Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.gogische Reformvorschläge müssen sich immer an Privatinstitute wenden, und diese setzen gogische Reformvorschläge müssen sich immer an Privatinstitute wenden, und diese setzen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94487"/> <p xml:id="ID_98" prev="#ID_97" next="#ID_99"> gogische Reformvorschläge müssen sich immer an Privatinstitute wenden, und diese setzen<lb/> wieder, um gedeihen zu können, die Theilnahme der bemittelten Klassen voraus. Freilich<lb/> würde diesen Klassen sehr bald einleuchten, daß es höchst unzweckmäßig ist, ihre Kinder<lb/> in der Schule etwas lernen zu lassen, was sie nachher in ihrem Berus nicht anwenden<lb/> können. Nur leider sind die Berufszweige sehr verschieden, und wenn man den Werth<lb/> der im Unterricht überlieferten Kenntnisse nach dem Verhältniß ihrer Brauchbarkeit für<lb/> das praktische Leben des Mannesalters abmessen wollte, so würde sich schwerlich eine<lb/> Einheit herstellen lassen. An diesem Uebelstand leiden alle unsre. Rcälschulein es soll<lb/> für jeden der verschiedenen Berufszweige irgend etwas Nützliches gelehrt werden, und<lb/> darüber geht die Einheit der Bildung verloren. — Die ganze Richtung der Philan¬<lb/> thropine scheint uns an einer falschen Voraussetzung zu leiden. Sie hält -es nämlich<lb/> für unrecht, die sogenannte freie, natürliche Entwickelung des Kindes durch eine äußer¬<lb/> liche Autorität zu unterbrechen und dadurch die verschiedenen Individualitäten in eine<lb/> gemeinsame Richtung zu zwängen. Uns scheint das aber gerade die Hauptsache bei der<lb/> ganzen Erziehung. Das Kind soll an Disciplin und Autorität gewöhnt werden; es<lb/> soll lernen, seiner unbändigen Natur Zwang anzuthun und sich die Traditionen<lb/> anzueignen, noch ehe es dieselben versteht. Allerdings ist bereits das Erste, was<lb/> das Kind lernt, das Buchstabiren, die unerhörteste Abstrciction, die überhaupt im<lb/> ganzen Unterricht vorkommt, und wenn man dasselbe nach der sokratischen Manier<lb/> organisch entwickeln wollte, so würde man nicht weit kommen. Es scheint<lb/> zwar .auf den ersten Augenblick sehr naturgemäß, das Kind erst auf Fragen zu brin¬<lb/> gen, ehe man ihm Antwort ertheilt, und bis auf einen gewissen Grad ist das<lb/> auch im Privatunterricht, wie. in einer kleinen Pension zu erreichen; aber eben darum<lb/> taugen diese Institute Nichts. Die strenge Zucht der Schule, in der das Kind, aber,<lb/> wohl gemerkt, nur für gewisse Thätigkeiten, seine individuelle Freiheit vollkommen aus¬<lb/> geben muß, ist das heilsamste Mittel, freie Männer herauszubilden, denn nur durch die<lb/> Zucht, die man von außen her empfangen hat, lernt man die Zucht gegen sich selber<lb/> zu wenden, und ohne diese Zucht ist alle Freiheit ein Unsinn. — Gerade darum scheint<lb/> uns die neue Philanthropie.auch wieder nach einer entgegengesetzten Seite hin zu sün¬<lb/> digen. Wenn wir für den eigentlichen Schulunterricht die unbedingte Entäußerung der<lb/> Willkür fordern, so verlangen wir als die Ergänzung dafür die absolute Freiheit des<lb/> Spiels und für's Haus die individuelle Einwirkung der Familie. Nun sagt man uns, daß<lb/> z. B. in dem neuen Institut der Kindergärten die Sache umgekehrt wird, daß man den<lb/> eigentlichen Unterricht spielend beibringt, und dagegen das Spiel nach einem verständi¬<lb/> gen Plan lenkt, daß man das Kind überlistet, indem es zu spielen glaubt, und statt<lb/> dessen etwas sehr Vernünftiges producirt. Inwieweit das wahr ist, wissen wir aus<lb/> eigener Anschauung nicht; wenn es aber wahr ist, so müssen wir es auf das Unbe¬<lb/> dingteste verwerfen. Das Spiel ist auf seine Art gerade so ein Heiligthum, wie im<lb/> spätern 'Leben die Kunst, und wenn der rohe Despotismus hineingreift, so ist das noch<lb/> lange nicht so schlimm, als wenn eine wohlwollende Zudringlichkeit es nach höheren<lb/> Absichten ins Gebiet des Zweckmäßiger übertragen will, denn das Wesen des Spiels<lb/> ist gerade die Zwecklosigkeit, und wenn wir während des Unterrichts vom Schüler den<lb/> unbedingtesten Gehorsam verlangen, so soll er dagegen im Spiel souverain und schöpfe¬<lb/> risch sein. — Uebrigens wollen wir damit keineswegs über die andere Frage abspre-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
