Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man sich leicht versucht fühlt, in einen docirenden und salbungsvollen Ton zu ver¬
fallen. Er ist so sehr der Kulminationspunkt aller Weisheit, die uns in diesem
Stück dargeboten wird, daß man diese hervorragende Stellung auch gar zu gern
ni seinein äußerlichen Wesen repräsentiren möchte. Freilich soll es auch noch eine
andere Auffassung geben, nach der man Nathan zu einem Schachcrjuden macht,
und ihn im jüdischen Dialekt reden läßt; indessen diese Auffassung ist so raffinirt
und widerspricht so sehr allem natürlichen Gefühl, daß es nicht nöthig ist, daraus
einzugehen. Das Jubeln, wie alle anderen gemeinen Scurrilitäten sind ans dem
ernsthaften Drama, wenigstens aus den ernsthaften Charakteren desselben überhaupt
zu verbannen, weil sie uns unwillkürlich in eine Stimmung versetzen, die nicht
die richtige ist. Der andere Mißgriff liegt näher. Nathan spricht so viel tiefe
allgemeine Wahrheiten ans, daß man sich wol dazu verleiten lassen kann, in ihm
eine Abstraction der Tugend und Weisheit zu suchen, in der gar keine innere
Bewegung vorgeht, die also auch kein Leben hat. Das ist aber den Absichten
des Dichters durchaus widersprechend. Wir erinnern hier nur an die bekannte
Geschichte mit deu drei Ringen. Das ist eine so feine Allegorie, daß wir uns
gern mit ihr allein beschäftigen und den Sprecher ganz aus den Angen verlieren,
als habe der Dichter nur eine allgemeine Wahrheit, nicht die bestimmte Situation
w Gedanken gehabt. Nun bringt aber Ncithan sein Märchen gar nicht fertig
unt: zuerst hat er nur die Absicht, der plumpen Frage des Sultans, hinter der
er die Schlinge gar wohl entdeckt, ans eine feine Weise auszuweichen; indem er
sich aber sein eigenes Bild weiter ausmalt, indem er den immer wachsenden An¬
theil des Sultans bemerkt, und dadurch selber weiter angeregt wird, geräth er
immer mehr in Feuer, ein Gedanke erzeugt den andern, und wir finden uns zu¬
letzt auf einem ganz andern Resultat, als wir ursprünglich vermuthet hatten.
Zuerst ist von den drei Religionen eine die echte, und man weiß nur nicht, welche;
Mletzt aber ergiebt es sich, daß sie alle drei unecht, d. h. unvollständig sind, und
der Grundgedanke, auf deu Lessing immer zurückkommt, daß das Glück des
Menschen nicht im Wissen, sondern im Suchen liege, tritt mit dem geheimen
Vorgefühl eines neuen Evangeliums hervor. Um diesen Proceß dem Zuschauer
anschaulich zu. machen, muß freilich auch der Sultan das Seinige thun; er muß
uicht während des ganzen Vortrags wie eine Pagode ans seinem Thron sitzen,
der überhaupt einem einfachen kriegerischen Fürsten nicht ansteht, und blos zum
Schluß entzückt aufspringen, sondern er muß uns seine Gemüthsbewegung von
vorn herein veranschaulichen. Im Anfang ist es bei ihm blos eine Mischung von
fürstlicher Diplomatie, die sich bei dem offenen Soldaten natürlich sehr ungeschickt
aufnimmt, und lebhafter Neugier; aus der Neugier wird Interesse, Spannung,
endlich Begeisterung. In dieser Begeisterung vergißt er, daß ihm ein Jude
gegenübersteht, mit dem er früher ziemlich despotisch umgeben wollte, und den er.
