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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Der tausend mit sieben Broden geletzt,
Gesättigt ein gläubiges Vertrau'":
Er speist mit einem Herzen jetzt
Die Liebe von tausend Frau'n ....
Die Schönheit verwelkt in dem keuschen Serail,
Die Tugend, die ewige reift!
Der Körper wird hier wie ein lästiger Balg
Der Seele abgestreift! :c. ze.

In diesem Ton. der Ironie geht es im Kloster weiter fort. Dazwischen
kommen sehr hübsche Naturbilder, die nur auch durch die Reminiscenzen' der
neuen Dichter zuweilen gestört werden. So hat z. B. einmal Anastasius Grün
den Lenz einen Rebellen genannt, bei Gottschall ist Alles Rebell, der Wind, die
Nachtigall, der Champagner u. s. w. Die neue Manier, Naturgegenstände mit
Gegenständen der Cultur zu vergleichen, wie z. B. Herwegh die Eichen "grüne
Fragezeichen der Freiheit" nennt, wie Alfred de Müsset den Mond über einem
Kirchthurm mit dem Punkt über einem i vergleicht ze., 'ist das umgekehrte Ver¬
fahren der echten Poesie, da sie das Abstractere an Stelle des Concreteren setzt.
In einer Sonutagsschilderuug wird vou der Welt zuerst gesagt, sie liegt auf¬
geschlagen wie ein Gesangbuch da. Das ist an sich ein ganz artiger Einfall, der
aber übermäßig ausgedehnt wird, z. B.:


Der Morgenwind ist der Küster,
Der läutet frisch durch's All,
Er läutet die Wipfel des Waldes,
Er läutet den Wasserfall.

Das ist ein Bild, bei dem sich gar nichts denken laßt. Nachher wird die
Sonne mit dem Prediger auf der Kanzel verglichen. Die Nonnen ziehen in
einer Procession einher:


Sie kommen wie Schwäne am Ufer,
Seltsam einher gestelzt,
Obgleich manch Fcucrrädchen
Sich unter dem Schleier wälzt,
Und manche Korallenlippe
Ist lustig aufgeschürzt,
Als warte sie nur auf den Becher,
Den gern sie herunterstürzt!

Wir wollen davon absehen, daß ein sich wälzendes Auge nicht gerade etwas
Schönes ist, und daß wir uns uuter einer aufgeschürzten Lippe nicht viel denken
können, wir fragen nur: Was hat das Fcucrrädchen mit den Schwänen zu thun?
Worin liegt da ein Gegensatz? Wir fragen ferner, ob man sich anfschürzt, wenn
man trinken will? Die modernen Propheten werden diese Fragen freilich als Pe¬
danterie auslegen, und wir wissen sehr wohl, daß Correctheit der Bilder noch
lange uicht Schönheit ist, aber ohne Correctheit ist an Schönheit nicht zu denken.
-- Nachher werden die Gesichter der Nonnen geschildert:


Grenzboten, IV. ->8!>2. 17
Der tausend mit sieben Broden geletzt,
Gesättigt ein gläubiges Vertrau'»:
Er speist mit einem Herzen jetzt
Die Liebe von tausend Frau'n ....
Die Schönheit verwelkt in dem keuschen Serail,
Die Tugend, die ewige reift!
Der Körper wird hier wie ein lästiger Balg
Der Seele abgestreift! :c. ze.

In diesem Ton. der Ironie geht es im Kloster weiter fort. Dazwischen
kommen sehr hübsche Naturbilder, die nur auch durch die Reminiscenzen' der
neuen Dichter zuweilen gestört werden. So hat z. B. einmal Anastasius Grün
den Lenz einen Rebellen genannt, bei Gottschall ist Alles Rebell, der Wind, die
Nachtigall, der Champagner u. s. w. Die neue Manier, Naturgegenstände mit
Gegenständen der Cultur zu vergleichen, wie z. B. Herwegh die Eichen „grüne
Fragezeichen der Freiheit" nennt, wie Alfred de Müsset den Mond über einem
Kirchthurm mit dem Punkt über einem i vergleicht ze., 'ist das umgekehrte Ver¬
fahren der echten Poesie, da sie das Abstractere an Stelle des Concreteren setzt.
In einer Sonutagsschilderuug wird vou der Welt zuerst gesagt, sie liegt auf¬
geschlagen wie ein Gesangbuch da. Das ist an sich ein ganz artiger Einfall, der
aber übermäßig ausgedehnt wird, z. B.:


Der Morgenwind ist der Küster,
Der läutet frisch durch's All,
Er läutet die Wipfel des Waldes,
Er läutet den Wasserfall.

