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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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lichkeit und leidenschaftlicher Aufwallung, sich zurückhalten hieß, soll ihm nicht zum
Vorwurf gemacht werden. An und für sich lag der Keim einer edlen Selbstachtung,
einer Art Jungfräulichkeit darin, die, ein Wünschenswerther Talisman gegen das
'Gemeine, unseren Jünglingen und Männern nicht genug zu empfehlen wäre.
Aber Goethe hat leider diese Naturanlage nicht vor einem unpassenden Ausgange
geschützt.

Auch Christiane Vulpius hat ihren aävooawg ämboli gesunden. Adolph Stahr
hat ein hübsches geistreiches und unterhaltendes Buch aus Erinnerungen an Weimar
und Jena zusammengestellt. Es ist schade, daß er die Ausfälle seiner Polemik dies¬
mal auch gegen eine tugendhafte Frau wendet und zwar mit einer Erbitterung, wie
er sie sonst nur gegen die christliche Religion, und allenfalls auch noch gegen die
preußische Monarchie richtet. Es ist dies Frau von Stein, die edle Freundin
Goethe's, auf deren Unkosten er jene Christiane Vulpius zu erheben trachtet. Er
bestrebt sich ihr den Nimbus eiuer treuen bescheidenen Liebe zu leihen, die im¬
mer bereit und fähig gewesen, sich für den hohen Geliebten aufzuopfern, seinen
Werth und seinen Geist anerkennend. Wir wollen diese schöne Täuschung hier
nicht durch Aufzählung der bekannten häßlichen Thatsachen widerlegen; es wäre
ein zu schmerzliches Geschäft. Es ist tragisch, daß der Dichter der wahrsten
Herzensempfindung durch eigene Schuld seine Ehe und Häuslichkeit, die Heilig¬
tümer menschlicher Verhältnisse, so uubeglückend gestaltete. Er, der nach allen
Seiten von des Glückes Gunst überhäuft war,, gesteht ja, daß er dennoch in
seinem langen Leben kaum den Zeitraum eines einzigen Mondes sich glücklich ge¬
fühlt habe. Wie konnte er auch anders, da das beste Erdenglück, das Fami¬
lienleben, ihm vergiftet war. Welche Empfindung mußte er seinem einzigen
Sohne gegenüber haben, da er erst in dessen sechzehnten Jahre seiner Mutter
durch die Trauung einen ehrlichen Namen gab. Erst beim Kanonendonner der
Schlacht von Jena konnte er sich dazu entschließen, vielleicht weil er dachte, bei
diesem weltgeschichtlichen Getöse würde seine häusliche Geschichte nicht so viel
Lärm machen, aber er hat gerade dadurch ein unvergeßliches Datum dazu ge¬
liefert. Und wie mußte seiner aristokratischen, fein organisirten Natur die Lebens¬
weise der Frau 'zuwider sein, die seinen Namen trug. Deun es war ja doch
sein eigenes Werk, die feineren Empfindungen zugleich mit dem Ehrgefühl getödtet
zu haben in diesem Weibe, das er zu sich hinauf ziehen und veredeln konnte,
als es noch Zeit war. Jean Jaques Rousseau mit seiner Therese, Magd und
Gattin in einer Person, war allerdings ein ähnliches Verhältniß, aber der fran¬
zösische Schriftsteller hatte mehr Entschuldigungsgründe, als Goeche. Er lebte
fern von der menschlichen Gesellschaft und ihrem Sittengesetz; seine Eigenschaft
als Sonderling reizte ihn zum Kampf wieder dasselbe, und seine Armuth erschwerte
ihm ohnedies die Gründung einer Familie, wonach er sich im Stillen doch sehnte.
Adolph Stahr macht für Goethe nicht allein als Entschuldigung, sondern geradezu


lichkeit und leidenschaftlicher Aufwallung, sich zurückhalten hieß, soll ihm nicht zum
Vorwurf gemacht werden. An und für sich lag der Keim einer edlen Selbstachtung,
einer Art Jungfräulichkeit darin, die, ein Wünschenswerther Talisman gegen das
'Gemeine, unseren Jünglingen und Männern nicht genug zu empfehlen wäre.
Aber Goethe hat leider diese Naturanlage nicht vor einem unpassenden Ausgange
geschützt.

