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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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die Wahrheit aus, daß der edle Haß gegen das Verkehrte und die Liebe zur
Wahrheit selbst bei einem hohen Grad von Scharfsinn und Phantasie noch nicht
ausreicht, in der Literatur etwas Fruchtbares hervorzubringen, wenn der Gedanke
und die Empfindung die Zucht verschmäht.

Das neueste Werk Carlyle's ist "das Leben von John Sterling", 1831.,
eines Freundes und Anhängers von Carlyle, der 1806 geboren,. 1834 zum
Geistlichen ordinirt, den christlichen Idealismus verfocht und sich bemühte, das
Leben des Apostel Paulus nachzuahmen, bis er einsah, zum Geistlichen nicht zu
passen. Zuerst übte vorzugsweise Cvleridge einen wichtigen Einfluß auf ihn ans,
der Mann, der im Ruf war, allein die deutsche Philosophie zu verstehen und
der nur in Kantischen Kategorien sprach. Dann studirte er die deutschen Theologen,
Neander, Tholuck, Schleiermacher. Carlyle suchte vergebens ihm Interesse
an seinem Liebling Jean Paul und den deutschen Pantheisten einzuflößen. Er
starb 18i-4.

, Auch auf die neueste amerikanische Literatur hat Carlyle einen entschiedenen
Einfluß ausgeübt. Der Vermittler ist hier der Philosoph Emerson gewesen,
auf den wir uoch einmal zurückkommen müssen.




Vor kurzer Zeit ist erschienen: Beiträge zum Evangelium der Arbeit.
Aus den Schriften Carlyle's mitgetheilt und eingeleitet von I. Neuberg. (Berlin,
Reimer). -- Der Herausgeber, dem es nur darauf ankommt, die positiven Seiten
-des englischen Philosophen hervorzuheben, kommt zu Resultaten, die anscheinend
von den unsrigen sehr, abweichen, aber nur darum, weil der materielle Inhalt der
Carlyle'schen.Schriften allein in Betrachtung gezogen ist, ganz abgesehen von seiner
Form und Methode. Der Herausgeber, aus dessen Styl übrigens Carlyle eini¬
germaßen eingewirkt zu haben scheint, lost die Ansichten desselben vollständig in
Aphorismen auf. So nahmen sie sich eigentlich anch am besten aus, obgleich bei
Manchen dieser Aphorismen die Unklarheit des Gedankens um so deutlicher her¬
vortritt. Wir führen einige der größeren und bedeutenderen an.

Wie sehr wir auch in bangen Zweifeln verwickelt und verstrickt sein mögen, so ist doch
Eines stets gewiß: der Mensch ist ein für allemal hier; und zwar nicht um Fragen zu stellen,
sondern um Arbeit zu thun. Zu allen Zeiten muß der Zustand der mißlichste für ihn sein,
wenn der Gent des thatkräftigen Wirkens und Schaffens bei ihm in Schlaf versunken, und
nur der skeptische Geist der Kritik und Untersuchung wach und thätig ist. Jedem, der in der
Welt umher blickt und die mancherlei Zustände der Vorzeit mit denen der Gegenwart vergleicht,
muß es daher bald klar werden, daß die Lage, in welcher der heutige Mensch sich thatsächlich
befindet, zu den allermißlichsten gezählt werden muß, und mit Uebeln eigenthümlicher Art
behaftet ist. Des Menschen Leben war zu keiner Zeit, was er ein "glückliches" nennt; es kann
Zu keiner Zeit ein solches sein. Wol hat es immer einen Traum von irdischen Paradiesen ge¬
geben und von einem üppigen SchlaraffcnlVude, wo die Bäche mit Wein fließen und die
Bäume sich biegen mit fertigen Speisen und Backwerk; aber es war nur ein Traum, ein
unmöglicher Traum. Leider haben nun einmal Widerspruch und Irrthum ihren bleibenden
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die Wahrheit aus, daß der edle Haß gegen das Verkehrte und die Liebe zur
Wahrheit selbst bei einem hohen Grad von Scharfsinn und Phantasie noch nicht
ausreicht, in der Literatur etwas Fruchtbares hervorzubringen, wenn der Gedanke
und die Empfindung die Zucht verschmäht.