Das ist ein Bild, bei dem sich gar nichts denken laßt. Nachher wird die
Sonne mit dem Prediger auf der Kanzel verglichen. Die Nonnen ziehen in
einer Procession einher:


Sie kommen wie Schwäne am Ufer,
Seltsam einher gestelzt,
Obgleich manch Fcucrrädchen
Sich unter dem Schleier wälzt,
Und manche Korallenlippe
Ist lustig aufgeschürzt,
Als warte sie nur auf den Becher,
Den gern sie herunterstürzt!

Wir wollen davon absehen, daß ein sich wälzendes Auge nicht gerade etwas
Schönes ist, und daß wir uns uuter einer aufgeschürzten Lippe nicht viel denken
können, wir fragen nur: Was hat das Fcucrrädchen mit den Schwänen zu thun?
Worin liegt da ein Gegensatz? Wir fragen ferner, ob man sich anfschürzt, wenn
man trinken will? Die modernen Propheten werden diese Fragen freilich als Pe¬
danterie auslegen, und wir wissen sehr wohl, daß Correctheit der Bilder noch
lange uicht Schönheit ist, aber ohne Correctheit ist an Schönheit nicht zu denken.
— Nachher werden die Gesichter der Nonnen geschildert:


Grenzboten, IV. ->8!>2. 17
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[0139] Der tausend mit sieben Broden geletzt, Gesättigt ein gläubiges Vertrau'»: Er speist mit einem Herzen jetzt Die Liebe von tausend Frau'n .... Die Schönheit verwelkt in dem keuschen Serail, Die Tugend, die ewige reift! Der Körper wird hier wie ein lästiger Balg Der Seele abgestreift! :c. ze. In diesem Ton. der Ironie geht es im Kloster weiter fort. Dazwischen kommen sehr hübsche Naturbilder, die nur auch durch die Reminiscenzen' der neuen Dichter zuweilen gestört werden. So hat z. B. einmal Anastasius Grün den Lenz einen Rebellen genannt, bei Gottschall ist Alles Rebell, der Wind, die Nachtigall, der Champagner u. s. w. Die neue Manier, Naturgegenstände mit Gegenständen der Cultur zu vergleichen, wie z. B. Herwegh die Eichen „grüne Fragezeichen der Freiheit" nennt, wie Alfred de Müsset den Mond über einem Kirchthurm mit dem Punkt über einem i vergleicht ze., 'ist das umgekehrte Ver¬ fahren der echten Poesie, da sie das Abstractere an Stelle des Concreteren setzt. In einer Sonutagsschilderuug wird vou der Welt zuerst gesagt, sie liegt auf¬ geschlagen wie ein Gesangbuch da. Das ist an sich ein ganz artiger Einfall, der aber übermäßig ausgedehnt wird, z. B.: Der Morgenwind ist der Küster, Der läutet frisch durch's All, Er läutet die Wipfel des Waldes, Er läutet den Wasserfall. Das ist ein Bild, bei dem sich gar nichts denken laßt. Nachher wird die Sonne mit dem Prediger auf der Kanzel verglichen. Die Nonnen ziehen in einer Procession einher: Sie kommen wie Schwäne am Ufer, Seltsam einher gestelzt, Obgleich manch Fcucrrädchen Sich unter dem Schleier wälzt, Und manche Korallenlippe Ist lustig aufgeschürzt, Als warte sie nur auf den Becher, Den gern sie herunterstürzt! Wir wollen davon absehen, daß ein sich wälzendes Auge nicht gerade etwas Schönes ist, und daß wir uns uuter einer aufgeschürzten Lippe nicht viel denken können, wir fragen nur: Was hat das Fcucrrädchen mit den Schwänen zu thun? Worin liegt da ein Gegensatz? Wir fragen ferner, ob man sich anfschürzt, wenn man trinken will? Die modernen Propheten werden diese Fragen freilich als Pe¬ danterie auslegen, und wir wissen sehr wohl, daß Correctheit der Bilder noch lange uicht Schönheit ist, aber ohne Correctheit ist an Schönheit nicht zu denken. — Nachher werden die Gesichter der Nonnen geschildert: Grenzboten, IV. ->8!>2. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/139>, abgerufen am 21.06.2024.