Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.leicht verleiden lassen. Man muß sich jeden Augenblick sagen, daß durch Abstim¬ Was uns dagegen bei unsrem parlamentarischen Leben zunächst interessirt, Die Parteien, welche seit dem Jahre 1848 in den Vordergrund traten, die leicht verleiden lassen. Man muß sich jeden Augenblick sagen, daß durch Abstim¬ Was uns dagegen bei unsrem parlamentarischen Leben zunächst interessirt, Die Parteien, welche seit dem Jahre 1848 in den Vordergrund traten, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94897"/> <p xml:id="ID_1358" prev="#ID_1357"> leicht verleiden lassen. Man muß sich jeden Augenblick sagen, daß durch Abstim¬<lb/> mung und Beschlüsse der Kammern noch nicht viel erreicht ist, und daß es daher<lb/> eine überflüssige Mühe zu sein scheint, überhaupt abzustimmen und zu beschließen:<lb/> eine Ansicht, die vom sogenannten Centrum praktisch ausgeführt wird, da die<lb/> Beschlüsse desselben meist darauf ausgehen, nichts zu beschließen. Man muß sich<lb/> sagen, daß eine Volksvertretung, an deren Wahl sehr Wenige Theil genommen<lb/> haben, und die zum großen Theil aus Beamten besteht, mir ein sehr fragliches<lb/> Recht zu diesem Namen hat. Man muß sich endlich sagen, daß gerade in dem<lb/> gegenwärtigen parlamentarischen System die Rechtsunsicherheit viel größer ist, als<lb/> vor 1848, weil damals der Regierung zwar keine Schranken entgegenstanden,<lb/> aber diese Schranken durch eine große Scheu vor der öffentlichen Meinung, durch<lb/> ein im Ganzen strenges Rechtsgefühl und durch eine geheime Neigung zum Libe¬<lb/> ralismus ersetzt wurden. — Die gegenwärtigen Machthaber haben diese Scheu und<lb/> diese Neigung überwunden; sie sind sich ihrer Stärke bewußt geworden, und<lb/> fragen nichts darnach, die bestimmten Rechtsformen, die ihnen jetzt entgegenstehen,<lb/> ohne Weiteres hintanzusetzen, wo es sich um ihre augenblicklichen Pläne handelt.<lb/> Sie vertreten in der Wirklichkeit das absolute Königthum, sie haben dem König¬<lb/> thum einen dem Liberalismus in allen Punkten durchaus entgegengesetzten Inhalt<lb/> gegeben, eiuen aristokratischen, ultrakirchlichen n. s. w., und sie haben sich auch<lb/> die scheinbar überflüssige Mühe genommen, durch die Provinzialstände das alte<lb/> ständische Preußen gegen das herrschende System des Staats in's Feld zu führen.<lb/> Das Alles sind Verhältnisse, welche die Rolle des Volksvertreters zu einer sehr<lb/> undankbaren machen, und die dem Liberalismus Tag für Tag neues Terrain ent¬<lb/> ziehen, so lange man nämlich in den Kammern nichts weiter sucht, als den un¬<lb/> mittelbaren Erfolg.</p><lb/> <p xml:id="ID_1359"> Was uns dagegen bei unsrem parlamentarischen Leben zunächst interessirt,<lb/> ist der Spielraum, deu es einer auf dem Boden des preußischen Staats erwach¬<lb/> senen Parteibildung verstattet. Das wäre allerdings nicht möglich, wenn man<lb/> überhaupt die Möglichkeit einer unmittelbaren, wenn auch nur hemmenden Ein¬<lb/> wirkung auf das wirkliche Staatsleben aufgäbe; allein eine solche Einwirkung liegt<lb/> schon in der öffentlichen freien Besprechung der Staatsangelegenheiten. Anzu¬<lb/> nehmen, daß es für einen Minister auf die Länge gleichgiltig sein kann, Tag für<lb/> Tag sein Verfahren der schärfsten Kritik von einer competenten Versammlung<lb/> unterworfen zu sehen, oder daß diese Kritik ohne allen Einfluß ans die Krone<lb/> und auf die sonstige» Mächte im Staat, durch welche die Regierung getragen<lb/> wird, bleiben konnte, ist doch wol offenbare Thorheit. Es kommt nur darauf<lb/> an, daß diese Kritik nicht von einem allgemeinen Gefühl, sondern von einem<lb/> bestimmten, aus dem Boden der wirklichen Verhältnisse gegründeten Princip<lb/> ausgeht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1360" next="#ID_1361"> Die Parteien, welche seit dem Jahre 1848 in den Vordergrund traten, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0456]
