Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.dem Tisch lagen, Hastz und Mirza Schafft) zu den Füßen oder in den Armen Da die Tendenz des Stücks ist, die individuellen Bestimmtheiten in das 39*
dem Tisch lagen, Hastz und Mirza Schafft) zu den Füßen oder in den Armen Da die Tendenz des Stücks ist, die individuellen Bestimmtheiten in das 39*
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dem Tisch lagen, Hastz und Mirza Schafft) zu den Füßen oder in den Armen
ihrer Geliebten. Die Weisheit in abstracto ist etwas sehr Langweiliges,
ober die Weisheit in einer concreten Erscheinung ist eben so poetisch, als sie
moralisch ist.
Da die Tendenz des Stücks ist, die individuellen Bestimmtheiten in das
allgemeine Maß der Humanität zu fügen, so kann diese Aufgabe nur dann In¬
teresse erregen, wenn die Bestimmtheiten energisch genug auftreten, daß es sich
der Mühe lohnt, sie zu beugen. Wenn Saladin von vornherein ein Philosoph
ist, so kann uns seine Bekehrung nicht sehr interessiren; es muß in ihm gerade
fehr scharf der feurige, sorglose Kriegsmann gezeichnet werden, her sich mit all¬
gemeinen Gedanken bisher nicht viel zu thun gemacht hat, und der unter Um¬
ständen auch gar nicht ansteht, eine Reihe von Gefangenen köpfen zu lassen. Um
sein kriegerisches Wesen und die Stellung zu seinem Volk zu versinnlichen, sind
die Scenen mit den Mameluken ganz vortrefflich angelegt; sie wegzulassen ist eine
unverzeihliche Thorheit. Bei dem Tempelherrn ist diese Bestimmtheit schon leichter
durchzuführen, weil sie im Gedicht selbst vollständig herausgearbeitet ist. Als ein sehr
vortrefflicher Gegensatz zu Nathan verdient ferner der Derwisch eine lebhaftere Färbung.
Er ist auf seiue Art auch ein Weiser, obgleich die Weisheit bei ihm die entgegen¬
gesetzte Richtung genommen hat, als bei Nathan, und man muß in dem letzten
Gespräch dieser beiden Männer herausfühlen, daß Nathan mit seinem Anerbieten,
ihn an den Ganges zu begleiten, zwar mir scherzt, daß er aber vollständig den
Humor besitzt, auch die Berechtigung dieser Art Weisheit zu begreifen. — Am
schwersten darzustellen möchte vielleicht der Klosterbruder sein, nicht weil das Ver¬
ständniß dieses Charakters irgend Schwierigkeiten darböte, sondern weil es nich;
leicht ist, für die verschiedenen Elemente, aus denen er zusammengesetzt ist, den
richtigen Ton zu treffen. Es muß etwas vom alten Soldaten durchklingen, etwas
vom Eremiten, der mit dem Derwisch ungefähr aus der gleichen Stufe steht,
etwas von der Kraft und dem Feuer des natürlichen Gefühls, und etwas von
der Gewohnheit des passiven Gehorsams. Am schlechtesten ist es, wenn man ihn
aus einem naiven Charakter in einen reflectirten übersetzt, und z. B. im Gespräch
mit dem Tempelherrn das fortwährend wiederkehrende „sagt der Patriarch" etwa
so declamirt, wie Antonins sein ironisches „Brutus ist ein ehrenwerther Mann."
Der ehrliche Klosterbruder spricht diese Phrase in seiner natürlichen Herzensangst,
uicht mit ironischem Bewußtsein seiner moralischen Überlegenheit..
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