gogische Reformvorschläge müssen sich immer an Privatinstitute wenden, und diese setzen
wieder, um gedeihen zu können, die Theilnahme der bemittelten Klassen voraus. Freilich
würde diesen Klassen sehr bald einleuchten, daß es höchst unzweckmäßig ist, ihre Kinder
in der Schule etwas lernen zu lassen, was sie nachher in ihrem Berus nicht anwenden
können. Nur leider sind die Berufszweige sehr verschieden, und wenn man den Werth
der im Unterricht überlieferten Kenntnisse nach dem Verhältniß ihrer Brauchbarkeit für
das praktische Leben des Mannesalters abmessen wollte, so würde sich schwerlich eine
Einheit herstellen lassen. An diesem Uebelstand leiden alle unsre. Rcälschulein es soll
für jeden der verschiedenen Berufszweige irgend etwas Nützliches gelehrt werden, und
darüber geht die Einheit der Bildung verloren. — Die ganze Richtung der Philan¬
thropine scheint uns an einer falschen Voraussetzung zu leiden. Sie hält -es nämlich
für unrecht, die sogenannte freie, natürliche Entwickelung des Kindes durch eine äußer¬
liche Autorität zu unterbrechen und dadurch die verschiedenen Individualitäten in eine
gemeinsame Richtung zu zwängen. Uns scheint das aber gerade die Hauptsache bei der
ganzen Erziehung. Das Kind soll an Disciplin und Autorität gewöhnt werden; es
soll lernen, seiner unbändigen Natur Zwang anzuthun und sich die Traditionen
anzueignen, noch ehe es dieselben versteht. Allerdings ist bereits das Erste, was
das Kind lernt, das Buchstabiren, die unerhörteste Abstrciction, die überhaupt im
ganzen Unterricht vorkommt, und wenn man dasselbe nach der sokratischen Manier
organisch entwickeln wollte, so würde man nicht weit kommen. Es scheint
zwar .auf den ersten Augenblick sehr naturgemäß, das Kind erst auf Fragen zu brin¬
gen, ehe man ihm Antwort ertheilt, und bis auf einen gewissen Grad ist das
auch im Privatunterricht, wie. in einer kleinen Pension zu erreichen; aber eben darum
taugen diese Institute Nichts. Die strenge Zucht der Schule, in der das Kind, aber,
wohl gemerkt, nur für gewisse Thätigkeiten, seine individuelle Freiheit vollkommen aus¬
geben muß, ist das heilsamste Mittel, freie Männer herauszubilden, denn nur durch die
Zucht, die man von außen her empfangen hat, lernt man die Zucht gegen sich selber
zu wenden, und ohne diese Zucht ist alle Freiheit ein Unsinn. — Gerade darum scheint
uns die neue Philanthropie.auch wieder nach einer entgegengesetzten Seite hin zu sün¬
digen. Wenn wir für den eigentlichen Schulunterricht die unbedingte Entäußerung der
Willkür fordern, so verlangen wir als die Ergänzung dafür die absolute Freiheit des
Spiels und für's Haus die individuelle Einwirkung der Familie. Nun sagt man uns, daß
z. B. in dem neuen Institut der Kindergärten die Sache umgekehrt wird, daß man den
eigentlichen Unterricht spielend beibringt, und dagegen das Spiel nach einem verständi¬
gen Plan lenkt, daß man das Kind überlistet, indem es zu spielen glaubt, und statt
dessen etwas sehr Vernünftiges producirt. Inwieweit das wahr ist, wissen wir aus
eigener Anschauung nicht; wenn es aber wahr ist, so müssen wir es auf das Unbe¬
dingteste verwerfen. Das Spiel ist auf seine Art gerade so ein Heiligthum, wie im
spätern 'Leben die Kunst, und wenn der rohe Despotismus hineingreift, so ist das noch
lange nicht so schlimm, als wenn eine wohlwollende Zudringlichkeit es nach höheren
Absichten ins Gebiet des Zweckmäßiger übertragen will, denn das Wesen des Spiels
ist gerade die Zwecklosigkeit, und wenn wir während des Unterrichts vom Schüler den
unbedingtesten Gehorsam verlangen, so soll er dagegen im Spiel souverain und schöpfe¬
risch sein. — Uebrigens wollen wir damit keineswegs über die andere Frage abspre-
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