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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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zeichnen sich die Berlinerinnen dnrch kleine zierliche Füße und hübschen Gang vor
den schwerfälligen Hambnrgerinnen aus. Die höhere Damenwelt ist überhaupt
in Berlin im Allgemeinen hübscher und besonders pikanter. In Berlin siebt man
mehr blitzende dunkele Augen, in Hamburg frische rothe Backen;- dort mehr schlanke
Taillen, elegante Figuren, hier mehr vollen üppig-gefunden Wuchs/ Die Ham-
bnrgerinnen sind im Allgemeinen bessere Hausfrauen; die Berlinerinnen mehr für
den Salon. Erstere verstehen sich mehr ans die Küche, Letztere auf Toilette.

Sehr vortheilhaft zeichnen sich aber in ihrer äußeren Erscheinung die unteren
Stände in Hamburg vor denen in Berlin a"S. Solche behäbig kräftige Gestalten,
wie'man unter den Arbeitern der alten Hansestadt so häufig sieht, die reinlich
aber einfach gekleidet, keine Spur von Verkümmerung nnfznwcisen haben, findet,
man in der Residenz Preußens leider nicht zu viel. Die' Arbeiter sehen schlecht
genährt, schäbig gekleidet aus, man bemerkt an ihnen viele fadenscheinige Anzüge,
die ersichtlich ans dem Trödelmarkt gekauft sind, was in Hamburg selten der Fall
sein wird. Hingegen gehen fast alle-Arbeiter in Berlin rascher, gerader und
kecker, und der militairische Anstand, den sie sich in ihrer Soldatendienstzeit er¬
warben, leuchtet überall in ihrem Benehmen dnrch, daher auch noch eine so große
Anzahl den Schnurrbart trägt, den man in Hamburg fast nie bei einem Gesellen
oder Arbeiter finden wird. Ungleich blühender "ut frischer sehen die Hamburgi-
schen Dienstmädchen aus. Die Auswahl der Dienstmädchen von Mecklenburg,
Schleswig-Holstein und den benachbarten hannöverschen Marschen strömt nach
Hamburg, hingelockt von dem reichlichen Lohn und der gute" Nahrung.
Eine Hamburger Köchin, die mit sehr reinlicher, weißer Schürze, zierlicher Mütze,
mit langem gefalteten Striche, einen Marktkorb, der mit^einem großen bnntge-
wirkten Tuche bedeckt ist, unter dem Arm, zum Einkaufen ausgeht, giebt oft ein
sehr hübsches Genrebild. In Berlin hingegen, wo der Lohn für die Mädchen
ungleich niedriger ist, sehen diese oft sehr schmuzig aus, oder sie putzen sich mit den
abgetragenen Kleidungsstücken ihrer Herrschaften.

Diese überall durchblickende Wohlhabenheit der unteren Stände macht das
Strcißcnleben in Hamburg so angenehm, deun es gehört zu den seltenen Aus¬
nahmen, daß man durch den Anblick hungriger Jammersgestalten, denen Noth
und Elend aus allen Zügen hervorsieht, zu trüben Gedanken über unsere socialen
Zustände herausgefordert wird, mit Ausnahme der vielen, oft sehr verkümmerten
Auswanderer, die man in den Sommermonaten in den Gassen herumirren sieht. Auch
sonst ist das Straßenleben in Hamburg bunter, mannichfaltiger, reicher an komischen
oder belehrenden Genrebildern aller Art. Obgleich das Straßenpflaster furchtbar
schlecht ist, und nur die nach dem Brande neu erbauten Stadttheile erträgliche Trottoire
haben, gewährt das "Flaniren" für einen Freund des Volkslebens einen reichen Ge¬
nuß. Welche mannichfache Ausbeute trägt man schon mit heim, wenn man an einem
schönen Nachmittag in Hamburg über den "hohen Steinweg", wo der jüdische


