Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.oberhalb des Wasserfalles tobte, seine Natur verändert zu haben, und ergoß sich lust- Der gewöhnliche Punkt für eine nähere Ansicht des Wasserfalls ist eine kleine Es war ein mit grobem Kräuterwerk bewachsenes, von Felsenmassen beschwertes Grenzboten. III. 65
oberhalb des Wasserfalles tobte, seine Natur verändert zu haben, und ergoß sich lust- Der gewöhnliche Punkt für eine nähere Ansicht des Wasserfalls ist eine kleine Es war ein mit grobem Kräuterwerk bewachsenes, von Felsenmassen beschwertes Grenzboten. III. 65
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94966"/> <p xml:id="ID_1546" prev="#ID_1545"> oberhalb des Wasserfalles tobte, seine Natur verändert zu haben, und ergoß sich lust-<lb/> crfüllt über den-Abgrund, nicht sowohl in einer ununterbrochenen Masse, sondern viel¬<lb/> mehr in einzelnen aus einander folgenden weißen Dampfgewinden, die leicht und schwebend<lb/> von dem Gipfel herabstürzten, als Me das Element seine specifische Schwere verloren,<lb/> und aus den dunklen Höhlen unterhalb wieder sich erhebend, in jenen phantastischen Ge¬<lb/> stalten emporstiegen, die ich zu beschreiben versucht habe. Das Herabfallen jeder Welle<lb/> des mächtigen Gießbaches war von einem zischenden Tone begleitet, nach welchem der<lb/> Wasserfall „Njukan" — der dampfende oder schmausende Wasserfall benannt worden ist<lb/> — von dem heiseren Athemzuge des geheimnißvollen Geistes, der, seitdem, es in dieser<lb/> wunderbaren Werkstätte Zeit gegeben hat, mit unermüdlicher Thätigkeit gearbeitet und<lb/> mit unaufhörlichen Schlägen diese aus Dampf und Wasser gemischten Massen herab¬<lb/> stürze» lassen wird, bis jene endliche Katastrophe kommt, wo eine noch stärkere Natur¬<lb/> macht selbst das feste Bauwerk dieser Granitfelsen vernichtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1547"> Der gewöhnliche Punkt für eine nähere Ansicht des Wasserfalls ist eine kleine<lb/> grasige Plattform, die auf dem rechten Ufer ungefähr zwei Drittel über dem Fuße des<lb/> Wasserfalls hervorspringt. Wir erreichten sie, indem wir von dem Pserdcw-g, den wir<lb/> bisher verfolgt hatten, ablenkten und ziemlich eine Stunde lang über bewaldete Klippen<lb/> kletterten. Die Steigung war steil und beschwerlich, die Hitze drückend und ich war<lb/> floh, als ich mich keuchend aus das Gras werfen konnte, das den Abhang bedeckte<lb/> und wo das Auge alle Einzelheiten des herrlichen Schauspiels überblicken konnte, wäh¬<lb/> rend mein jüngerer und kühnerer Gefährte in das Dickig drang und nach dem Fuße<lb/> der Klippen hiuabkletterte. Man hatte uns von einem Wege gesagt, auf welchem man<lb/> nach dem Oberlande gelangen könnte, ohne nach dem Pfade zurück zu kehren, welcher<lb/> mit einem Umwege nach dem bereits erwähnten Passe führte. Wir verfolgten diesen<lb/> Pfad längs der abhängigen Flächen schlüpfriger Felsen, die am Fuße des Wasserfalles<lb/> u> das Becken versanken, durch Spalten und über Klippen, welche kaum Raum zum<lb/> Fußen boten; wir kletterten von einer Felsenplatte zur andern und hielten uns an ver-<lb/> buttcte Busche und hervorstehende Felsenspitzen, die beide nur einen sehr unsicheren Halt<lb/> gewährten. Uebcrhangende, senkrecht sich erhebende Felsen über uns und tausend Fuß<lb/> unter uns das tosende Wasser — es erforderte unsren ganzen Muth, unsre ganze<lb/> Gewandtheit und Ausdauer. Ein Fehltritt wäre unvermeidliches Verderben gewesen.<lb/> Aus halbem Wege, stand in einem Spalte des nackten Felsens eine vereinzelte Fichte,<lb/> die ihre verwitterten und verstümmelten Glieder über den gähnenden Abgrund streckte,<lb/> aber trotz aller Einwirkungen des Sturmes sich noch immer mit festen Wurzeln in dem<lb/> Spalte erhielt. Mit Sicherheit uns an ihren kräftigen Stamm lehnend, gönnten wir<lb/> uns einige Augenblicke der Erholung und begannen dann aus's Neue die mühsame Arbeit,<lb/> den gefährlichen Pfad zu erklimmen, der uns endlich auf die Landstände oberhalb des<lb/> Wasserfalls brachte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1548" next="#ID_1549"> Es war ein mit grobem Kräuterwerk bewachsenes, von Felsenmassen beschwertes<lb/> Moorland. Die Gegend hatte plötzlich einen anderen Charakter angenommen; die Fichte<lb/> wich der Zwergbirke und der Saalweide. Es gab hier eine neue Flora von den präch¬<lb/> tigsten lieblichsten Farben und daS Hochland erstreckte sich in wellenförmigen Schwin¬<lb/> gungen weit hinaus nach der blauen Kette ferner Gebirge. Bisher hatte uns unser<lb/> Weg. obgleich er sich zuweilen bei dem Uebergange aus dem einen Thal in das andere</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 65</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0525]
