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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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bei den älteren allmählich zu günstigen Resultaten geführt haben. Es ist gut und
nützlich, daß sich ein constitutionelles Gewohnheitsrecht bildet, welches sich geltend
macht ohne äußere Autorität, blos durch die Uebereinstimmung und Zweckmäßig¬
keit seines Inhalts.

Allein eben so wenig dürfen wir verschweigen, daß wir trotz der innern
Vortrefflichkeit des constitutionellen Princips und trotz aller Eidschwüre, mit denen
man dasselbe äußerlich bei uns festgestellt hat, sehr wenig Glauben an die Fort¬
dauer und Fortentwickelung desselben hegen würden, wenn wir uicht die Ueber¬
zeugung hätten, daß es sich eben so naturgemäß aus der individuellen Beschaffenheit
unsres Volks und unsres Staats entwickelte, als bei den Engländern der Fall
gewesen ist. Wir werden daher anch begreifen, daß es bei uns seine eigene",
von der Verfassung anderer Völker wesentlich abweichenden Formen finden muß.

Die Nichtachtung dieses individuelle" eigenthümlichen Inhalts, dem die
Verfassung nnr seine angemessene Form geben soll, ist der Hauptfehler im Libe¬
ralismus des 18. Jahrhunderts, und er tritt auch noch in unsrer Zeit zuweilen
in den nächsten Kreisen unsrer Gesinnungsgenossen hervor.

Der Ausgangspunkt des modernen Liberalismus war die aufgeklärte Despotie.
Eine Reihe genialer Fürsten und Staatsmänner hatten die Volker daran gewohnt,
ihr Augenmerk vorzugsweise auf die Ausbildung der materiellen Interessen z"
richten, und gegen die tieferen geistigen Momente im nationalen und religiösen
Leben gleichgiltig zu sein. Der Staat galt als eine Musterwirtschaft in: Großen.
Durch Sprichwörter aus dem Munde des alten Fritz (in meinen Staaten darf
Jeder nach seiner Fa^on selig werden ze.) gewann diese Ansicht eine große Popu¬
larität, und als man endlich dahinter kam, daß das bessere Wissen genialer
Fürsten und Staatsmäimer doch ein gefährlicher Hebel für das Staatswesen
und auf die Dauer nicht zu ertragen sei, nud als mau in Folge dessen nach
einem neuen bewegenden Motiv im politischen Lebe" suchte, ging doch unbewußt der
Inhalt der alten Ansicht auf das neue Princip über. Geniale Fürsten, die das
Gute wollen, sind selten, und auch wo es der Fall ist, köunen sie Unheil anstiften,
wie es das Beispiel Joseph II. zeigte, der bei dem besten Willen von der Welt
doch mit seinen Absichten scheiterte, weil er die nothwendigen Voraussetzungen,
die Sympathien der Völker, nicht in Rechnung gebracht hatte. Statt dessen
suchte mau also nun einen Mechanismus herzustellen, in welchem die poli¬
tische Vernunft sich selber hervorbringen sollte. Ob man Montesquieu oder
Rousseau folgte, ob mau das Wahlrecht auf beschränkter oder aus breitester
Grundlage aufbaute, darüber war man einig, daß dieser mechanisch hervorgebrachte
Collectivwille der Nation an Stelle des fürstlichen Absolutismus treten, und daß
in deu Gebiete", die ih" uicht berührten, z. B. im Gebiet der Religion, die
größtmögliche Freiheit und Toleranz herrschen sollte. Dieses Princip war z. B-
noch bei einem höchst geistvollen Staatsmann, W. von Humboldt, das leitende.


bei den älteren allmählich zu günstigen Resultaten geführt haben. Es ist gut und
nützlich, daß sich ein constitutionelles Gewohnheitsrecht bildet, welches sich geltend
macht ohne äußere Autorität, blos durch die Uebereinstimmung und Zweckmäßig¬
keit seines Inhalts.

Allein eben so wenig dürfen wir verschweigen, daß wir trotz der innern
Vortrefflichkeit des constitutionellen Princips und trotz aller Eidschwüre, mit denen
man dasselbe äußerlich bei uns festgestellt hat, sehr wenig Glauben an die Fort¬
dauer und Fortentwickelung desselben hegen würden, wenn wir uicht die Ueber¬
zeugung hätten, daß es sich eben so naturgemäß aus der individuellen Beschaffenheit
unsres Volks und unsres Staats entwickelte, als bei den Engländern der Fall
gewesen ist. Wir werden daher anch begreifen, daß es bei uns seine eigene»,
von der Verfassung anderer Völker wesentlich abweichenden Formen finden muß.

Die Nichtachtung dieses individuelle» eigenthümlichen Inhalts, dem die
Verfassung nnr seine angemessene Form geben soll, ist der Hauptfehler im Libe¬
ralismus des 18. Jahrhunderts, und er tritt auch noch in unsrer Zeit zuweilen
in den nächsten Kreisen unsrer Gesinnungsgenossen hervor.

