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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Die Schlammlerchen haben über sich noch eine Aristokratie, die Shore-
workers oder Toshers (Uferarbeiter), die in der Nähe der Schiffswerfte den Fluß
nach kupfernen und eisernen Bolzen, Kupferbeschlag und Aehnlichem durchsuchen.
Holz und Kohlen überlassen sie großmüthig den Schlammlerchen. Diese ToShers
sieht man hauptsächlich an der Südseite der Themse in schmierigen Manchester¬
jacken mit ungeheuern Taschen, schmuzigen Hosen von Segelleinen und schlechten
Schuhen, wie sie in dem Schlamm gut genug sind. Ans dem Rücken tragen sie
einen Sack und in der Hand eine 7 bis 8 Fuß lange Stange mit einer Hacke
an dem obern Ende. Damit untersuchen sie den Grund, ehe sie ihn betretet
und stützen sich während ihrer Reise. Selbst die Erfahrensten sinken manch¬
mal in Schlammlöcher, wo sie dann die Hacke in den nächsten Gegenstand schla¬
gen und sich so herausziehen. Auch wühlen sie damit den Schlamm um, um Eisen,
Kupfer u. s. w. zu suchen. Sie haben viel Geschick, um diese Sachen an unwahr¬
scheinlichen Flecken zu finden, und kennen genau die verschiedenen Strömungen
des Flusses.

Diese Toshers beschränken ihre Explorationen nicht blos auf die Themse,
sondern wagen sich anch in die Schleichen Londons, was eine ziemlich gefährliche
Sache ist. An vielen Stellen der Schleußen ist das Manerwerk, von der Feuch¬
tigkeit und Fäulniß angefressen, eingefallen, und versperrt den Weg mit
Schutthaufen; aber der Schlenßenjäger muß sich anch hier Bahn zu brechen
suchen. An solchen Stellen muß er sich auch sehr in Acht nehmen, das Gewölbe
über sich uicht zu berühren, damit es ihn nicht unter den niederstürzenden Zie¬
geln begräbt. Seit dem Ban der neuen Schleichen sind die alten meistens von
den Jägern verlassen; aber an vielen Stellen laufen die alten und die neuen Ka¬
näle unter einander, und man kann sich dann leicht verirren. Es ist gefährlich,
sich in die kleinen Schleichen zu wagen, denn hier sammeln sich oft schädliche
Gase', und anch die Anfälle der Ratten sind zu fürchten, die sehr zahlreich und
wild in den Schleichen sind und einzelne Menschen schon mehrmals mit solcher
Wuth angefallen haben, daß sich dieselben nnr schwer retten konnten. Es be¬
finden sich ferner in den Kanälen Gruben, die sich, wenn die Fluth steigt, mit
Wasser füllen. Dasselbe wird von einer Schleiche zurückgehalten, die sich mit
Hochwasser schließt und mit Tiefwasser aufgeht, wo dann das Wasser mit der Ge¬
walt eines Bergstromes nach dem Flusse stürzt. Wenn sich in einem solchen Falle
der Schlenßenjäger nicht in der Nähe eines Seitenganges befindet, ist er unrett¬
bar verloren.

Wenn ein Schlenßenjäger sein Revier begehen will, so nimmt er außer dem
langen Haken noch eine Leinwandschnrze, die er umbindet, und eine Dicbslaterne,
die er am Gürtel befestigt. Meistens gehen sie in Parteien von drei oder vier
Mann, sowol der Gesellschaft wegen, wie um sich besser gegen die Ratten ver¬
theidigen zu können. So wie sie in die Nähe einer Gosse kommen, schließen


Die Schlammlerchen haben über sich noch eine Aristokratie, die Shore-
workers oder Toshers (Uferarbeiter), die in der Nähe der Schiffswerfte den Fluß
nach kupfernen und eisernen Bolzen, Kupferbeschlag und Aehnlichem durchsuchen.
Holz und Kohlen überlassen sie großmüthig den Schlammlerchen. Diese ToShers
sieht man hauptsächlich an der Südseite der Themse in schmierigen Manchester¬
jacken mit ungeheuern Taschen, schmuzigen Hosen von Segelleinen und schlechten
Schuhen, wie sie in dem Schlamm gut genug sind. Ans dem Rücken tragen sie
einen Sack und in der Hand eine 7 bis 8 Fuß lange Stange mit einer Hacke
an dem obern Ende. Damit untersuchen sie den Grund, ehe sie ihn betretet
und stützen sich während ihrer Reise. Selbst die Erfahrensten sinken manch¬
mal in Schlammlöcher, wo sie dann die Hacke in den nächsten Gegenstand schla¬
gen und sich so herausziehen. Auch wühlen sie damit den Schlamm um, um Eisen,
Kupfer u. s. w. zu suchen. Sie haben viel Geschick, um diese Sachen an unwahr¬
scheinlichen Flecken zu finden, und kennen genau die verschiedenen Strömungen
des Flusses.