Das neueste Werk Carlyle's ist „das Leben von John Sterling", 1831.,
eines Freundes und Anhängers von Carlyle, der 1806 geboren,. 1834 zum
Geistlichen ordinirt, den christlichen Idealismus verfocht und sich bemühte, das
Leben des Apostel Paulus nachzuahmen, bis er einsah, zum Geistlichen nicht zu
passen. Zuerst übte vorzugsweise Cvleridge einen wichtigen Einfluß auf ihn ans,
der Mann, der im Ruf war, allein die deutsche Philosophie zu verstehen und
der nur in Kantischen Kategorien sprach. Dann studirte er die deutschen Theologen,
Neander, Tholuck, Schleiermacher. Carlyle suchte vergebens ihm Interesse
an seinem Liebling Jean Paul und den deutschen Pantheisten einzuflößen. Er
starb 18i-4.

, Auch auf die neueste amerikanische Literatur hat Carlyle einen entschiedenen
Einfluß ausgeübt. Der Vermittler ist hier der Philosoph Emerson gewesen,
auf den wir uoch einmal zurückkommen müssen.




Vor kurzer Zeit ist erschienen: Beiträge zum Evangelium der Arbeit.
Aus den Schriften Carlyle's mitgetheilt und eingeleitet von I. Neuberg. (Berlin,
Reimer). — Der Herausgeber, dem es nur darauf ankommt, die positiven Seiten
-des englischen Philosophen hervorzuheben, kommt zu Resultaten, die anscheinend
von den unsrigen sehr, abweichen, aber nur darum, weil der materielle Inhalt der
Carlyle'schen.Schriften allein in Betrachtung gezogen ist, ganz abgesehen von seiner
Form und Methode. Der Herausgeber, aus dessen Styl übrigens Carlyle eini¬
germaßen eingewirkt zu haben scheint, lost die Ansichten desselben vollständig in
Aphorismen auf. So nahmen sie sich eigentlich anch am besten aus, obgleich bei
Manchen dieser Aphorismen die Unklarheit des Gedankens um so deutlicher her¬
vortritt. Wir führen einige der größeren und bedeutenderen an.

Wie sehr wir auch in bangen Zweifeln verwickelt und verstrickt sein mögen, so ist doch
Eines stets gewiß: der Mensch ist ein für allemal hier; und zwar nicht um Fragen zu stellen,
sondern um Arbeit zu thun. Zu allen Zeiten muß der Zustand der mißlichste für ihn sein,
wenn der Gent des thatkräftigen Wirkens und Schaffens bei ihm in Schlaf versunken, und
nur der skeptische Geist der Kritik und Untersuchung wach und thätig ist. Jedem, der in der
Welt umher blickt und die mancherlei Zustände der Vorzeit mit denen der Gegenwart vergleicht,
muß es daher bald klar werden, daß die Lage, in welcher der heutige Mensch sich thatsächlich
befindet, zu den allermißlichsten gezählt werden muß, und mit Uebeln eigenthümlicher Art
behaftet ist. Des Menschen Leben war zu keiner Zeit, was er ein „glückliches" nennt; es kann
Zu keiner Zeit ein solches sein. Wol hat es immer einen Traum von irdischen Paradiesen ge¬
geben und von einem üppigen SchlaraffcnlVude, wo die Bäche mit Wein fließen und die
Bäume sich biegen mit fertigen Speisen und Backwerk; aber es war nur ein Traum, ein
unmöglicher Traum. Leider haben nun einmal Widerspruch und Irrthum ihren bleibenden
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/239>, abgerufen am 22.12.2024.