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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Kleidern so fest, daß er kein Glied bewegen konnte. Es kostete Zieles Zerren
, und manchen Riß in seine Uniform, bevor wir ihn endlich befreien konnten, wobei
wir unsre Hände selbst nicht wenig preisgeben mußten.

Doch was nun beginnen? -- die Frage war in der That nicht leicht! Die
eine Achse unsres Wagens erwies sich gebrochen, und so konnten wir denselben
uicht mehr gebrauchen; selbst wenn es uns gelungen wäre, den schweren Kasten
mit unseren Kräften wieder aufzurichten. Mitten auf einem wüsten Berge Algeriens,
meilenweit von jeder menschlichen Wohnung entfernt, mit einem gänzlich zerbrochenen
Wagen unter meinen dramatischen Künstlern zu liegen, gehört keineswegs zu den
behaglichen Neiseereiguisseu; dazu kam, daß am andern Morgen "schon das Dampf¬
schiff in Philippeville anlegte, und wenn wir dasselbe verfehlten, so war vor
14 Tagen an kein Fortkommen ans diesem Neste zu denken. Doch mit Klagen
und Fluchen, aber auch Lachen, was zuerst von allen Seiten erscholl, ward uns
uicht geholfen, das sahen wir bald ein. Da unsre eigenen Kräfte nicht ausreichten,
so blieb uns nichts übrig, als fremde zur Hilfe aufzusuchen. Nach einem Kriegsrath,
dem der Conducteur präsidirte, der Gensdarm, Postillon und ich aber als Bei¬
sitzer beiwohnten -- die Comödianten erhielten keine Stimme bei demselben -- ward
endlich beschlossen, daß ich und der Postillon auf zwei ausgespannten Mulcts nach
der nächsten französischen Militairstation, lZI Lantur, reiten sollten., Conducteur und
Gensdarm blieben zur Bewachung des Gepäcks und zum Schutz der bändenngen-
den Komödianten. Nie habe ich einen widerwärtigern Ritt gemacht. Der Maulesel
war sattellos, und sein spitzer, knochiger Rücken bot keinen angenehmen Sitz, und
außerdem zeigte er gegen den Reiter jede Art der Flegelhaftigkeit, deren ein
Maulesel fähig ist, er war störrisch , boshaft und hockte, dazu brannte die Sonne
glühend heiß vom wolkenlosen Himmel. Unter beständigem Prügeln und Zerren
unsrer Thiere ritten wir nach drei Stunden in (^rieur unter dem Freudengeschrei
der französischen Soldaten ein, welche sich über meine Situation besser amusirten,
als mir angenehm war. Ich ritt vor das Hans des Capitains, welcher hier
commandirte, und mußte nur -meine Audienz von einem Neger erkämpfen, der
als Bedienter des Officiers den strengen Befehl hatte, die Siesta seines Herrn
unter keinen Umständen unterbrechen zu lassen. Glücklicher Weise war ich dem
commandirenden Officier, wie sich ergab, bereits persönlich bekannt und fand ge¬
neigtes Ohr für meine Bitten. Ein Dutzend Soldaten und drei Karren der
vcMMKS mMxürv wurden abgeschickt, Gepäck und Schauspieler abzuholen. Ich
hatte durchaus keine Lust, den Weg zurück zu machen, überließ mich der Gast¬
freundschaft des würdigen Hauptmanns und ruhte dort aus, bis in die Nacht, mit
militärischer Herzlichkeit gepflegt, während die jüngeren Officiere sich durch die
am späten Abend anlangende Gesellschaft zu amusiren suchten. Mitten in der
Nacht weckte mich in der Hütte des Commandanten' der Conducteur, er trieb zur >
Weiterfahrt, und von einigen Officieren begleitet, kam die Künstlerbande halb


Grenzboten. UI. 1LS2, 42

Kleidern so fest, daß er kein Glied bewegen konnte. Es kostete Zieles Zerren
, und manchen Riß in seine Uniform, bevor wir ihn endlich befreien konnten, wobei
wir unsre Hände selbst nicht wenig preisgeben mußten.

Doch was nun beginnen? — die Frage war in der That nicht leicht! Die
eine Achse unsres Wagens erwies sich gebrochen, und so konnten wir denselben
uicht mehr gebrauchen; selbst wenn es uns gelungen wäre, den schweren Kasten
mit unseren Kräften wieder aufzurichten. Mitten auf einem wüsten Berge Algeriens,
meilenweit von jeder menschlichen Wohnung entfernt, mit einem gänzlich zerbrochenen
Wagen unter meinen dramatischen Künstlern zu liegen, gehört keineswegs zu den
behaglichen Neiseereiguisseu; dazu kam, daß am andern Morgen «schon das Dampf¬
schiff in Philippeville anlegte, und wenn wir dasselbe verfehlten, so war vor
14 Tagen an kein Fortkommen ans diesem Neste zu denken. Doch mit Klagen
und Fluchen, aber auch Lachen, was zuerst von allen Seiten erscholl, ward uns
uicht geholfen, das sahen wir bald ein. Da unsre eigenen Kräfte nicht ausreichten,
so blieb uns nichts übrig, als fremde zur Hilfe aufzusuchen. Nach einem Kriegsrath,
dem der Conducteur präsidirte, der Gensdarm, Postillon und ich aber als Bei¬
sitzer beiwohnten — die Comödianten erhielten keine Stimme bei demselben — ward
endlich beschlossen, daß ich und der Postillon auf zwei ausgespannten Mulcts nach
der nächsten französischen Militairstation, lZI Lantur, reiten sollten., Conducteur und
Gensdarm blieben zur Bewachung des Gepäcks und zum Schutz der bändenngen-
den Komödianten. Nie habe ich einen widerwärtigern Ritt gemacht. Der Maulesel
war sattellos, und sein spitzer, knochiger Rücken bot keinen angenehmen Sitz, und
außerdem zeigte er gegen den Reiter jede Art der Flegelhaftigkeit, deren ein
Maulesel fähig ist, er war störrisch , boshaft und hockte, dazu brannte die Sonne
glühend heiß vom wolkenlosen Himmel. Unter beständigem Prügeln und Zerren
unsrer Thiere ritten wir nach drei Stunden in (^rieur unter dem Freudengeschrei
der französischen Soldaten ein, welche sich über meine Situation besser amusirten,
als mir angenehm war. Ich ritt vor das Hans des Capitains, welcher hier
commandirte, und mußte nur -meine Audienz von einem Neger erkämpfen, der
als Bedienter des Officiers den strengen Befehl hatte, die Siesta seines Herrn
unter keinen Umständen unterbrechen zu lassen. Glücklicher Weise war ich dem
commandirenden Officier, wie sich ergab, bereits persönlich bekannt und fand ge¬
neigtes Ohr für meine Bitten. Ein Dutzend Soldaten und drei Karren der
vcMMKS mMxürv wurden abgeschickt, Gepäck und Schauspieler abzuholen. Ich
hatte durchaus keine Lust, den Weg zurück zu machen, überließ mich der Gast¬
freundschaft des würdigen Hauptmanns und ruhte dort aus, bis in die Nacht, mit
militärischer Herzlichkeit gepflegt, während die jüngeren Officiere sich durch die
am späten Abend anlangende Gesellschaft zu amusiren suchten. Mitten in der
Nacht weckte mich in der Hütte des Commandanten' der Conducteur, er trieb zur >
Weiterfahrt, und von einigen Officieren begleitet, kam die Künstlerbande halb


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/341>, abgerufen am 22.12.2024.