Diese Toshers beschränken ihre Explorationen nicht blos auf die Themse,
sondern wagen sich anch in die Schleichen Londons, was eine ziemlich gefährliche
Sache ist. An vielen Stellen der Schleußen ist das Manerwerk, von der Feuch¬
tigkeit und Fäulniß angefressen, eingefallen, und versperrt den Weg mit
Schutthaufen; aber der Schlenßenjäger muß sich anch hier Bahn zu brechen
suchen. An solchen Stellen muß er sich auch sehr in Acht nehmen, das Gewölbe
über sich uicht zu berühren, damit es ihn nicht unter den niederstürzenden Zie¬
geln begräbt. Seit dem Ban der neuen Schleichen sind die alten meistens von
den Jägern verlassen; aber an vielen Stellen laufen die alten und die neuen Ka¬
näle unter einander, und man kann sich dann leicht verirren. Es ist gefährlich,
sich in die kleinen Schleichen zu wagen, denn hier sammeln sich oft schädliche
Gase', und anch die Anfälle der Ratten sind zu fürchten, die sehr zahlreich und
wild in den Schleichen sind und einzelne Menschen schon mehrmals mit solcher
Wuth angefallen haben, daß sich dieselben nnr schwer retten konnten. Es be¬
finden sich ferner in den Kanälen Gruben, die sich, wenn die Fluth steigt, mit
Wasser füllen. Dasselbe wird von einer Schleiche zurückgehalten, die sich mit
Hochwasser schließt und mit Tiefwasser aufgeht, wo dann das Wasser mit der Ge¬
walt eines Bergstromes nach dem Flusse stürzt. Wenn sich in einem solchen Falle
der Schlenßenjäger nicht in der Nähe eines Seitenganges befindet, ist er unrett¬
bar verloren.

Wenn ein Schlenßenjäger sein Revier begehen will, so nimmt er außer dem
langen Haken noch eine Leinwandschnrze, die er umbindet, und eine Dicbslaterne,
die er am Gürtel befestigt. Meistens gehen sie in Parteien von drei oder vier
Mann, sowol der Gesellschaft wegen, wie um sich besser gegen die Ratten ver¬
theidigen zu können. So wie sie in die Nähe einer Gosse kommen, schließen


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[0518] Die Schlammlerchen haben über sich noch eine Aristokratie, die Shore- workers oder Toshers (Uferarbeiter), die in der Nähe der Schiffswerfte den Fluß nach kupfernen und eisernen Bolzen, Kupferbeschlag und Aehnlichem durchsuchen. Holz und Kohlen überlassen sie großmüthig den Schlammlerchen. Diese ToShers sieht man hauptsächlich an der Südseite der Themse in schmierigen Manchester¬ jacken mit ungeheuern Taschen, schmuzigen Hosen von Segelleinen und schlechten Schuhen, wie sie in dem Schlamm gut genug sind. Ans dem Rücken tragen sie einen Sack und in der Hand eine 7 bis 8 Fuß lange Stange mit einer Hacke an dem obern Ende. Damit untersuchen sie den Grund, ehe sie ihn betretet und stützen sich während ihrer Reise. Selbst die Erfahrensten sinken manch¬ mal in Schlammlöcher, wo sie dann die Hacke in den nächsten Gegenstand schla¬ gen und sich so herausziehen. Auch wühlen sie damit den Schlamm um, um Eisen, Kupfer u. s. w. zu suchen. Sie haben viel Geschick, um diese Sachen an unwahr¬ scheinlichen Flecken zu finden, und kennen genau die verschiedenen Strömungen des Flusses. Diese Toshers beschränken ihre Explorationen nicht blos auf die Themse, sondern wagen sich anch in die Schleichen Londons, was eine ziemlich gefährliche Sache ist. An vielen Stellen der Schleußen ist das Manerwerk, von der Feuch¬ tigkeit und Fäulniß angefressen, eingefallen, und versperrt den Weg mit Schutthaufen; aber der Schlenßenjäger muß sich anch hier Bahn zu brechen suchen. An solchen Stellen muß er sich auch sehr in Acht nehmen, das Gewölbe über sich uicht zu berühren, damit es ihn nicht unter den niederstürzenden Zie¬ geln begräbt. Seit dem Ban der neuen Schleichen sind die alten meistens von den Jägern verlassen; aber an vielen Stellen laufen die alten und die neuen Ka¬ näle unter einander, und man kann sich dann leicht verirren. Es ist gefährlich, sich in die kleinen Schleichen zu wagen, denn hier sammeln sich oft schädliche Gase', und anch die Anfälle der Ratten sind zu fürchten, die sehr zahlreich und wild in den Schleichen sind und einzelne Menschen schon mehrmals mit solcher Wuth angefallen haben, daß sich dieselben nnr schwer retten konnten. Es be¬ finden sich ferner in den Kanälen Gruben, die sich, wenn die Fluth steigt, mit Wasser füllen. Dasselbe wird von einer Schleiche zurückgehalten, die sich mit Hochwasser schließt und mit Tiefwasser aufgeht, wo dann das Wasser mit der Ge¬ walt eines Bergstromes nach dem Flusse stürzt. Wenn sich in einem solchen Falle der Schlenßenjäger nicht in der Nähe eines Seitenganges befindet, ist er unrett¬ bar verloren. Wenn ein Schlenßenjäger sein Revier begehen will, so nimmt er außer dem langen Haken noch eine Leinwandschnrze, die er umbindet, und eine Dicbslaterne, die er am Gürtel befestigt. Meistens gehen sie in Parteien von drei oder vier Mann, sowol der Gesellschaft wegen, wie um sich besser gegen die Ratten ver¬ theidigen zu können. So wie sie in die Nähe einer Gosse kommen, schließen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/518>, abgerufen am 22.12.2024.