"und im letzten Act trotz der Hochachtung vor seinem Geist wieder ziemlich


Grenzboten. III. 39

man sich leicht versucht fühlt, in einen docirenden und salbungsvollen Ton zu ver¬
fallen. Er ist so sehr der Kulminationspunkt aller Weisheit, die uns in diesem
Stück dargeboten wird, daß man diese hervorragende Stellung auch gar zu gern
ni seinein äußerlichen Wesen repräsentiren möchte. Freilich soll es auch noch eine
andere Auffassung geben, nach der man Nathan zu einem Schachcrjuden macht,
und ihn im jüdischen Dialekt reden läßt; indessen diese Auffassung ist so raffinirt
und widerspricht so sehr allem natürlichen Gefühl, daß es nicht nöthig ist, daraus
einzugehen. Das Jubeln, wie alle anderen gemeinen Scurrilitäten sind ans dem
ernsthaften Drama, wenigstens aus den ernsthaften Charakteren desselben überhaupt
zu verbannen, weil sie uns unwillkürlich in eine Stimmung versetzen, die nicht
die richtige ist. Der andere Mißgriff liegt näher. Nathan spricht so viel tiefe
allgemeine Wahrheiten ans, daß man sich wol dazu verleiten lassen kann, in ihm
eine Abstraction der Tugend und Weisheit zu suchen, in der gar keine innere
Bewegung vorgeht, die also auch kein Leben hat. Das ist aber den Absichten
des Dichters durchaus widersprechend. Wir erinnern hier nur an die bekannte
Geschichte mit deu drei Ringen. Das ist eine so feine Allegorie, daß wir uns
gern mit ihr allein beschäftigen und den Sprecher ganz aus den Angen verlieren,
als habe der Dichter nur eine allgemeine Wahrheit, nicht die bestimmte Situation
w Gedanken gehabt. Nun bringt aber Ncithan sein Märchen gar nicht fertig
unt: zuerst hat er nur die Absicht, der plumpen Frage des Sultans, hinter der
er die Schlinge gar wohl entdeckt, ans eine feine Weise auszuweichen; indem er
sich aber sein eigenes Bild weiter ausmalt, indem er den immer wachsenden An¬
theil des Sultans bemerkt, und dadurch selber weiter angeregt wird, geräth er
immer mehr in Feuer, ein Gedanke erzeugt den andern, und wir finden uns zu¬
letzt auf einem ganz andern Resultat, als wir ursprünglich vermuthet hatten.
Zuerst ist von den drei Religionen eine die echte, und man weiß nur nicht, welche;
Mletzt aber ergiebt es sich, daß sie alle drei unecht, d. h. unvollständig sind, und
der Grundgedanke, auf deu Lessing immer zurückkommt, daß das Glück des
Menschen nicht im Wissen, sondern im Suchen liege, tritt mit dem geheimen
Vorgefühl eines neuen Evangeliums hervor. Um diesen Proceß dem Zuschauer
anschaulich zu. machen, muß freilich auch der Sultan das Seinige thun; er muß
uicht während des ganzen Vortrags wie eine Pagode ans seinem Thron sitzen,
der überhaupt einem einfachen kriegerischen Fürsten nicht ansteht, und blos zum
Schluß entzückt aufspringen, sondern er muß uns seine Gemüthsbewegung von
vorn herein veranschaulichen. Im Anfang ist es bei ihm blos eine Mischung von
fürstlicher Diplomatie, die sich bei dem offenen Soldaten natürlich sehr ungeschickt
aufnimmt, und lebhafter Neugier; aus der Neugier wird Interesse, Spannung,
endlich Begeisterung. In dieser Begeisterung vergißt er, daß ihm ein Jude
gegenübersteht, mit dem er früher ziemlich despotisch umgeben wollte, und den er.
