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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Behauptung. Auch das mächtigste Hamburger Blatt, "Die Nachrichten", das
in -10,000 Exemplaren allein in der Stadt verbreitet, dort von unendlicher Wichtig¬
keit ist, verfolgt seit 1848 unverändert die centrale Tendenz. -

Auffallend ist in Hamburg die große Sicherheit des Eigenthums im Ver¬
gleich zu Berlin. Man lebt so sorglos, fast wie, in der abgelegensten Landstadt.
In den unverschlossenen Vorzimmern der öffentlichen Locale werden Hüte und
Ueberröcke unbesorgt abgelegt, kein Haus hat einen Portier, manche sogar keine
Hausglocke, die Etagen sind nirgends abgesperrt, und doch wird unendlich wenig
gestohlen, und gewandt ausgeführte Taschendiebstähle kommen fast niemals vor.
In Berlin dagegen wird Alles zwei oder drei Mal abgeschlossen, die ängstlichste
Sorgfalt herrscht überall, bei Tag und Nacht patrvuilliren Constabler in den'
Straßen umher, und doch vergeht fast kein Tag, an dem man nicht von einem
mit besonderer Kühnheit oder Geschicklichkeit ausgeführten Diebstahle hört. Und
dabei sind die preußischen Criminalstrafen ungleich härter wie die in Hamburg.

Was die Umgegend beider Städte anbelangt, so kann natürlich Berlin mit
Hamburg keine" Vergleich aushalten. Die nähere Umgebung der preußischen
Residenz ist in der That von einer trostlosen Dürre. So wie man nur eben die
Thore verläßt, nichts wie Sand und wieder Sand, daher denn auch der überall
unvertilgbare Staub, dieser Erbfeind jeder Belästigung im Freien, der im Thier¬
garten oft eine Dichtheit erreicht, wovon man sich anderswo kaum einen Begriff
machen kann. Dieser Mangel an Genuß ländlicher Freuden für die unteren
Stände, die nicht meilenweit" Fahrten deshalb machen können, ist gewiß nicht
ohne Einfluß aus den Charakter derselbe". Sie sind in enge schlechte Locale bei
ihren sonntäglichen Belustigungen zusamme"gedrä"ge, u"d statt auf weiten Spazier-
gängen "cuc Lebensfrische sich zu holen, gewöhnen sie sich daran, die Zungen in
eitlem Geschwätz 'zu üben. Die große Redelust' und Zungenfertigkeit der Berliner
ist eine in ganz Norddeutschland vereinzelt' dastehende Erscheinung.

Die Umgegend Hamburgs ist, ohne großartig zu sein, überall ansprechend
und trägt einen behäbigen Ausdruck. Ueberall fruchtbare, gutbebaute Felder oder
zahlreiche, oft sehr großartige Gärten mit eleganten Gartenhäusern. Schon an
diesen kann man sehen, wie sehr in seiner allgemeinen Wohlhabenheit Hamburg
über Berlin steht. Die Schröder und Jcuisch und Merck und Godefroi und
wie diese Matadore der Handelswelt noch sonst heißen, geben gewiß mehr
allein für ihre Gärten aus, wie in Berlin ein ganzes Ministergehalt beträgt.
Wenn man aber in der Umgegend letzterer Stadt, einzelne hübsche Landhäuser
trifft, dann sind dieselben größtentheils im eleganteren und kuustvolleren Geschmack
erbaut. Eine gewisse Schwerfälligkeit, eine Ueberladenheit und ein Prunken mit
kostbaren, dabei aber oft sehr häßlichen Seltenheiten macht sich vielfach in der
Anlage der Hamburger Gärten und Landhäuser bemerkbar. Die Sucht, den
Werth einer Sache nach dem Gelde, das sie gekostet zu beurtheilen, kann den


Behauptung. Auch das mächtigste Hamburger Blatt, „Die Nachrichten", das
in -10,000 Exemplaren allein in der Stadt verbreitet, dort von unendlicher Wichtig¬
keit ist, verfolgt seit 1848 unverändert die centrale Tendenz. -

Auffallend ist in Hamburg die große Sicherheit des Eigenthums im Ver¬
gleich zu Berlin. Man lebt so sorglos, fast wie, in der abgelegensten Landstadt.
In den unverschlossenen Vorzimmern der öffentlichen Locale werden Hüte und
Ueberröcke unbesorgt abgelegt, kein Haus hat einen Portier, manche sogar keine
Hausglocke, die Etagen sind nirgends abgesperrt, und doch wird unendlich wenig
gestohlen, und gewandt ausgeführte Taschendiebstähle kommen fast niemals vor.
In Berlin dagegen wird Alles zwei oder drei Mal abgeschlossen, die ängstlichste
Sorgfalt herrscht überall, bei Tag und Nacht patrvuilliren Constabler in den'
Straßen umher, und doch vergeht fast kein Tag, an dem man nicht von einem
mit besonderer Kühnheit oder Geschicklichkeit ausgeführten Diebstahle hört. Und
dabei sind die preußischen Criminalstrafen ungleich härter wie die in Hamburg.

