feinsten und kunst¬
reichsten Steinarbeiten, die wir aus dem Mittelalter besitzen, die erste Stelle ein.
Es ist ein 64- Fuß hohes Gebäude, dessen verschiedene Abtheilungen Scenen aus
dem Leben Christi enthalten, während das Ganze von knieenden Figuren, dem
Meister und seinen Gesellen, getragen wird; es wurde im Jahre -1306 aufgestellt
und befindet sich an" der linken Seite des Chors. Altar und Kanzel sind neu
nach Zeichnungen von Heideloff. Dieser Architekt hat sich überhaupt für Her¬
stellung der Bauwerke Nürnbergs, für Ausschmückung seiner Privathäuser und
für die Wiedererweckung des Sinnes der Einwohner für altdeutsche Baukunst die
außerordentlichsten Verdienste erworben. Man stößt aller Orten aus die Beweise
seiner unermüdlichen Thätigkeit. Von der Decke des Chors herabhängend erblickt
man eines der schönsten Schnitzwerke von Veit Stoß, den englischen Gruß.
Obwol die in der Kirche enthaltenen Gemälde keineswegs den Meisterwerken
gleichzustellen sind, die man anderwärts in Nürnberg findet, so ist doch mehreres
schätzenswerthe darunter. Die 1i Heiligen und die Entdeckung des echten


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[0216] Zeit, die noch der Herrschaft des romanischen Styls angehörte. Unsre Vor¬ fahren waren Leute, die sparsam mit Zeit und Arbeit umgingen; sie fügten die alten byzantinischen Kirchen in die großen gothischen Dome ein, die sie, als der gothische Styl sich Bahn brach, erbauten. Die Lorenzkirche wurde 1278 begonnen (30 Jahre nach der Grundsteinlegung des Doms zu Cöln) und 1477 mit Vollendung ihres zweiten Thurms beendigt. Obwol sie von bedeutenden Dimensionen ist, so war sie doch nicht in so kolossalen Maßstabe entworfen, daß der noch unfertige Bau, als mit der Reformation der religiöse Eifer, der die Epoche des Mittelalters belebt hatte, nachließ, von der Wandelung der Zeiten überholt, und wie bei vielen andere» Kirchen die Arbeit daran aufgegeben wurde. Die Höhe der Thürme ist etwa 300 Fuß. Sie sind nicht in der feinen, durchbrochenen Arbeit, wie der Thurm des Straßburger Münsters und der des Freiburgers, souderu massiv, mit spitzen Dächern, jedoch mit reichen Verzierungen ausgestattet. Die Front ist besonders schön, sowol das überaus feine und reiche Portal, als über demselben in einer Höhe von 82 Fuß die Rose oder der Stern. Die Kirche ist 3l2 Fuß laug, 82 Fuß breit, und hat drei Schiffe; das Mittelschiff ist'76 Fuß hoch. Sie ist aus einem röthlichen Sandstein erbaut — der überhaupt zu fast allen Bauten in Nürnberg verwendet wurde und noch verwendet wird — welcher im Laufe der Zeit eine fast schwarz¬ graue Farbe angenommen hat. Da sie inwendig, was sehr zu loben, nicht an¬ gestrichen ist, so giebt diese dunkle Färbung ihren weiten Räumen einen eigen¬ thümlich ehrfurchtgebietenden Zauber. Die Fcnstermalereien am Chor — sämmtlich alt — sind von hohem Werthe; am höchsten wird das Vvlkammer'sche Fenster geschätzt, den Stammbaum Christi darstellend; aus einem andern sind die Dürer'schen Apostel nachgebildet. Unter den Kunstwerken der Lorenzkirche nimmt das Sakramentshäuschen von Adam Kraft gewiß eine der feinsten und kunst¬ reichsten Steinarbeiten, die wir aus dem Mittelalter besitzen, die erste Stelle ein. Es ist ein 64- Fuß hohes Gebäude, dessen verschiedene Abtheilungen Scenen aus dem Leben Christi enthalten, während das Ganze von knieenden Figuren, dem Meister und seinen Gesellen, getragen wird; es wurde im Jahre -1306 aufgestellt und befindet sich an" der linken Seite des Chors. Altar und Kanzel sind neu nach Zeichnungen von Heideloff. Dieser Architekt hat sich überhaupt für Her¬ stellung der Bauwerke Nürnbergs, für Ausschmückung seiner Privathäuser und für die Wiedererweckung des Sinnes der Einwohner für altdeutsche Baukunst die außerordentlichsten Verdienste erworben. Man stößt aller Orten aus die Beweise seiner unermüdlichen Thätigkeit. Von der Decke des Chors herabhängend erblickt man eines der schönsten Schnitzwerke von Veit Stoß, den englischen Gruß. Obwol die in der Kirche enthaltenen Gemälde keineswegs den Meisterwerken gleichzustellen sind, die man anderwärts in Nürnberg findet, so ist doch mehreres schätzenswerthe darunter. Die 1i Heiligen und die Entdeckung des echten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/216>, abgerufen am 20.10.2024.