"und im letzten Act trotz der Hochachtung vor seinem Geist wieder ziemlich


Grenzboten. III. 39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94918"/>
          <p xml:id="ID_1417" prev="#ID_1416" next="#ID_1418"> man sich leicht versucht fühlt, in einen docirenden und salbungsvollen Ton zu ver¬<lb/>
fallen. Er ist so sehr der Kulminationspunkt aller Weisheit, die uns in diesem<lb/>
Stück dargeboten wird, daß man diese hervorragende Stellung auch gar zu gern<lb/>
ni seinein äußerlichen Wesen repräsentiren möchte. Freilich soll es auch noch eine<lb/>
andere Auffassung geben, nach der man Nathan zu einem Schachcrjuden macht,<lb/>
und ihn im jüdischen Dialekt reden läßt; indessen diese Auffassung ist so raffinirt<lb/>
und widerspricht so sehr allem natürlichen Gefühl, daß es nicht nöthig ist, daraus<lb/>
einzugehen. Das Jubeln, wie alle anderen gemeinen Scurrilitäten sind ans dem<lb/>
ernsthaften Drama, wenigstens aus den ernsthaften Charakteren desselben überhaupt<lb/>
zu verbannen, weil sie uns unwillkürlich in eine Stimmung versetzen, die nicht<lb/>
die richtige ist. Der andere Mißgriff liegt näher. Nathan spricht so viel tiefe<lb/>
allgemeine Wahrheiten ans, daß man sich wol dazu verleiten lassen kann, in ihm<lb/>
eine Abstraction der Tugend und Weisheit zu suchen, in der gar keine innere<lb/>
Bewegung vorgeht, die also auch kein Leben hat. Das ist aber den Absichten<lb/>
des Dichters durchaus widersprechend. Wir erinnern hier nur an die bekannte<lb/>
Geschichte mit deu drei Ringen. Das ist eine so feine Allegorie, daß wir uns<lb/>
gern mit ihr allein beschäftigen und den Sprecher ganz aus den Angen verlieren,<lb/>
als habe der Dichter nur eine allgemeine Wahrheit, nicht die bestimmte Situation<lb/>
w Gedanken gehabt. Nun bringt aber Ncithan sein Märchen gar nicht fertig<lb/>
unt: zuerst hat er nur die Absicht, der plumpen Frage des Sultans, hinter der<lb/>
er die Schlinge gar wohl entdeckt, ans eine feine Weise auszuweichen; indem er<lb/>
sich aber sein eigenes Bild weiter ausmalt, indem er den immer wachsenden An¬<lb/>
theil des Sultans bemerkt, und dadurch selber weiter angeregt wird, geräth er<lb/>
immer mehr in Feuer, ein Gedanke erzeugt den andern, und wir finden uns zu¬<lb/>
letzt auf einem ganz andern Resultat, als wir ursprünglich vermuthet hatten.<lb/>
Zuerst ist von den drei Religionen eine die echte, und man weiß nur nicht, welche;<lb/>
Mletzt aber ergiebt es sich, daß sie alle drei unecht, d. h. unvollständig sind, und<lb/>
der Grundgedanke, auf deu Lessing immer zurückkommt, daß das Glück des<lb/>
Menschen nicht im Wissen, sondern im Suchen liege, tritt mit dem geheimen<lb/>
Vorgefühl eines neuen Evangeliums hervor. Um diesen Proceß dem Zuschauer<lb/>
anschaulich zu. machen, muß freilich auch der Sultan das Seinige thun; er muß<lb/>
uicht während des ganzen Vortrags wie eine Pagode ans seinem Thron sitzen,<lb/>
der überhaupt einem einfachen kriegerischen Fürsten nicht ansteht, und blos zum<lb/>
Schluß entzückt aufspringen, sondern er muß uns seine Gemüthsbewegung von<lb/>
vorn herein veranschaulichen. Im Anfang ist es bei ihm blos eine Mischung von<lb/>
fürstlicher Diplomatie, die sich bei dem offenen Soldaten natürlich sehr ungeschickt<lb/>
aufnimmt, und lebhafter Neugier; aus der Neugier wird Interesse, Spannung,<lb/>
endlich Begeisterung. In dieser Begeisterung vergißt er, daß ihm ein Jude<lb/>
gegenübersteht, mit dem er früher ziemlich despotisch umgeben wollte, und den er.<lb/>