Der Ausgangspunkt des modernen Liberalismus war die aufgeklärte Despotie.
Eine Reihe genialer Fürsten und Staatsmänner hatten die Volker daran gewohnt,
ihr Augenmerk vorzugsweise auf die Ausbildung der materiellen Interessen z»
richten, und gegen die tieferen geistigen Momente im nationalen und religiösen
Leben gleichgiltig zu sein. Der Staat galt als eine Musterwirtschaft in: Großen.
Durch Sprichwörter aus dem Munde des alten Fritz (in meinen Staaten darf
Jeder nach seiner Fa^on selig werden ze.) gewann diese Ansicht eine große Popu¬
larität, und als man endlich dahinter kam, daß das bessere Wissen genialer
Fürsten und Staatsmäimer doch ein gefährlicher Hebel für das Staatswesen
und auf die Dauer nicht zu ertragen sei, nud als mau in Folge dessen nach
einem neuen bewegenden Motiv im politischen Lebe» suchte, ging doch unbewußt der
Inhalt der alten Ansicht auf das neue Princip über. Geniale Fürsten, die das
Gute wollen, sind selten, und auch wo es der Fall ist, köunen sie Unheil anstiften,
wie es das Beispiel Joseph II. zeigte, der bei dem besten Willen von der Welt
doch mit seinen Absichten scheiterte, weil er die nothwendigen Voraussetzungen,
die Sympathien der Völker, nicht in Rechnung gebracht hatte. Statt dessen
suchte mau also nun einen Mechanismus herzustellen, in welchem die poli¬
tische Vernunft sich selber hervorbringen sollte. Ob man Montesquieu oder
Rousseau folgte, ob mau das Wahlrecht auf beschränkter oder aus breitester
Grundlage aufbaute, darüber war man einig, daß dieser mechanisch hervorgebrachte
Collectivwille der Nation an Stelle des fürstlichen Absolutismus treten, und daß
in deu Gebiete», die ih» uicht berührten, z. B. im Gebiet der Religion, die
größtmögliche Freiheit und Toleranz herrschen sollte. Dieses Princip war z. B-
noch bei einem höchst geistvollen Staatsmann, W. von Humboldt, das leitende.


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[0454] bei den älteren allmählich zu günstigen Resultaten geführt haben. Es ist gut und nützlich, daß sich ein constitutionelles Gewohnheitsrecht bildet, welches sich geltend macht ohne äußere Autorität, blos durch die Uebereinstimmung und Zweckmäßig¬ keit seines Inhalts. Allein eben so wenig dürfen wir verschweigen, daß wir trotz der innern Vortrefflichkeit des constitutionellen Princips und trotz aller Eidschwüre, mit denen man dasselbe äußerlich bei uns festgestellt hat, sehr wenig Glauben an die Fort¬ dauer und Fortentwickelung desselben hegen würden, wenn wir uicht die Ueber¬ zeugung hätten, daß es sich eben so naturgemäß aus der individuellen Beschaffenheit unsres Volks und unsres Staats entwickelte, als bei den Engländern der Fall gewesen ist. Wir werden daher anch begreifen, daß es bei uns seine eigene», von der Verfassung anderer Völker wesentlich abweichenden Formen finden muß. Die Nichtachtung dieses individuelle» eigenthümlichen Inhalts, dem die Verfassung nnr seine angemessene Form geben soll, ist der Hauptfehler im Libe¬ ralismus des 18. Jahrhunderts, und er tritt auch noch in unsrer Zeit zuweilen in den nächsten Kreisen unsrer Gesinnungsgenossen hervor. Der Ausgangspunkt des modernen Liberalismus war die aufgeklärte Despotie. Eine Reihe genialer Fürsten und Staatsmänner hatten die Volker daran gewohnt, ihr Augenmerk vorzugsweise auf die Ausbildung der materiellen Interessen z» richten, und gegen die tieferen geistigen Momente im nationalen und religiösen Leben gleichgiltig zu sein. Der Staat galt als eine Musterwirtschaft in: Großen. Durch Sprichwörter aus dem Munde des alten Fritz (in meinen Staaten darf Jeder nach seiner Fa^on selig werden ze.) gewann diese Ansicht eine große Popu¬ larität, und als man endlich dahinter kam, daß das bessere Wissen genialer Fürsten und Staatsmäimer doch ein gefährlicher Hebel für das Staatswesen und auf die Dauer nicht zu ertragen sei, nud als mau in Folge dessen nach einem neuen bewegenden Motiv im politischen Lebe» suchte, ging doch unbewußt der Inhalt der alten Ansicht auf das neue Princip über. Geniale Fürsten, die das Gute wollen, sind selten, und auch wo es der Fall ist, köunen sie Unheil anstiften, wie es das Beispiel Joseph II. zeigte, der bei dem besten Willen von der Welt doch mit seinen Absichten scheiterte, weil er die nothwendigen Voraussetzungen, die Sympathien der Völker, nicht in Rechnung gebracht hatte. Statt dessen suchte mau also nun einen Mechanismus herzustellen, in welchem die poli¬ tische Vernunft sich selber hervorbringen sollte. Ob man Montesquieu oder Rousseau folgte, ob mau das Wahlrecht auf beschränkter oder aus breitester Grundlage aufbaute, darüber war man einig, daß dieser mechanisch hervorgebrachte Collectivwille der Nation an Stelle des fürstlichen Absolutismus treten, und daß in deu Gebiete», die ih» uicht berührten, z. B. im Gebiet der Religion, die größtmögliche Freiheit und Toleranz herrschen sollte. Dieses Princip war z. B- noch bei einem höchst geistvollen Staatsmann, W. von Humboldt, das leitende.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/454>, abgerufen am 22.12.2024.