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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Die musikalische Saison in Berlin.

Die Virtnosenconccrte haben in Berlin jeden Boden verloren. Selbst Herr
v. Kontsky, ein in jeder Beziehung ausgezeichneter Pianist, der nicht nur durch
eine aus Unglaubliche grenzende Fertigkeit und einen vollendeten Tonanschlag
hervorragt, sondern auch classischen Composttioncn, wenn er will, gerecht zu
werden vermag, vermochte nicht, selbstständige Concerte v'on Bedeutung zu
Staude zu bringen. Noch weniger gelang dies anderen Virtuosen, wie Herrn
Dupont aus Belgien, dein Violinisten Köckert, der Sängerin Gadi, trotzdem,
daß ihre Leistungen zum Theil recht anerkennnngswerth waren. Nur die Ge¬
brüder Müller ans Braunschweig gaben am Anfang des Winters drei glänzend
besuchte Concerte. Denn die Freude am Streichquartett hat sich auch über die
Damenwelt verbreitet, und es wird dergleichen Kammermusik selbst in unseren
Salons häufig gehört.

Was die Instrumentalmusik betrifft, so hat man sich bis jetzt in Berlin mit
den Schöpfungen nach Beethoven nicht befreunden können, und mag es immer
tadelnswert!) sein, daß man sich dagegen sträubt, Werke, die anderwärts als ein
Fortschritt der Kunst betrachtet werden, auch nur einmal zu hören, so liegt
doch anch ein sicherer Takt darin, daß man an Compositionen keine Freude findet,
die die Bahn der natürlichen Empfindung fast ganz verlassen. Es war in diesem
Jahre davon die Rede und kommt später vielleicht zur Ausführung, neben den
Concerten der königlichen Capelle eine Reihe anderer Concerte zu veranstalten,
in denen ebenfalls Symphonien, außerdem aber auch Vocalcompositionen, n. drgl.
zur Aufführung kommen sollten. Daß gegenwärtig, noch ein günstiger Augenblick
dafür ist, ist keine Frage. Denn Berlin ist groß, und das Uebcrgemicht, das die
classische Instrumentalmusik in unseren Gartcnconcerten einnimmt, beweist, daß
das Interesse dafür weit verbreitet ist. -- An Neuigkeiten waren übrigens die
diesjährigen Symphonieconcerte ganz arm, und in der Ausführung war anch
kein Fortschritt über die höchst abgerundete und sinnlich reizende, aber geistig
doch einförmige Vortragsweise der Capelle wahrzunehmen. Auch die Quartette
und Triosoirven, so wie die von den Herren Grünewald und Seidel veran¬
stalteten Soireen .für Kammermusik boten nichts Neues oder wenigstens nichts
Interessantes, außer einem Trio von Tenschert, das sich durch Gediegenheit
der Form, und Tiefe der Empfindung auszeichnete. Ein Trio von Schumann,
das zum ersten Mal aufgeführt wurde, fand uur mäßigen Beifall.

Die Neigung zum Gesang ist, wie die sich immer mehrende Zahl der Ge¬
sangvereine und der das Singen ernstlich studirenden Dilettanten beweist, in fort¬
dauerndem Steigen. Es ist schwer möglich, die Zahl der hier existirenden Ge¬
sangvereine anzugeben. Eine große Zahl von Mitgliedern haben die Singaka-
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Die musikalische Saison in Berlin.

Die Virtnosenconccrte haben in Berlin jeden Boden verloren. Selbst Herr
v. Kontsky, ein in jeder Beziehung ausgezeichneter Pianist, der nicht nur durch
eine aus Unglaubliche grenzende Fertigkeit und einen vollendeten Tonanschlag
hervorragt, sondern auch classischen Composttioncn, wenn er will, gerecht zu
werden vermag, vermochte nicht, selbstständige Concerte v'on Bedeutung zu
Staude zu bringen. Noch weniger gelang dies anderen Virtuosen, wie Herrn
Dupont aus Belgien, dein Violinisten Köckert, der Sängerin Gadi, trotzdem,
daß ihre Leistungen zum Theil recht anerkennnngswerth waren. Nur die Ge¬
brüder Müller ans Braunschweig gaben am Anfang des Winters drei glänzend
besuchte Concerte. Denn die Freude am Streichquartett hat sich auch über die
Damenwelt verbreitet, und es wird dergleichen Kammermusik selbst in unseren
Salons häufig gehört.

