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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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die allergrößtsten Dienste geleistet hatte, erregte als die unerklärliche Ausgeburt
einer absolutistischen Laune, als die völlige Verhöhnung der Verfassung und der
Interessen des Landes sofort den unzweideutigsten Unwillen in den gebildeten
Kreisen der Bevölkerung. Nach wenigen Stunden schon erhielten die Minister
von allen Seiten Entlassuugsgesnche. Die Beamten in den Ministerien, mehrere
der ersten Ofstciere der Besatzung gingen damit voran. Der höchste Gerichtshof
trat zusammen, um über seine Collectio-Demission zu berathen. Die Gesinnung
des Publicums docunicntirte sich in ähnlicher Weise. Narvaez und sogar Sar-
torius wurden, als sie Mittags durch die Alcalastraße nach dem Prado fuhren,
von einer zahlreichen Menge mit Hochachtung und Beifall begrüßt. Es erschien
unausbleiblich,. daß, wenn die Königin das abenteuerliche Cabinet, daS sie ge¬
schaffen, aufrecht erhalten wollte, die Nation den ernstesten Eventualitäten ent¬
gegen ginge. Selbst Marie Christine trat offen auf die Seite des Herzogs von
Valencia, dem sie trotz der politischen Beweggründe, die sie in neuerer Zeit zu
Bundesgenossen gemacht hatten, eben keine persönliche Freundschaft widmete. Als
ihre königliche Tochter, erschreckt über die unmittelbare" Folgen ihres Staatsstreichs,
zu ihr schickte, um sie um ihren Besuch zu bitten, erfolgte die Antwort, so lange
das Ministerium Cleouard-Balboa regiere, werde die Königin Mutter den Palast
nicht betreten. Jsabella begab sich hierauf selber zu ihrer Mutter und nach einer
länger" Unterredung übernahm diese den Auftrag, Narvaez wieder die Ueber¬
nahme der Gewalt anzutragen. Nach einer kurzen, nicht ernstlich gemeinten Weige¬
rung verstand sich der General auch dazu, unter der Bedingung, daß diejenigen,
welche jene Intrigue gegen ihn in's Werk gesetzt hätten, zur Verantwortung ge.
zogen würden. Diese Bedingung, welche das königliche Ansehn gravirte, ward
zugestanden. Noch an demselben Abend wurden die Machthaber eines Tages
ihrer ephemeren Würde entkleidet, Narvaez und seine Collegen wieder eingesetzt,
Balboa nach Ceuta, und Fnlgenciv, der Beichtvater des Königs, den man für den
Hauptanstifter des verwegenen Streiches hielt, "ach Sevilla verwiesen.

Diese so kläglich gescheiterte Intrigue unterliegt den verschiedenste" Ausle¬
gungen. Man war eine Zeit lang geneigt, sie nur sür das Werk einiger fanati¬
scher Pfaffen zu halten, die sich des schwachen Don Francisco gänzlich bemächtigt
hatten und durch ihn > und seinen Einfluß , ans die Königin das constitutionelle Sy¬
stem zu stürzen, und die Zügel deS Staates in die Hände einer geistlichen Camarilla
zu legen hofften. Die Abenteuerlichkeit des Unternehmens > erschien noch größer
durch die Theilnahme einer Nonne, der Schwester Patrocinia, die in gewissen
Kreisen den Ruf der Heiligkeit um sich verbreitet hatte und mit dem Beichtvater
des .Königs in genauem Vernehmen stand. Narvaez ließ sie ohne Sehen vor
ihrem heiligen Charakter nach Badajoz transportiren, wo sie eine Zeit lang unter
polizeilicher Aufsicht gehalten wurde. Trotz dieser vorwiegend romanhaften Seite
des Complotes bewies die Folge, daß die Fäden desselben weit über die nächsten


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die allergrößtsten Dienste geleistet hatte, erregte als die unerklärliche Ausgeburt
einer absolutistischen Laune, als die völlige Verhöhnung der Verfassung und der
Interessen des Landes sofort den unzweideutigsten Unwillen in den gebildeten
Kreisen der Bevölkerung. Nach wenigen Stunden schon erhielten die Minister
von allen Seiten Entlassuugsgesnche. Die Beamten in den Ministerien, mehrere
der ersten Ofstciere der Besatzung gingen damit voran. Der höchste Gerichtshof
trat zusammen, um über seine Collectio-Demission zu berathen. Die Gesinnung
des Publicums docunicntirte sich in ähnlicher Weise. Narvaez und sogar Sar-
torius wurden, als sie Mittags durch die Alcalastraße nach dem Prado fuhren,
von einer zahlreichen Menge mit Hochachtung und Beifall begrüßt. Es erschien
unausbleiblich,. daß, wenn die Königin das abenteuerliche Cabinet, daS sie ge¬
schaffen, aufrecht erhalten wollte, die Nation den ernstesten Eventualitäten ent¬
gegen ginge. Selbst Marie Christine trat offen auf die Seite des Herzogs von
Valencia, dem sie trotz der politischen Beweggründe, die sie in neuerer Zeit zu
Bundesgenossen gemacht hatten, eben keine persönliche Freundschaft widmete. Als
ihre königliche Tochter, erschreckt über die unmittelbare» Folgen ihres Staatsstreichs,
zu ihr schickte, um sie um ihren Besuch zu bitten, erfolgte die Antwort, so lange
das Ministerium Cleouard-Balboa regiere, werde die Königin Mutter den Palast
nicht betreten. Jsabella begab sich hierauf selber zu ihrer Mutter und nach einer
länger» Unterredung übernahm diese den Auftrag, Narvaez wieder die Ueber¬
nahme der Gewalt anzutragen. Nach einer kurzen, nicht ernstlich gemeinten Weige¬
rung verstand sich der General auch dazu, unter der Bedingung, daß diejenigen,
welche jene Intrigue gegen ihn in's Werk gesetzt hätten, zur Verantwortung ge.
zogen würden. Diese Bedingung, welche das königliche Ansehn gravirte, ward
zugestanden. Noch an demselben Abend wurden die Machthaber eines Tages
ihrer ephemeren Würde entkleidet, Narvaez und seine Collegen wieder eingesetzt,
Balboa nach Ceuta, und Fnlgenciv, der Beichtvater des Königs, den man für den
Hauptanstifter des verwegenen Streiches hielt, «ach Sevilla verwiesen.

