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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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zu schicken. Mitten in dieser Ungewißheit befahl eine. Depesche aus England dem
Generalstatthalter, die Expedition nach Aegypten aus der Stelle vorzubereiten,
und gestattete auch ihren sofortigen Abgang, ohne weitere Instructionen von Cal-
cutta abzuwarten, wenn die Umstände es rechtfertigten. Eine Abschrift dieser
Depesche hatte auch der Gouverneur von Madras erhalten, der sie ohne weitere Be¬
merkungen Wellesley überschickte. Dieser erkannte aus der Depesche die Dring¬
lichkeit der Expedition, wußte, daß die unter seinem Befehl zusammengezogenen
Truppen die einzigen dazu verwendbaren seien, und daß man sie anch wirklich zu
diesem Zuge hatte verwenden wollen. Wartete er auf Rückantwort von Calcutta,
so gingen mehrere kostbare Wochen verloren, die Mousonwinde hörten ans, und
die günstigste Jahreszeit war ungenutzt vorübergegangen. Rasch entschlossen und
nur das Beste des Dienstes im Auge nahm Oberst Wellesley die ganze Ver¬
antwortlichkeit auf sich, schiffte sich mit seinen Truppen' ein, und schrieb an seinen
Bruder, er werde in Bombay anlegen, um dort weitere Befehle vorzufinden.
Dort angekommen hatte er die Kränkung, sich von dem Obercommcmdo abberufen,
und dnrch General Baird ersetzt zu sehen. Lord Mornington war gern zu der
Anerkennung bereit, daß sein Bruder ganz im Geiste der Depesche gehandelt habe,
konnte aber im Interesse des Dienstes ein so selbstständiges Auftreten eines bloßen
Obersten nicht ungerügt lassen, zumal er ein so naher Verwandter war. Eine
schon seit längerer Zeit datirende Spannung zwischen General Baird und Wellesley
machte das Verhältniß für Letztern noch unangenehmer, aber trotz dem trat er
willig in die zweite Stelle zurück, obgleich ihm die Rückkehr uach dem lucrativen
und ehrenvollen Posten von Mysore freigestellt war, und versicherte seinem Neben¬
buhler der aufrichtigsten und herzlichsten Mitwirkung. "Du wirst bemerkt haben,"
schrieb er privatim an seinen Bruder Henry, "wie viel mir dieser Entschluß ge¬
kostet hat, aber ich habe nie viel Werth auf den Gemeinsinn eines Mannes gelegt,
der uicht seine Privatansichten und Vortheile opfem kann, wenn es nothwendig
ist." Als er dennoch wegen plötzlicher schwerer Erkrankung die Expedition nicht
mitmachen konnte, überschickte er General Baird mit großer Zuvorkommenheit
eine von ihm ausgearbeitete Denkschrift über den im rothen Meer zu befolgenden
Operationsplan. Die Expedition traf erst am 10. August 1801, drei Monate
nach General Belliard's Capitulation, in Cairo ein; Oberst Wellesley aber kehrte
nach Mysore zurück, um bald einen würdigern und ausgedehntem Schauplatz für
seine Thätigkeit zu finden.

Nach dem Sturze Typpo Said's hatten die Engländer in Ostindien nur noch
einen Feind zu fürchten, die Mahratten, kriegerische Hindustämme an der mala-
barischen Küste, unter der nomineller Autorität des Peischwah, aber in Wirklich¬
keit einer Anzahl sast unabhängiger, mit einander rivalisircnder Häuptlinge ge¬
horchend, unter denen Seindiah in Malwah der bedeutendste war, der eine gut
disciplinirte und wohl mit Artillerie versehene Heeresmacht von 13--20000 Mann,


zu schicken. Mitten in dieser Ungewißheit befahl eine. Depesche aus England dem
Generalstatthalter, die Expedition nach Aegypten aus der Stelle vorzubereiten,
und gestattete auch ihren sofortigen Abgang, ohne weitere Instructionen von Cal-
cutta abzuwarten, wenn die Umstände es rechtfertigten. Eine Abschrift dieser
Depesche hatte auch der Gouverneur von Madras erhalten, der sie ohne weitere Be¬
merkungen Wellesley überschickte. Dieser erkannte aus der Depesche die Dring¬
lichkeit der Expedition, wußte, daß die unter seinem Befehl zusammengezogenen
Truppen die einzigen dazu verwendbaren seien, und daß man sie anch wirklich zu
diesem Zuge hatte verwenden wollen. Wartete er auf Rückantwort von Calcutta,
so gingen mehrere kostbare Wochen verloren, die Mousonwinde hörten ans, und
die günstigste Jahreszeit war ungenutzt vorübergegangen. Rasch entschlossen und
nur das Beste des Dienstes im Auge nahm Oberst Wellesley die ganze Ver¬
antwortlichkeit auf sich, schiffte sich mit seinen Truppen' ein, und schrieb an seinen
Bruder, er werde in Bombay anlegen, um dort weitere Befehle vorzufinden.
Dort angekommen hatte er die Kränkung, sich von dem Obercommcmdo abberufen,
und dnrch General Baird ersetzt zu sehen. Lord Mornington war gern zu der
Anerkennung bereit, daß sein Bruder ganz im Geiste der Depesche gehandelt habe,
konnte aber im Interesse des Dienstes ein so selbstständiges Auftreten eines bloßen
Obersten nicht ungerügt lassen, zumal er ein so naher Verwandter war. Eine
schon seit längerer Zeit datirende Spannung zwischen General Baird und Wellesley
machte das Verhältniß für Letztern noch unangenehmer, aber trotz dem trat er
willig in die zweite Stelle zurück, obgleich ihm die Rückkehr uach dem lucrativen
und ehrenvollen Posten von Mysore freigestellt war, und versicherte seinem Neben¬
buhler der aufrichtigsten und herzlichsten Mitwirkung. „Du wirst bemerkt haben,"
schrieb er privatim an seinen Bruder Henry, „wie viel mir dieser Entschluß ge¬
kostet hat, aber ich habe nie viel Werth auf den Gemeinsinn eines Mannes gelegt,
der uicht seine Privatansichten und Vortheile opfem kann, wenn es nothwendig
ist." Als er dennoch wegen plötzlicher schwerer Erkrankung die Expedition nicht
mitmachen konnte, überschickte er General Baird mit großer Zuvorkommenheit
eine von ihm ausgearbeitete Denkschrift über den im rothen Meer zu befolgenden
Operationsplan. Die Expedition traf erst am 10. August 1801, drei Monate
nach General Belliard's Capitulation, in Cairo ein; Oberst Wellesley aber kehrte
nach Mysore zurück, um bald einen würdigern und ausgedehntem Schauplatz für
seine Thätigkeit zu finden.

Nach dem Sturze Typpo Said's hatten die Engländer in Ostindien nur noch
einen Feind zu fürchten, die Mahratten, kriegerische Hindustämme an der mala-
barischen Küste, unter der nomineller Autorität des Peischwah, aber in Wirklich¬
keit einer Anzahl sast unabhängiger, mit einander rivalisircnder Häuptlinge ge¬
horchend, unter denen Seindiah in Malwah der bedeutendste war, der eine gut
disciplinirte und wohl mit Artillerie versehene Heeresmacht von 13—20000 Mann,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/153>, abgerufen am 21.06.2024.