Was die Umgegend beider Städte anbelangt, so kann natürlich Berlin mit
Hamburg keine» Vergleich aushalten. Die nähere Umgebung der preußischen
Residenz ist in der That von einer trostlosen Dürre. So wie man nur eben die
Thore verläßt, nichts wie Sand und wieder Sand, daher denn auch der überall
unvertilgbare Staub, dieser Erbfeind jeder Belästigung im Freien, der im Thier¬
garten oft eine Dichtheit erreicht, wovon man sich anderswo kaum einen Begriff
machen kann. Dieser Mangel an Genuß ländlicher Freuden für die unteren
Stände, die nicht meilenweit« Fahrten deshalb machen können, ist gewiß nicht
ohne Einfluß aus den Charakter derselbe». Sie sind in enge schlechte Locale bei
ihren sonntäglichen Belustigungen zusamme»gedrä»ge, u»d statt auf weiten Spazier-
gängen »cuc Lebensfrische sich zu holen, gewöhnen sie sich daran, die Zungen in
eitlem Geschwätz 'zu üben. Die große Redelust' und Zungenfertigkeit der Berliner
ist eine in ganz Norddeutschland vereinzelt' dastehende Erscheinung.

Die Umgegend Hamburgs ist, ohne großartig zu sein, überall ansprechend
und trägt einen behäbigen Ausdruck. Ueberall fruchtbare, gutbebaute Felder oder
zahlreiche, oft sehr großartige Gärten mit eleganten Gartenhäusern. Schon an
diesen kann man sehen, wie sehr in seiner allgemeinen Wohlhabenheit Hamburg
über Berlin steht. Die Schröder und Jcuisch und Merck und Godefroi und
wie diese Matadore der Handelswelt noch sonst heißen, geben gewiß mehr
allein für ihre Gärten aus, wie in Berlin ein ganzes Ministergehalt beträgt.
Wenn man aber in der Umgegend letzterer Stadt, einzelne hübsche Landhäuser
trifft, dann sind dieselben größtentheils im eleganteren und kuustvolleren Geschmack
erbaut. Eine gewisse Schwerfälligkeit, eine Ueberladenheit und ein Prunken mit
kostbaren, dabei aber oft sehr häßlichen Seltenheiten macht sich vielfach in der
Anlage der Hamburger Gärten und Landhäuser bemerkbar. Die Sucht, den
Werth einer Sache nach dem Gelde, das sie gekostet zu beurtheilen, kann den


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[0274] Behauptung. Auch das mächtigste Hamburger Blatt, „Die Nachrichten", das in -10,000 Exemplaren allein in der Stadt verbreitet, dort von unendlicher Wichtig¬ keit ist, verfolgt seit 1848 unverändert die centrale Tendenz. - Auffallend ist in Hamburg die große Sicherheit des Eigenthums im Ver¬ gleich zu Berlin. Man lebt so sorglos, fast wie, in der abgelegensten Landstadt. In den unverschlossenen Vorzimmern der öffentlichen Locale werden Hüte und Ueberröcke unbesorgt abgelegt, kein Haus hat einen Portier, manche sogar keine Hausglocke, die Etagen sind nirgends abgesperrt, und doch wird unendlich wenig gestohlen, und gewandt ausgeführte Taschendiebstähle kommen fast niemals vor. In Berlin dagegen wird Alles zwei oder drei Mal abgeschlossen, die ängstlichste Sorgfalt herrscht überall, bei Tag und Nacht patrvuilliren Constabler in den' Straßen umher, und doch vergeht fast kein Tag, an dem man nicht von einem mit besonderer Kühnheit oder Geschicklichkeit ausgeführten Diebstahle hört. Und dabei sind die preußischen Criminalstrafen ungleich härter wie die in Hamburg. Was die Umgegend beider Städte anbelangt, so kann natürlich Berlin mit Hamburg keine» Vergleich aushalten. Die nähere Umgebung der preußischen Residenz ist in der That von einer trostlosen Dürre. So wie man nur eben die Thore verläßt, nichts wie Sand und wieder Sand, daher denn auch der überall unvertilgbare Staub, dieser Erbfeind jeder Belästigung im Freien, der im Thier¬ garten oft eine Dichtheit erreicht, wovon man sich anderswo kaum einen Begriff machen kann. Dieser Mangel an Genuß ländlicher Freuden für die unteren Stände, die nicht meilenweit« Fahrten deshalb machen können, ist gewiß nicht ohne Einfluß aus den Charakter derselbe». Sie sind in enge schlechte Locale bei ihren sonntäglichen Belustigungen zusamme»gedrä»ge, u»d statt auf weiten Spazier- gängen »cuc Lebensfrische sich zu holen, gewöhnen sie sich daran, die Zungen in eitlem Geschwätz 'zu üben. Die große Redelust' und Zungenfertigkeit der Berliner ist eine in ganz Norddeutschland vereinzelt' dastehende Erscheinung. Die Umgegend Hamburgs ist, ohne großartig zu sein, überall ansprechend und trägt einen behäbigen Ausdruck. Ueberall fruchtbare, gutbebaute Felder oder zahlreiche, oft sehr großartige Gärten mit eleganten Gartenhäusern. Schon an diesen kann man sehen, wie sehr in seiner allgemeinen Wohlhabenheit Hamburg über Berlin steht. Die Schröder und Jcuisch und Merck und Godefroi und wie diese Matadore der Handelswelt noch sonst heißen, geben gewiß mehr allein für ihre Gärten aus, wie in Berlin ein ganzes Ministergehalt beträgt. Wenn man aber in der Umgegend letzterer Stadt, einzelne hübsche Landhäuser trifft, dann sind dieselben größtentheils im eleganteren und kuustvolleren Geschmack erbaut. Eine gewisse Schwerfälligkeit, eine Ueberladenheit und ein Prunken mit kostbaren, dabei aber oft sehr häßlichen Seltenheiten macht sich vielfach in der Anlage der Hamburger Gärten und Landhäuser bemerkbar. Die Sucht, den Werth einer Sache nach dem Gelde, das sie gekostet zu beurtheilen, kann den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/274>, abgerufen am 22.12.2024.