zeichnen sich die Berlinerinnen dnrch kleine zierliche Füße und hübschen Gang vor
den schwerfälligen Hambnrgerinnen aus. Die höhere Damenwelt ist überhaupt
in Berlin im Allgemeinen hübscher und besonders pikanter. In Berlin siebt man
mehr blitzende dunkele Augen, in Hamburg frische rothe Backen;- dort mehr schlanke
Taillen, elegante Figuren, hier mehr vollen üppig-gefunden Wuchs/ Die Ham-
bnrgerinnen sind im Allgemeinen bessere Hausfrauen; die Berlinerinnen mehr für
den Salon. Erstere verstehen sich mehr ans die Küche, Letztere auf Toilette.

Sehr vortheilhaft zeichnen sich aber in ihrer äußeren Erscheinung die unteren
Stände in Hamburg vor denen in Berlin a»S. Solche behäbig kräftige Gestalten,
wie'man unter den Arbeitern der alten Hansestadt so häufig sieht, die reinlich
aber einfach gekleidet, keine Spur von Verkümmerung nnfznwcisen haben, findet,
man in der Residenz Preußens leider nicht zu viel. Die' Arbeiter sehen schlecht
genährt, schäbig gekleidet aus, man bemerkt an ihnen viele fadenscheinige Anzüge,
die ersichtlich ans dem Trödelmarkt gekauft sind, was in Hamburg selten der Fall
sein wird. Hingegen gehen fast alle-Arbeiter in Berlin rascher, gerader und
kecker, und der militairische Anstand, den sie sich in ihrer Soldatendienstzeit er¬
warben, leuchtet überall in ihrem Benehmen dnrch, daher auch noch eine so große
Anzahl den Schnurrbart trägt, den man in Hamburg fast nie bei einem Gesellen
oder Arbeiter finden wird. Ungleich blühender »ut frischer sehen die Hamburgi-
schen Dienstmädchen aus. Die Auswahl der Dienstmädchen von Mecklenburg,
Schleswig-Holstein und den benachbarten hannöverschen Marschen strömt nach
Hamburg, hingelockt von dem reichlichen Lohn und der gute» Nahrung.
Eine Hamburger Köchin, die mit sehr reinlicher, weißer Schürze, zierlicher Mütze,
mit langem gefalteten Striche, einen Marktkorb, der mit^einem großen bnntge-
wirkten Tuche bedeckt ist, unter dem Arm, zum Einkaufen ausgeht, giebt oft ein
sehr hübsches Genrebild. In Berlin hingegen, wo der Lohn für die Mädchen
ungleich niedriger ist, sehen diese oft sehr schmuzig aus, oder sie putzen sich mit den
abgetragenen Kleidungsstücken ihrer Herrschaften.

Diese überall durchblickende Wohlhabenheit der unteren Stände macht das
Strcißcnleben in Hamburg so angenehm, deun es gehört zu den seltenen Aus¬
nahmen, daß man durch den Anblick hungriger Jammersgestalten, denen Noth
und Elend aus allen Zügen hervorsieht, zu trüben Gedanken über unsere socialen
Zustände herausgefordert wird, mit Ausnahme der vielen, oft sehr verkümmerten
Auswanderer, die man in den Sommermonaten in den Gassen herumirren sieht. Auch
sonst ist das Straßenleben in Hamburg bunter, mannichfaltiger, reicher an komischen
oder belehrenden Genrebildern aller Art. Obgleich das Straßenpflaster furchtbar
schlecht ist, und nur die nach dem Brande neu erbauten Stadttheile erträgliche Trottoire
haben, gewährt das „Flaniren" für einen Freund des Volkslebens einen reichen Ge¬
nuß. Welche mannichfache Ausbeute trägt man schon mit heim, wenn man an einem
schönen Nachmittag in Hamburg über den „hohen Steinweg", wo der jüdische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/268>, abgerufen am 22.12.2024.