leicht verleiden lassen. Man muß sich jeden Augenblick sagen, daß durch Abstim¬
mung und Beschlüsse der Kammern noch nicht viel erreicht ist, und daß es daher
eine überflüssige Mühe zu sein scheint, überhaupt abzustimmen und zu beschließen:
eine Ansicht, die vom sogenannten Centrum praktisch ausgeführt wird, da die
Beschlüsse desselben meist darauf ausgehen, nichts zu beschließen. Man muß sich
sagen, daß eine Volksvertretung, an deren Wahl sehr Wenige Theil genommen
haben, und die zum großen Theil aus Beamten besteht, mir ein sehr fragliches
Recht zu diesem Namen hat. Man muß sich endlich sagen, daß gerade in dem
gegenwärtigen parlamentarischen System die Rechtsunsicherheit viel größer ist, als
vor 1848, weil damals der Regierung zwar keine Schranken entgegenstanden,
aber diese Schranken durch eine große Scheu vor der öffentlichen Meinung, durch
ein im Ganzen strenges Rechtsgefühl und durch eine geheime Neigung zum Libe¬
ralismus ersetzt wurden. — Die gegenwärtigen Machthaber haben diese Scheu und
diese Neigung überwunden; sie sind sich ihrer Stärke bewußt geworden, und
fragen nichts darnach, die bestimmten Rechtsformen, die ihnen jetzt entgegenstehen,
ohne Weiteres hintanzusetzen, wo es sich um ihre augenblicklichen Pläne handelt.
Sie vertreten in der Wirklichkeit das absolute Königthum, sie haben dem König¬
thum einen dem Liberalismus in allen Punkten durchaus entgegengesetzten Inhalt
gegeben, eiuen aristokratischen, ultrakirchlichen n. s. w., und sie haben sich auch
die scheinbar überflüssige Mühe genommen, durch die Provinzialstände das alte
ständische Preußen gegen das herrschende System des Staats in's Feld zu führen.
Das Alles sind Verhältnisse, welche die Rolle des Volksvertreters zu einer sehr
undankbaren machen, und die dem Liberalismus Tag für Tag neues Terrain ent¬
ziehen, so lange man nämlich in den Kammern nichts weiter sucht, als den un¬
mittelbaren Erfolg.
Was uns dagegen bei unsrem parlamentarischen Leben zunächst interessirt,
ist der Spielraum, deu es einer auf dem Boden des preußischen Staats erwach¬
senen Parteibildung verstattet. Das wäre allerdings nicht möglich, wenn man
überhaupt die Möglichkeit einer unmittelbaren, wenn auch nur hemmenden Ein¬
wirkung auf das wirkliche Staatsleben aufgäbe; allein eine solche Einwirkung liegt
schon in der öffentlichen freien Besprechung der Staatsangelegenheiten. Anzu¬
nehmen, daß es für einen Minister auf die Länge gleichgiltig sein kann, Tag für
Tag sein Verfahren der schärfsten Kritik von einer competenten Versammlung
unterworfen zu sehen, oder daß diese Kritik ohne allen Einfluß ans die Krone
und auf die sonstige» Mächte im Staat, durch welche die Regierung getragen
wird, bleiben konnte, ist doch wol offenbare Thorheit. Es kommt nur darauf
an, daß diese Kritik nicht von einem allgemeinen Gefühl, sondern von einem
bestimmten, aus dem Boden der wirklichen Verhältnisse gegründeten Princip
ausgeht.
Die Parteien, welche seit dem Jahre 1848 in den Vordergrund traten, die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |