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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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seiner Ernährung und damit seiner ganzen Wohlfahrt sind .... Nicht ohne
Grund heißen unsre Nahrungsmittel auch Lebensmittel, und treffend sind die
Worte jenes Naturforschers: wo ein Brod wächst, wächst ein Mensch. Kommt
einem Volk oder einer Klasse der Bevölkerung nur eine kärgliche Nahrung zu, so
kaun sich auch deren Gesundheit nicht erhalten; weder Körper noch Geist sind im
Staude, ihre Functionen auf die Dauer auszuführen, wie es sich gehört, und
Volksseuchen, große Sterblichkeit, wie sittliches Verkommen müssen die weiteren
Folgen sein." Mit solchen Voraussetzungen kann naturlich dem Octrvi-, Abgabcn-
und Zollsystem auf Nahrungs- und andere unentbehrliche Consumtionsartikcl
nirgends das Wort geredet werden, besonders wenn nebenan die Thatsache steht,
daß in England bei jährlich 3 -- 4 Scheffeln Getreide und täglich 5 Unzen Fleisch
auf den Kopf die mittlere Lebensdauer von 40 Jahren und ein Sterblichkeitsver¬
hältniß von 1 : 46 bis L0 sich herausstellt, während in Deutschland (resp. Preußen)
bei jährlich kaum einem Scheffel Getreide und täglich höchstens 3 Unzen Fleischnah¬
rung eine mittlere Lebensdauer von kaum mehr als 30 Jahren und ein Sterb¬
lichkeitsverhältniß von 1 : 40 .herrscht. Der öffentliche" Bromatolvgie, d. i. die
Lehre von der Beziehung der Lebensmittel zur gauzeu Bevölkerung, wird aber
nicht nur i" dieser empirischen Weise gedacht, sondern auch den Maßregeln in
Bezug darauf ein höchst belehrendes praktisches Capitel gewidmet. Gerade die
neuesten furchtbaren Nothznstände, welche trotz der Warnungen der Jahre -I84ö
und 1846 abermals in so weiter Ausdehnung Deutschland beherrschten, habe"
aber gezeigt, wie weit unsre praktischen Staatseinrichtungen und Maßregeln auch
in dieser Hinsicht noch hinter ihrer Aufgabe zurückstehen.

Ganz ähnliche Bemerkungen drängen sich ans, wenn man die trefflichen Er¬
örterungen über den Einfluß der Wohnungen und öffentlichen Gebäude, der
Bauarten der Städte und Dörfer durchliest. Indem man der allerwärts auf
praktische Erfahrungen gegründeten Kritik der gewohnten Einrichtungen folgt, muß
man sich schmerzlich eingestehen, wie hierbei nur allzu häufig ein Paar angenblick-
lich ersparte tausend Thaler mit hnndcrttanseuden an Geld und Lebensjahren
furchtbar gebüßt werden. Je banlnstiger und dabei raumgeiziger unsre Zeit wird und
werde" muß, desto dringender muß auch immer von Neuem auf die tief eingreifenden
Einflüsse der Behausung, nicht blos aus Leben und Gesundheit des jetzigen, sondern
in beinahe noch höherem Grade auf die leibliche und geistige Wohlfahrt des heran-
wachsenden Geschlechts hingewiesen werden. -- Es ist darum auffallend, daß der Ver¬
fasser der unmittelbaren Behausung des Leibes, der Kleidung, fast nur in Beziehung
auf deu Einzelnen seine Betrachtungen widmet, dagegen ihrer Bedeutsamkeit im öffent¬
lichen Leben (als Uniform, Volkstracht ze.) kaum vorübergehend gedenkt.-- Von
dem Capitel über den Geschlechtsverkehr, wobei ebenfalls die Fragen über die
außerehelichen und Prostitutivnsverhältnisse leider fast nur vom medizinischen und
sittlichen, nicht vom praktisch-politischen Standpunkte aus zur Besprechung koM'


seiner Ernährung und damit seiner ganzen Wohlfahrt sind .... Nicht ohne
Grund heißen unsre Nahrungsmittel auch Lebensmittel, und treffend sind die
Worte jenes Naturforschers: wo ein Brod wächst, wächst ein Mensch. Kommt
einem Volk oder einer Klasse der Bevölkerung nur eine kärgliche Nahrung zu, so
kaun sich auch deren Gesundheit nicht erhalten; weder Körper noch Geist sind im
Staude, ihre Functionen auf die Dauer auszuführen, wie es sich gehört, und
Volksseuchen, große Sterblichkeit, wie sittliches Verkommen müssen die weiteren
Folgen sein." Mit solchen Voraussetzungen kann naturlich dem Octrvi-, Abgabcn-
und Zollsystem auf Nahrungs- und andere unentbehrliche Consumtionsartikcl
nirgends das Wort geredet werden, besonders wenn nebenan die Thatsache steht,
daß in England bei jährlich 3 — 4 Scheffeln Getreide und täglich 5 Unzen Fleisch
auf den Kopf die mittlere Lebensdauer von 40 Jahren und ein Sterblichkeitsver¬
hältniß von 1 : 46 bis L0 sich herausstellt, während in Deutschland (resp. Preußen)
bei jährlich kaum einem Scheffel Getreide und täglich höchstens 3 Unzen Fleischnah¬
rung eine mittlere Lebensdauer von kaum mehr als 30 Jahren und ein Sterb¬
lichkeitsverhältniß von 1 : 40 .herrscht. Der öffentliche» Bromatolvgie, d. i. die
Lehre von der Beziehung der Lebensmittel zur gauzeu Bevölkerung, wird aber
nicht nur i» dieser empirischen Weise gedacht, sondern auch den Maßregeln in
Bezug darauf ein höchst belehrendes praktisches Capitel gewidmet. Gerade die
neuesten furchtbaren Nothznstände, welche trotz der Warnungen der Jahre -I84ö
und 1846 abermals in so weiter Ausdehnung Deutschland beherrschten, habe»
aber gezeigt, wie weit unsre praktischen Staatseinrichtungen und Maßregeln auch
in dieser Hinsicht noch hinter ihrer Aufgabe zurückstehen.

Ganz ähnliche Bemerkungen drängen sich ans, wenn man die trefflichen Er¬
örterungen über den Einfluß der Wohnungen und öffentlichen Gebäude, der
Bauarten der Städte und Dörfer durchliest. Indem man der allerwärts auf
praktische Erfahrungen gegründeten Kritik der gewohnten Einrichtungen folgt, muß
man sich schmerzlich eingestehen, wie hierbei nur allzu häufig ein Paar angenblick-
lich ersparte tausend Thaler mit hnndcrttanseuden an Geld und Lebensjahren
furchtbar gebüßt werden. Je banlnstiger und dabei raumgeiziger unsre Zeit wird und
werde» muß, desto dringender muß auch immer von Neuem auf die tief eingreifenden
Einflüsse der Behausung, nicht blos aus Leben und Gesundheit des jetzigen, sondern
in beinahe noch höherem Grade auf die leibliche und geistige Wohlfahrt des heran-
wachsenden Geschlechts hingewiesen werden. — Es ist darum auffallend, daß der Ver¬
fasser der unmittelbaren Behausung des Leibes, der Kleidung, fast nur in Beziehung
auf deu Einzelnen seine Betrachtungen widmet, dagegen ihrer Bedeutsamkeit im öffent¬
lichen Leben (als Uniform, Volkstracht ze.) kaum vorübergehend gedenkt.— Von
dem Capitel über den Geschlechtsverkehr, wobei ebenfalls die Fragen über die
außerehelichen und Prostitutivnsverhältnisse leider fast nur vom medizinischen und
sittlichen, nicht vom praktisch-politischen Standpunkte aus zur Besprechung koM'


