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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Frl. Gey sind in Rollen zweiten Ranges, die erstere Dame auch in größeren
Partien recht verwendbar. Schlimm sieht es noch immer mit unseren Tenoristen
ans. Mautius ist ein vorzüglicher Regisseur sür die komische Oper, in Tenor-
lmffoPartien noch sehr an seiner Stelle, aber zu größeren Aufgaben reichen
seine Kräfte immer weniger hin. Pf ist er wird glücklicherweise nur selten be¬
schäftigt, seitdem Form es engagirt ist, der wenigstens eine kräftige, gesunde und
nicht durch und durch verbildete Stimme und eine natürliche, freilich nur den
allerpopulairsten Seelenzuständen gewachsene Auffassung hat. Ich habe Schubert'sche
Lieder von ihm so singen hören, daß ich wirklich darüber staunen mußte, wie
man blos einer guten Lunge wegen 3000 Thaler Gehalt beziehen könnte. Aber
den gewöhnlichen Theaterhelden, deren Empfindung selten so tief zu gehen pflegt, wie
ein Schubert'sches Lied, weiß er bis zu einem gewissen Grade gerecht zu werden. Auch
unter den Bassisten sind einige Veränderungen vorgegangen. Krause und Zsch lö¬
sche sind nach wie vor, jeder an seiner Stelle, sehr tüchtig, obschon freilich von
dramatischem Gesang gerade diese beiden die schwächsten Begriffe haben; Salomon
geht nach München; Bost, seit etwa einem Jahre engagirt, ist ein ver¬
wendbares Mitglied der Bühne; an die Stelle Salomon's wird, wie es heißt,
Signor Marchese engagirt werden, den Sie im letzten Winter auch in Leipzig
hörten, ein Italiener, dem die Natur außer einer schonen Gestalt und Stimme
auch Liebe zur deutscheu Musik gab. -- Auf dem Repertoir war nicht viel Neues ;
größere Werke waren Casild a vom Herzog von Sachsen - Gotha und der
Schöffe von Paris von Dorn. Die in glänzender Ausstattung zur Aufführung
gelangte Casilda macht einem Dilettanten Ehre. Der Schöffe von Paris, auf
anderen Bühnen längst heimisch, gehört zu den besseren komischen Opern der
letzten zwei Decennien, bedarf aber, wie die ganze Gattung, eines kleinern
Rahmens, um zu gefallen; kleine Stoffe werden vom Opernhaus erdrückt.
Das reizende Liederspiel Mendelssohn's: die Heimkehr aus der Fremde, das durch
seine Frische und Anmuth in gewisser Beziehung als eine Oase unter den schwer-
müthig-sehnsüchtigen Kompositionen Mendelssohn's erscheint, ist nach zweimaliger
Aufführung wieder aä acta gelegt worden. Es steht an Erfindung den meisten
Werken Mendelssohn's nach; aber die Gemüthsstimmung, aus der es hervorgegangen,
ist eine viel gesundere, vielleicht eben darum, weil er durch ein freudiges, objectives
Ereignis), aus der Einseitigkeit einer in sich bohrenden, unruhigen und schwer-
wüthigen Subjectivität herausgerissen war. Es ist natürlich, menschlich und ein¬
fach; ein leiser Zug von Schwermuth, ein leiser Anflug jenes eigenthümlichen
koboldartigen Humors giebt dem Ganzen die Färbung, an der der Autor erkennbar
ist; aber wie wenig hervortretend sind diese Schatten im Vergleich zu der un¬
schuldigen, harmlosen Lieblichkeit des Grnndcolorits! -- Wie es scheint, wird jetzt
Herr Ferdinand Gumbert mit seinen "neusten Liedern" unsre Bühne ver¬
sagen. Ein Liederspiel haben wir schon glücklich überstanden >,Die Kunst geliebt


