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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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nichts dagegen einwenden; aber ästhetisch betrachtet hat das auch wieder seine
Vortheile, denn selbst der eingefleischteste Berliner Spießbürger ist eine drollige
Figur, über welche man sich eine Weile amüsiren kann, während man bei dem
Spießbürger ehrbarer Städte vor langer Weile stirbt. Gegenwärtig bewegen sie
sich in feierlich ernstem Humor, wie im Jahre i8 in drolliger Begeisterung. Der
Kladderadatsch ist ihr Evangelium und wenigstens für das eigentliche Publicum auch
die einzige Quelle für alle polnischen Nachrichten und Ideen.




Ausgestellte Gemälde in Leipzig.

Die Messe ist diesmal weniger als gewöhnlich mit den Schnurrpfeifereien
ausgerüstet, die sonst das Entzücken der Fremden auszumachen Pflegen, dagegen
bieten sich einige Kunstgenüsse, die man anderwärts nicht leicht wiederfinden
wird. Ueber das Gemälde der Marie Antoinette von Paul Delaroche haben
wir bereits seiner Zeit referirt; es ist jetzt nach langer Wanderung vorläufig in
die Kunstausstellung von Del Vecchio zurückgekehrt. Zugleich aber ist ein anderes
Gemälde ausgestellt, welches an Werth das eben genannte bedeutend überragt,
und welches wohl überhaupt zu den bedeutendsten Kunstwerken der neuen Zeit
gezählt werden muß. Wir meinen das historische Gemälde von Louis Gallait:
"Die große Schützengilde von Brüssel erweist den Grafen Egmont und Horn
die letzte Ehre." Das Werk hat bereits auf den Ausstellungen zu Brüssel und
Paris den glänzendsten Erfolg gehabt und schließt sich in Beziehung auf die Aus¬
führung würdig den beiden früheren größeren Gemälden von Gallait an: "Die
Abdication Karl's V.," und "die letzte" Augenblicke des Grafen Egmont." Ans
der Berliner Kunstausstellung befindet sich in diesem Augenblick gleichfalls ein
größeres Genrebild von Gallait, ein Mnsikanteuknabe mit einer schlafenden
Schwester im Arm, welches vielleicht die größte Zierde der ganzen Ausstellung ist.

Das Gemälde von Delaroche hat man in eine Art Guckkasten gestellt und
durch eine künstlich arrangirte Beleuchtung gehoben; mit Recht, denn bei der
Verwirrung von romantischen Lichteffecten in diesem Bilde müßte man erst mit
vieler Mühe einen Puukt suchen, von welchem aus mau die einzelnen Figuren
sehen und richtig sehen kann. Das Bild von Gallait hat diese künstliche Zu¬
bereitung nicht nöthig; es trägt sein Licht in sich selber und schlägt mit der
ganzen Macht seiner Farben und Gestalten gleichsam dem Zuschauer in's Gesicht.
Der Gegenstand ist folgender.

Die Leichen der beiden enthaupteten Grafen sind im Vordergründe aus¬
gestellt; man sieht nur die Köpfe, die an den Rumpf angenäht sind, der Leib
wird durch eine schwarze Sammetdecke überkleidet; nur die eine Hand des


nichts dagegen einwenden; aber ästhetisch betrachtet hat das auch wieder seine
Vortheile, denn selbst der eingefleischteste Berliner Spießbürger ist eine drollige
Figur, über welche man sich eine Weile amüsiren kann, während man bei dem
Spießbürger ehrbarer Städte vor langer Weile stirbt. Gegenwärtig bewegen sie
sich in feierlich ernstem Humor, wie im Jahre i8 in drolliger Begeisterung. Der
Kladderadatsch ist ihr Evangelium und wenigstens für das eigentliche Publicum auch
die einzige Quelle für alle polnischen Nachrichten und Ideen.




Ausgestellte Gemälde in Leipzig.

Die Messe ist diesmal weniger als gewöhnlich mit den Schnurrpfeifereien
ausgerüstet, die sonst das Entzücken der Fremden auszumachen Pflegen, dagegen
bieten sich einige Kunstgenüsse, die man anderwärts nicht leicht wiederfinden
wird. Ueber das Gemälde der Marie Antoinette von Paul Delaroche haben
wir bereits seiner Zeit referirt; es ist jetzt nach langer Wanderung vorläufig in
die Kunstausstellung von Del Vecchio zurückgekehrt. Zugleich aber ist ein anderes
Gemälde ausgestellt, welches an Werth das eben genannte bedeutend überragt,
und welches wohl überhaupt zu den bedeutendsten Kunstwerken der neuen Zeit
gezählt werden muß. Wir meinen das historische Gemälde von Louis Gallait:
„Die große Schützengilde von Brüssel erweist den Grafen Egmont und Horn
die letzte Ehre." Das Werk hat bereits auf den Ausstellungen zu Brüssel und
Paris den glänzendsten Erfolg gehabt und schließt sich in Beziehung auf die Aus¬
führung würdig den beiden früheren größeren Gemälden von Gallait an: „Die
Abdication Karl's V.," und „die letzte» Augenblicke des Grafen Egmont." Ans
der Berliner Kunstausstellung befindet sich in diesem Augenblick gleichfalls ein
größeres Genrebild von Gallait, ein Mnsikanteuknabe mit einer schlafenden
Schwester im Arm, welches vielleicht die größte Zierde der ganzen Ausstellung ist.

Das Gemälde von Delaroche hat man in eine Art Guckkasten gestellt und
durch eine künstlich arrangirte Beleuchtung gehoben; mit Recht, denn bei der
Verwirrung von romantischen Lichteffecten in diesem Bilde müßte man erst mit
vieler Mühe einen Puukt suchen, von welchem aus mau die einzelnen Figuren
sehen und richtig sehen kann. Das Bild von Gallait hat diese künstliche Zu¬
bereitung nicht nöthig; es trägt sein Licht in sich selber und schlägt mit der
ganzen Macht seiner Farben und Gestalten gleichsam dem Zuschauer in's Gesicht.
Der Gegenstand ist folgender.

Die Leichen der beiden enthaupteten Grafen sind im Vordergründe aus¬
gestellt; man sieht nur die Köpfe, die an den Rumpf angenäht sind, der Leib
wird durch eine schwarze Sammetdecke überkleidet; nur die eine Hand des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/112>, abgerufen am 21.06.2024.