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[0510] seiner Ernährung und damit seiner ganzen Wohlfahrt sind .... Nicht ohne Grund heißen unsre Nahrungsmittel auch Lebensmittel, und treffend sind die Worte jenes Naturforschers: wo ein Brod wächst, wächst ein Mensch. Kommt einem Volk oder einer Klasse der Bevölkerung nur eine kärgliche Nahrung zu, so kaun sich auch deren Gesundheit nicht erhalten; weder Körper noch Geist sind im Staude, ihre Functionen auf die Dauer auszuführen, wie es sich gehört, und Volksseuchen, große Sterblichkeit, wie sittliches Verkommen müssen die weiteren Folgen sein." Mit solchen Voraussetzungen kann naturlich dem Octrvi-, Abgabcn- und Zollsystem auf Nahrungs- und andere unentbehrliche Consumtionsartikcl nirgends das Wort geredet werden, besonders wenn nebenan die Thatsache steht, daß in England bei jährlich 3 — 4 Scheffeln Getreide und täglich 5 Unzen Fleisch auf den Kopf die mittlere Lebensdauer von 40 Jahren und ein Sterblichkeitsver¬ hältniß von 1 : 46 bis L0 sich herausstellt, während in Deutschland (resp. Preußen) bei jährlich kaum einem Scheffel Getreide und täglich höchstens 3 Unzen Fleischnah¬ rung eine mittlere Lebensdauer von kaum mehr als 30 Jahren und ein Sterb¬ lichkeitsverhältniß von 1 : 40 .herrscht. Der öffentliche» Bromatolvgie, d. i. die Lehre von der Beziehung der Lebensmittel zur gauzeu Bevölkerung, wird aber nicht nur i» dieser empirischen Weise gedacht, sondern auch den Maßregeln in Bezug darauf ein höchst belehrendes praktisches Capitel gewidmet. Gerade die neuesten furchtbaren Nothznstände, welche trotz der Warnungen der Jahre -I84ö und 1846 abermals in so weiter Ausdehnung Deutschland beherrschten, habe» aber gezeigt, wie weit unsre praktischen Staatseinrichtungen und Maßregeln auch in dieser Hinsicht noch hinter ihrer Aufgabe zurückstehen. Ganz ähnliche Bemerkungen drängen sich ans, wenn man die trefflichen Er¬ örterungen über den Einfluß der Wohnungen und öffentlichen Gebäude, der Bauarten der Städte und Dörfer durchliest. Indem man der allerwärts auf praktische Erfahrungen gegründeten Kritik der gewohnten Einrichtungen folgt, muß man sich schmerzlich eingestehen, wie hierbei nur allzu häufig ein Paar angenblick- lich ersparte tausend Thaler mit hnndcrttanseuden an Geld und Lebensjahren furchtbar gebüßt werden. Je banlnstiger und dabei raumgeiziger unsre Zeit wird und werde» muß, desto dringender muß auch immer von Neuem auf die tief eingreifenden Einflüsse der Behausung, nicht blos aus Leben und Gesundheit des jetzigen, sondern in beinahe noch höherem Grade auf die leibliche und geistige Wohlfahrt des heran- wachsenden Geschlechts hingewiesen werden. — Es ist darum auffallend, daß der Ver¬ fasser der unmittelbaren Behausung des Leibes, der Kleidung, fast nur in Beziehung auf deu Einzelnen seine Betrachtungen widmet, dagegen ihrer Bedeutsamkeit im öffent¬ lichen Leben (als Uniform, Volkstracht ze.) kaum vorübergehend gedenkt.— Von dem Capitel über den Geschlechtsverkehr, wobei ebenfalls die Fragen über die außerehelichen und Prostitutivnsverhältnisse leider fast nur vom medizinischen und sittlichen, nicht vom praktisch-politischen Standpunkte aus zur Besprechung koM'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/510>, abgerufen am 22.12.2024.