Grenzboten. III. 40

Frl. Gey sind in Rollen zweiten Ranges, die erstere Dame auch in größeren
Partien recht verwendbar. Schlimm sieht es noch immer mit unseren Tenoristen
ans. Mautius ist ein vorzüglicher Regisseur sür die komische Oper, in Tenor-
lmffoPartien noch sehr an seiner Stelle, aber zu größeren Aufgaben reichen
seine Kräfte immer weniger hin. Pf ist er wird glücklicherweise nur selten be¬
schäftigt, seitdem Form es engagirt ist, der wenigstens eine kräftige, gesunde und
nicht durch und durch verbildete Stimme und eine natürliche, freilich nur den
allerpopulairsten Seelenzuständen gewachsene Auffassung hat. Ich habe Schubert'sche
Lieder von ihm so singen hören, daß ich wirklich darüber staunen mußte, wie
man blos einer guten Lunge wegen 3000 Thaler Gehalt beziehen könnte. Aber
den gewöhnlichen Theaterhelden, deren Empfindung selten so tief zu gehen pflegt, wie
ein Schubert'sches Lied, weiß er bis zu einem gewissen Grade gerecht zu werden. Auch
unter den Bassisten sind einige Veränderungen vorgegangen. Krause und Zsch lö¬
sche sind nach wie vor, jeder an seiner Stelle, sehr tüchtig, obschon freilich von
dramatischem Gesang gerade diese beiden die schwächsten Begriffe haben; Salomon
geht nach München; Bost, seit etwa einem Jahre engagirt, ist ein ver¬
wendbares Mitglied der Bühne; an die Stelle Salomon's wird, wie es heißt,
Signor Marchese engagirt werden, den Sie im letzten Winter auch in Leipzig
hörten, ein Italiener, dem die Natur außer einer schonen Gestalt und Stimme
auch Liebe zur deutscheu Musik gab. — Auf dem Repertoir war nicht viel Neues ;
größere Werke waren Casild a vom Herzog von Sachsen - Gotha und der
Schöffe von Paris von Dorn. Die in glänzender Ausstattung zur Aufführung
gelangte Casilda macht einem Dilettanten Ehre. Der Schöffe von Paris, auf
anderen Bühnen längst heimisch, gehört zu den besseren komischen Opern der
letzten zwei Decennien, bedarf aber, wie die ganze Gattung, eines kleinern
Rahmens, um zu gefallen; kleine Stoffe werden vom Opernhaus erdrückt.
Das reizende Liederspiel Mendelssohn's: die Heimkehr aus der Fremde, das durch
seine Frische und Anmuth in gewisser Beziehung als eine Oase unter den schwer-
müthig-sehnsüchtigen Kompositionen Mendelssohn's erscheint, ist nach zweimaliger
Aufführung wieder aä acta gelegt worden. Es steht an Erfindung den meisten
Werken Mendelssohn's nach; aber die Gemüthsstimmung, aus der es hervorgegangen,
ist eine viel gesundere, vielleicht eben darum, weil er durch ein freudiges, objectives
Ereignis), aus der Einseitigkeit einer in sich bohrenden, unruhigen und schwer-
wüthigen Subjectivität herausgerissen war. Es ist natürlich, menschlich und ein¬
fach; ein leiser Zug von Schwermuth, ein leiser Anflug jenes eigenthümlichen
koboldartigen Humors giebt dem Ganzen die Färbung, an der der Autor erkennbar
ist; aber wie wenig hervortretend sind diese Schatten im Vergleich zu der un¬
schuldigen, harmlosen Lieblichkeit des Grnndcolorits! — Wie es scheint, wird jetzt
Herr Ferdinand Gumbert mit seinen „neusten Liedern" unsre Bühne ver¬
sagen. Ein Liederspiel haben wir schon glücklich überstanden >,Die Kunst geliebt


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[0325] Frl. Gey sind in Rollen zweiten Ranges, die erstere Dame auch in größeren Partien recht verwendbar. Schlimm sieht es noch immer mit unseren Tenoristen ans. Mautius ist ein vorzüglicher Regisseur sür die komische Oper, in Tenor- lmffoPartien noch sehr an seiner Stelle, aber zu größeren Aufgaben reichen seine Kräfte immer weniger hin. Pf ist er wird glücklicherweise nur selten be¬ schäftigt, seitdem Form es engagirt ist, der wenigstens eine kräftige, gesunde und nicht durch und durch verbildete Stimme und eine natürliche, freilich nur den allerpopulairsten Seelenzuständen gewachsene Auffassung hat. Ich habe Schubert'sche Lieder von ihm so singen hören, daß ich wirklich darüber staunen mußte, wie man blos einer guten Lunge wegen 3000 Thaler Gehalt beziehen könnte. Aber den gewöhnlichen Theaterhelden, deren Empfindung selten so tief zu gehen pflegt, wie ein Schubert'sches Lied, weiß er bis zu einem gewissen Grade gerecht zu werden. Auch unter den Bassisten sind einige Veränderungen vorgegangen. Krause und Zsch lö¬ sche sind nach wie vor, jeder an seiner Stelle, sehr tüchtig, obschon freilich von dramatischem Gesang gerade diese beiden die schwächsten Begriffe haben; Salomon geht nach München; Bost, seit etwa einem Jahre engagirt, ist ein ver¬ wendbares Mitglied der Bühne; an die Stelle Salomon's wird, wie es heißt, Signor Marchese engagirt werden, den Sie im letzten Winter auch in Leipzig hörten, ein Italiener, dem die Natur außer einer schonen Gestalt und Stimme auch Liebe zur deutscheu Musik gab. — Auf dem Repertoir war nicht viel Neues ; größere Werke waren Casild a vom Herzog von Sachsen - Gotha und der Schöffe von Paris von Dorn. Die in glänzender Ausstattung zur Aufführung gelangte Casilda macht einem Dilettanten Ehre. Der Schöffe von Paris, auf anderen Bühnen längst heimisch, gehört zu den besseren komischen Opern der letzten zwei Decennien, bedarf aber, wie die ganze Gattung, eines kleinern Rahmens, um zu gefallen; kleine Stoffe werden vom Opernhaus erdrückt. Das reizende Liederspiel Mendelssohn's: die Heimkehr aus der Fremde, das durch seine Frische und Anmuth in gewisser Beziehung als eine Oase unter den schwer- müthig-sehnsüchtigen Kompositionen Mendelssohn's erscheint, ist nach zweimaliger Aufführung wieder aä acta gelegt worden. Es steht an Erfindung den meisten Werken Mendelssohn's nach; aber die Gemüthsstimmung, aus der es hervorgegangen, ist eine viel gesundere, vielleicht eben darum, weil er durch ein freudiges, objectives Ereignis), aus der Einseitigkeit einer in sich bohrenden, unruhigen und schwer- wüthigen Subjectivität herausgerissen war. Es ist natürlich, menschlich und ein¬ fach; ein leiser Zug von Schwermuth, ein leiser Anflug jenes eigenthümlichen koboldartigen Humors giebt dem Ganzen die Färbung, an der der Autor erkennbar ist; aber wie wenig hervortretend sind diese Schatten im Vergleich zu der un¬ schuldigen, harmlosen Lieblichkeit des Grnndcolorits! — Wie es scheint, wird jetzt Herr Ferdinand Gumbert mit seinen „neusten Liedern" unsre Bühne ver¬ sagen. Ein Liederspiel haben wir schon glücklich überstanden >,Die Kunst geliebt Grenzboten. III. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/325>, abgerufen am 22.12.2024.