Auch Christiane Vulpius hat ihren aävooawg ämboli gesunden. Adolph Stahr
hat ein hübsches geistreiches und unterhaltendes Buch aus Erinnerungen an Weimar
und Jena zusammengestellt. Es ist schade, daß er die Ausfälle seiner Polemik dies¬
mal auch gegen eine tugendhafte Frau wendet und zwar mit einer Erbitterung, wie
er sie sonst nur gegen die christliche Religion, und allenfalls auch noch gegen die
preußische Monarchie richtet. Es ist dies Frau von Stein, die edle Freundin
Goethe's, auf deren Unkosten er jene Christiane Vulpius zu erheben trachtet. Er
bestrebt sich ihr den Nimbus eiuer treuen bescheidenen Liebe zu leihen, die im¬
mer bereit und fähig gewesen, sich für den hohen Geliebten aufzuopfern, seinen
Werth und seinen Geist anerkennend. Wir wollen diese schöne Täuschung hier
nicht durch Aufzählung der bekannten häßlichen Thatsachen widerlegen; es wäre
ein zu schmerzliches Geschäft. Es ist tragisch, daß der Dichter der wahrsten
Herzensempfindung durch eigene Schuld seine Ehe und Häuslichkeit, die Heilig¬
tümer menschlicher Verhältnisse, so uubeglückend gestaltete. Er, der nach allen
Seiten von des Glückes Gunst überhäuft war,, gesteht ja, daß er dennoch in
seinem langen Leben kaum den Zeitraum eines einzigen Mondes sich glücklich ge¬
fühlt habe. Wie konnte er auch anders, da das beste Erdenglück, das Fami¬
lienleben, ihm vergiftet war. Welche Empfindung mußte er seinem einzigen
Sohne gegenüber haben, da er erst in dessen sechzehnten Jahre seiner Mutter
durch die Trauung einen ehrlichen Namen gab. Erst beim Kanonendonner der
Schlacht von Jena konnte er sich dazu entschließen, vielleicht weil er dachte, bei
diesem weltgeschichtlichen Getöse würde seine häusliche Geschichte nicht so viel
Lärm machen, aber er hat gerade dadurch ein unvergeßliches Datum dazu ge¬
liefert. Und wie mußte seiner aristokratischen, fein organisirten Natur die Lebens¬
weise der Frau 'zuwider sein, die seinen Namen trug. Deun es war ja doch
sein eigenes Werk, die feineren Empfindungen zugleich mit dem Ehrgefühl getödtet
zu haben in diesem Weibe, das er zu sich hinauf ziehen und veredeln konnte,
als es noch Zeit war. Jean Jaques Rousseau mit seiner Therese, Magd und
Gattin in einer Person, war allerdings ein ähnliches Verhältniß, aber der fran¬
zösische Schriftsteller hatte mehr Entschuldigungsgründe, als Goeche. Er lebte
fern von der menschlichen Gesellschaft und ihrem Sittengesetz; seine Eigenschaft
als Sonderling reizte ihn zum Kampf wieder dasselbe, und seine Armuth erschwerte
ihm ohnedies die Gründung einer Familie, wonach er sich im Stillen doch sehnte.
Adolph Stahr macht für Goethe nicht allein als Entschuldigung, sondern geradezu


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[0393] lichkeit und leidenschaftlicher Aufwallung, sich zurückhalten hieß, soll ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. An und für sich lag der Keim einer edlen Selbstachtung, einer Art Jungfräulichkeit darin, die, ein Wünschenswerther Talisman gegen das 'Gemeine, unseren Jünglingen und Männern nicht genug zu empfehlen wäre. Aber Goethe hat leider diese Naturanlage nicht vor einem unpassenden Ausgange geschützt. Auch Christiane Vulpius hat ihren aävooawg ämboli gesunden. Adolph Stahr hat ein hübsches geistreiches und unterhaltendes Buch aus Erinnerungen an Weimar und Jena zusammengestellt. Es ist schade, daß er die Ausfälle seiner Polemik dies¬ mal auch gegen eine tugendhafte Frau wendet und zwar mit einer Erbitterung, wie er sie sonst nur gegen die christliche Religion, und allenfalls auch noch gegen die preußische Monarchie richtet. Es ist dies Frau von Stein, die edle Freundin Goethe's, auf deren Unkosten er jene Christiane Vulpius zu erheben trachtet. Er bestrebt sich ihr den Nimbus eiuer treuen bescheidenen Liebe zu leihen, die im¬ mer bereit und fähig gewesen, sich für den hohen Geliebten aufzuopfern, seinen Werth und seinen Geist anerkennend. Wir wollen diese schöne Täuschung hier nicht durch Aufzählung der bekannten häßlichen Thatsachen widerlegen; es wäre ein zu schmerzliches Geschäft. Es ist tragisch, daß der Dichter der wahrsten Herzensempfindung durch eigene Schuld seine Ehe und Häuslichkeit, die Heilig¬ tümer menschlicher Verhältnisse, so uubeglückend gestaltete. Er, der nach allen Seiten von des Glückes Gunst überhäuft war,, gesteht ja, daß er dennoch in seinem langen Leben kaum den Zeitraum eines einzigen Mondes sich glücklich ge¬ fühlt habe. Wie konnte er auch anders, da das beste Erdenglück, das Fami¬ lienleben, ihm vergiftet war. Welche Empfindung mußte er seinem einzigen Sohne gegenüber haben, da er erst in dessen sechzehnten Jahre seiner Mutter durch die Trauung einen ehrlichen Namen gab. Erst beim Kanonendonner der Schlacht von Jena konnte er sich dazu entschließen, vielleicht weil er dachte, bei diesem weltgeschichtlichen Getöse würde seine häusliche Geschichte nicht so viel Lärm machen, aber er hat gerade dadurch ein unvergeßliches Datum dazu ge¬ liefert. Und wie mußte seiner aristokratischen, fein organisirten Natur die Lebens¬ weise der Frau 'zuwider sein, die seinen Namen trug. Deun es war ja doch sein eigenes Werk, die feineren Empfindungen zugleich mit dem Ehrgefühl getödtet zu haben in diesem Weibe, das er zu sich hinauf ziehen und veredeln konnte, als es noch Zeit war. Jean Jaques Rousseau mit seiner Therese, Magd und Gattin in einer Person, war allerdings ein ähnliches Verhältniß, aber der fran¬ zösische Schriftsteller hatte mehr Entschuldigungsgründe, als Goeche. Er lebte fern von der menschlichen Gesellschaft und ihrem Sittengesetz; seine Eigenschaft als Sonderling reizte ihn zum Kampf wieder dasselbe, und seine Armuth erschwerte ihm ohnedies die Gründung einer Familie, wonach er sich im Stillen doch sehnte. Adolph Stahr macht für Goethe nicht allein als Entschuldigung, sondern geradezu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/393>, abgerufen am 22.12.2024.