Was die Instrumentalmusik betrifft, so hat man sich bis jetzt in Berlin mit
den Schöpfungen nach Beethoven nicht befreunden können, und mag es immer
tadelnswert!) sein, daß man sich dagegen sträubt, Werke, die anderwärts als ein
Fortschritt der Kunst betrachtet werden, auch nur einmal zu hören, so liegt
doch anch ein sicherer Takt darin, daß man an Compositionen keine Freude findet,
die die Bahn der natürlichen Empfindung fast ganz verlassen. Es war in diesem
Jahre davon die Rede und kommt später vielleicht zur Ausführung, neben den
Concerten der königlichen Capelle eine Reihe anderer Concerte zu veranstalten,
in denen ebenfalls Symphonien, außerdem aber auch Vocalcompositionen, n. drgl.
zur Aufführung kommen sollten. Daß gegenwärtig, noch ein günstiger Augenblick
dafür ist, ist keine Frage. Denn Berlin ist groß, und das Uebcrgemicht, das die
classische Instrumentalmusik in unseren Gartcnconcerten einnimmt, beweist, daß
das Interesse dafür weit verbreitet ist. — An Neuigkeiten waren übrigens die
diesjährigen Symphonieconcerte ganz arm, und in der Ausführung war anch
kein Fortschritt über die höchst abgerundete und sinnlich reizende, aber geistig
doch einförmige Vortragsweise der Capelle wahrzunehmen. Auch die Quartette
und Triosoirven, so wie die von den Herren Grünewald und Seidel veran¬
stalteten Soireen .für Kammermusik boten nichts Neues oder wenigstens nichts
Interessantes, außer einem Trio von Tenschert, das sich durch Gediegenheit
der Form, und Tiefe der Empfindung auszeichnete. Ein Trio von Schumann,
das zum ersten Mal aufgeführt wurde, fand uur mäßigen Beifall.

Die Neigung zum Gesang ist, wie die sich immer mehrende Zahl der Ge¬
sangvereine und der das Singen ernstlich studirenden Dilettanten beweist, in fort¬
dauerndem Steigen. Es ist schwer möglich, die Zahl der hier existirenden Ge¬
sangvereine anzugeben. Eine große Zahl von Mitgliedern haben die Singaka-
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[0319] Die musikalische Saison in Berlin. Die Virtnosenconccrte haben in Berlin jeden Boden verloren. Selbst Herr v. Kontsky, ein in jeder Beziehung ausgezeichneter Pianist, der nicht nur durch eine aus Unglaubliche grenzende Fertigkeit und einen vollendeten Tonanschlag hervorragt, sondern auch classischen Composttioncn, wenn er will, gerecht zu werden vermag, vermochte nicht, selbstständige Concerte v'on Bedeutung zu Staude zu bringen. Noch weniger gelang dies anderen Virtuosen, wie Herrn Dupont aus Belgien, dein Violinisten Köckert, der Sängerin Gadi, trotzdem, daß ihre Leistungen zum Theil recht anerkennnngswerth waren. Nur die Ge¬ brüder Müller ans Braunschweig gaben am Anfang des Winters drei glänzend besuchte Concerte. Denn die Freude am Streichquartett hat sich auch über die Damenwelt verbreitet, und es wird dergleichen Kammermusik selbst in unseren Salons häufig gehört. Was die Instrumentalmusik betrifft, so hat man sich bis jetzt in Berlin mit den Schöpfungen nach Beethoven nicht befreunden können, und mag es immer tadelnswert!) sein, daß man sich dagegen sträubt, Werke, die anderwärts als ein Fortschritt der Kunst betrachtet werden, auch nur einmal zu hören, so liegt doch anch ein sicherer Takt darin, daß man an Compositionen keine Freude findet, die die Bahn der natürlichen Empfindung fast ganz verlassen. Es war in diesem Jahre davon die Rede und kommt später vielleicht zur Ausführung, neben den Concerten der königlichen Capelle eine Reihe anderer Concerte zu veranstalten, in denen ebenfalls Symphonien, außerdem aber auch Vocalcompositionen, n. drgl. zur Aufführung kommen sollten. Daß gegenwärtig, noch ein günstiger Augenblick dafür ist, ist keine Frage. Denn Berlin ist groß, und das Uebcrgemicht, das die classische Instrumentalmusik in unseren Gartcnconcerten einnimmt, beweist, daß das Interesse dafür weit verbreitet ist. — An Neuigkeiten waren übrigens die diesjährigen Symphonieconcerte ganz arm, und in der Ausführung war anch kein Fortschritt über die höchst abgerundete und sinnlich reizende, aber geistig doch einförmige Vortragsweise der Capelle wahrzunehmen. Auch die Quartette und Triosoirven, so wie die von den Herren Grünewald und Seidel veran¬ stalteten Soireen .für Kammermusik boten nichts Neues oder wenigstens nichts Interessantes, außer einem Trio von Tenschert, das sich durch Gediegenheit der Form, und Tiefe der Empfindung auszeichnete. Ein Trio von Schumann, das zum ersten Mal aufgeführt wurde, fand uur mäßigen Beifall. Die Neigung zum Gesang ist, wie die sich immer mehrende Zahl der Ge¬ sangvereine und der das Singen ernstlich studirenden Dilettanten beweist, in fort¬ dauerndem Steigen. Es ist schwer möglich, die Zahl der hier existirenden Ge¬ sangvereine anzugeben. Eine große Zahl von Mitgliedern haben die Singaka- ' .39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/319>, abgerufen am 22.12.2024.