Diese so kläglich gescheiterte Intrigue unterliegt den verschiedenste« Ausle¬
gungen. Man war eine Zeit lang geneigt, sie nur sür das Werk einiger fanati¬
scher Pfaffen zu halten, die sich des schwachen Don Francisco gänzlich bemächtigt
hatten und durch ihn > und seinen Einfluß , ans die Königin das constitutionelle Sy¬
stem zu stürzen, und die Zügel deS Staates in die Hände einer geistlichen Camarilla
zu legen hofften. Die Abenteuerlichkeit des Unternehmens > erschien noch größer
durch die Theilnahme einer Nonne, der Schwester Patrocinia, die in gewissen
Kreisen den Ruf der Heiligkeit um sich verbreitet hatte und mit dem Beichtvater
des .Königs in genauem Vernehmen stand. Narvaez ließ sie ohne Sehen vor
ihrem heiligen Charakter nach Badajoz transportiren, wo sie eine Zeit lang unter
polizeilicher Aufsicht gehalten wurde. Trotz dieser vorwiegend romanhaften Seite
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[0349] die allergrößtsten Dienste geleistet hatte, erregte als die unerklärliche Ausgeburt einer absolutistischen Laune, als die völlige Verhöhnung der Verfassung und der Interessen des Landes sofort den unzweideutigsten Unwillen in den gebildeten Kreisen der Bevölkerung. Nach wenigen Stunden schon erhielten die Minister von allen Seiten Entlassuugsgesnche. Die Beamten in den Ministerien, mehrere der ersten Ofstciere der Besatzung gingen damit voran. Der höchste Gerichtshof trat zusammen, um über seine Collectio-Demission zu berathen. Die Gesinnung des Publicums docunicntirte sich in ähnlicher Weise. Narvaez und sogar Sar- torius wurden, als sie Mittags durch die Alcalastraße nach dem Prado fuhren, von einer zahlreichen Menge mit Hochachtung und Beifall begrüßt. Es erschien unausbleiblich,. daß, wenn die Königin das abenteuerliche Cabinet, daS sie ge¬ schaffen, aufrecht erhalten wollte, die Nation den ernstesten Eventualitäten ent¬ gegen ginge. Selbst Marie Christine trat offen auf die Seite des Herzogs von Valencia, dem sie trotz der politischen Beweggründe, die sie in neuerer Zeit zu Bundesgenossen gemacht hatten, eben keine persönliche Freundschaft widmete. Als ihre königliche Tochter, erschreckt über die unmittelbare» Folgen ihres Staatsstreichs, zu ihr schickte, um sie um ihren Besuch zu bitten, erfolgte die Antwort, so lange das Ministerium Cleouard-Balboa regiere, werde die Königin Mutter den Palast nicht betreten. Jsabella begab sich hierauf selber zu ihrer Mutter und nach einer länger» Unterredung übernahm diese den Auftrag, Narvaez wieder die Ueber¬ nahme der Gewalt anzutragen. Nach einer kurzen, nicht ernstlich gemeinten Weige¬ rung verstand sich der General auch dazu, unter der Bedingung, daß diejenigen, welche jene Intrigue gegen ihn in's Werk gesetzt hätten, zur Verantwortung ge. zogen würden. Diese Bedingung, welche das königliche Ansehn gravirte, ward zugestanden. Noch an demselben Abend wurden die Machthaber eines Tages ihrer ephemeren Würde entkleidet, Narvaez und seine Collegen wieder eingesetzt, Balboa nach Ceuta, und Fnlgenciv, der Beichtvater des Königs, den man für den Hauptanstifter des verwegenen Streiches hielt, «ach Sevilla verwiesen. Diese so kläglich gescheiterte Intrigue unterliegt den verschiedenste« Ausle¬ gungen. Man war eine Zeit lang geneigt, sie nur sür das Werk einiger fanati¬ scher Pfaffen zu halten, die sich des schwachen Don Francisco gänzlich bemächtigt hatten und durch ihn > und seinen Einfluß , ans die Königin das constitutionelle Sy¬ stem zu stürzen, und die Zügel deS Staates in die Hände einer geistlichen Camarilla zu legen hofften. Die Abenteuerlichkeit des Unternehmens > erschien noch größer durch die Theilnahme einer Nonne, der Schwester Patrocinia, die in gewissen Kreisen den Ruf der Heiligkeit um sich verbreitet hatte und mit dem Beichtvater des .Königs in genauem Vernehmen stand. Narvaez ließ sie ohne Sehen vor ihrem heiligen Charakter nach Badajoz transportiren, wo sie eine Zeit lang unter polizeilicher Aufsicht gehalten wurde. Trotz dieser vorwiegend romanhaften Seite des Complotes bewies die Folge, daß die Fäden desselben weit über die nächsten Grenzboten. IU. <8ö2. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/349>, abgerufen am 22.12.2024.