oberhalb des Wasserfalles tobte, seine Natur verändert zu haben, und ergoß sich lust-
crfüllt über den-Abgrund, nicht sowohl in einer ununterbrochenen Masse, sondern viel¬
mehr in einzelnen aus einander folgenden weißen Dampfgewinden, die leicht und schwebend
von dem Gipfel herabstürzten, als Me das Element seine specifische Schwere verloren,
und aus den dunklen Höhlen unterhalb wieder sich erhebend, in jenen phantastischen Ge¬
stalten emporstiegen, die ich zu beschreiben versucht habe. Das Herabfallen jeder Welle
des mächtigen Gießbaches war von einem zischenden Tone begleitet, nach welchem der
Wasserfall „Njukan" — der dampfende oder schmausende Wasserfall benannt worden ist
— von dem heiseren Athemzuge des geheimnißvollen Geistes, der, seitdem, es in dieser
wunderbaren Werkstätte Zeit gegeben hat, mit unermüdlicher Thätigkeit gearbeitet und
mit unaufhörlichen Schlägen diese aus Dampf und Wasser gemischten Massen herab¬
stürze» lassen wird, bis jene endliche Katastrophe kommt, wo eine noch stärkere Natur¬
macht selbst das feste Bauwerk dieser Granitfelsen vernichtet.
Der gewöhnliche Punkt für eine nähere Ansicht des Wasserfalls ist eine kleine
grasige Plattform, die auf dem rechten Ufer ungefähr zwei Drittel über dem Fuße des
Wasserfalls hervorspringt. Wir erreichten sie, indem wir von dem Pserdcw-g, den wir
bisher verfolgt hatten, ablenkten und ziemlich eine Stunde lang über bewaldete Klippen
kletterten. Die Steigung war steil und beschwerlich, die Hitze drückend und ich war
floh, als ich mich keuchend aus das Gras werfen konnte, das den Abhang bedeckte
und wo das Auge alle Einzelheiten des herrlichen Schauspiels überblicken konnte, wäh¬
rend mein jüngerer und kühnerer Gefährte in das Dickig drang und nach dem Fuße
der Klippen hiuabkletterte. Man hatte uns von einem Wege gesagt, auf welchem man
nach dem Oberlande gelangen könnte, ohne nach dem Pfade zurück zu kehren, welcher
mit einem Umwege nach dem bereits erwähnten Passe führte. Wir verfolgten diesen
Pfad längs der abhängigen Flächen schlüpfriger Felsen, die am Fuße des Wasserfalles
u> das Becken versanken, durch Spalten und über Klippen, welche kaum Raum zum
Fußen boten; wir kletterten von einer Felsenplatte zur andern und hielten uns an ver-
buttcte Busche und hervorstehende Felsenspitzen, die beide nur einen sehr unsicheren Halt
gewährten. Uebcrhangende, senkrecht sich erhebende Felsen über uns und tausend Fuß
unter uns das tosende Wasser — es erforderte unsren ganzen Muth, unsre ganze
Gewandtheit und Ausdauer. Ein Fehltritt wäre unvermeidliches Verderben gewesen.
Aus halbem Wege, stand in einem Spalte des nackten Felsens eine vereinzelte Fichte,
die ihre verwitterten und verstümmelten Glieder über den gähnenden Abgrund streckte,
aber trotz aller Einwirkungen des Sturmes sich noch immer mit festen Wurzeln in dem
Spalte erhielt. Mit Sicherheit uns an ihren kräftigen Stamm lehnend, gönnten wir
uns einige Augenblicke der Erholung und begannen dann aus's Neue die mühsame Arbeit,
den gefährlichen Pfad zu erklimmen, der uns endlich auf die Landstände oberhalb des
Wasserfalls brachte.
Es war ein mit grobem Kräuterwerk bewachsenes, von Felsenmassen beschwertes
Moorland. Die Gegend hatte plötzlich einen anderen Charakter angenommen; die Fichte
wich der Zwergbirke und der Saalweide. Es gab hier eine neue Flora von den präch¬
tigsten lieblichsten Farben und daS Hochland erstreckte sich in wellenförmigen Schwin¬
gungen weit hinaus nach der blauen Kette ferner Gebirge. Bisher hatte uns unser
Weg. obgleich er sich zuweilen bei dem Uebergange aus dem einen Thal in das andere
Grenzboten. III. 65
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