"und im letzten Act trotz der Hochachtung vor seinem Geist wieder ziemlich</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 39</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0477] man sich leicht versucht fühlt, in einen docirenden und salbungsvollen Ton zu ver¬ fallen. Er ist so sehr der Kulminationspunkt aller Weisheit, die uns in diesem Stück dargeboten wird, daß man diese hervorragende Stellung auch gar zu gern ni seinein äußerlichen Wesen repräsentiren möchte. Freilich soll es auch noch eine andere Auffassung geben, nach der man Nathan zu einem Schachcrjuden macht, und ihn im jüdischen Dialekt reden läßt; indessen diese Auffassung ist so raffinirt und widerspricht so sehr allem natürlichen Gefühl, daß es nicht nöthig ist, daraus einzugehen. Das Jubeln, wie alle anderen gemeinen Scurrilitäten sind ans dem ernsthaften Drama, wenigstens aus den ernsthaften Charakteren desselben überhaupt zu verbannen, weil sie uns unwillkürlich in eine Stimmung versetzen, die nicht die richtige ist. Der andere Mißgriff liegt näher. Nathan spricht so viel tiefe allgemeine Wahrheiten ans, daß man sich wol dazu verleiten lassen kann, in ihm eine Abstraction der Tugend und Weisheit zu suchen, in der gar keine innere Bewegung vorgeht, die also auch kein Leben hat. Das ist aber den Absichten des Dichters durchaus widersprechend. Wir erinnern hier nur an die bekannte Geschichte mit deu drei Ringen. Das ist eine so feine Allegorie, daß wir uns gern mit ihr allein beschäftigen und den Sprecher ganz aus den Angen verlieren, als habe der Dichter nur eine allgemeine Wahrheit, nicht die bestimmte Situation w Gedanken gehabt. Nun bringt aber Ncithan sein Märchen gar nicht fertig unt: zuerst hat er nur die Absicht, der plumpen Frage des Sultans, hinter der er die Schlinge gar wohl entdeckt, ans eine feine Weise auszuweichen; indem er sich aber sein eigenes Bild weiter ausmalt, indem er den immer wachsenden An¬ theil des Sultans bemerkt, und dadurch selber weiter angeregt wird, geräth er immer mehr in Feuer, ein Gedanke erzeugt den andern, und wir finden uns zu¬ letzt auf einem ganz andern Resultat, als wir ursprünglich vermuthet hatten. Zuerst ist von den drei Religionen eine die echte, und man weiß nur nicht, welche; Mletzt aber ergiebt es sich, daß sie alle drei unecht, d. h. unvollständig sind, und der Grundgedanke, auf deu Lessing immer zurückkommt, daß das Glück des Menschen nicht im Wissen, sondern im Suchen liege, tritt mit dem geheimen Vorgefühl eines neuen Evangeliums hervor. Um diesen Proceß dem Zuschauer anschaulich zu. machen, muß freilich auch der Sultan das Seinige thun; er muß uicht während des ganzen Vortrags wie eine Pagode ans seinem Thron sitzen, der überhaupt einem einfachen kriegerischen Fürsten nicht ansteht, und blos zum Schluß entzückt aufspringen, sondern er muß uns seine Gemüthsbewegung von vorn herein veranschaulichen. Im Anfang ist es bei ihm blos eine Mischung von fürstlicher Diplomatie, die sich bei dem offenen Soldaten natürlich sehr ungeschickt aufnimmt, und lebhafter Neugier; aus der Neugier wird Interesse, Spannung, endlich Begeisterung. In dieser Begeisterung vergißt er, daß ihm ein Jude gegenübersteht, mit dem er früher ziemlich despotisch umgeben wollte, und den er. "und im letzten Act trotz der Hochachtung vor seinem Geist wieder ziemlich Grenzboten. III. 39

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/477
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/477>, abgerufen am 22.12.2024.