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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Kriege viel ärmer gelebt und weniger erwirthschaftet haben, so belehrt uns das
Verzeichniß des damaligen Viehstandes allerdings eines andern. Gewiß waren
Lasten und Verpflichtungen des Ackerbaues damals nicht geringer als jetzt, und
doch ist der Viehstand nur um wenig geringer als in der Gegenwart. Die
Schafzucht hat gegenwärtig fast genau denselben Umfang, den sie vor dem 30jäh-
rigen Kriege hatte, aber freilich ist die Feinheit der Wolle eine bei Weitem größere
geworden. Dagegen hat sich der Bestand an Pferden um drei Viertel verringert,
und nur die Zahl der Ziegen hat sich fast verdoppelt. Diese Veränderung im
Viehstand ist das Zeichen einer großen Umwandlung im landwirrhschaftlichen
Betriebe, welche nur zum Theil eine Verbesserung ist. Die unverhältnismäßig
stärkere Pferdezucht der ältern Zeit war ein Luxus, welche in der Gegenwart
Thüringens nicht mehr möglich, ist, sie war nur möglich in einer Zeit, in welcher
der Gutsherr und der Vollbauer die Ackerfläche fast ausschließlich bearbeiteten,
wo die Zersplitterung des Bodens, welche gegenwärtig so vielen unproductiven
Landbau und ein Ackerbau-Proletariat in der Mitte Deutschlands hervorgerufen hat,
noch nicht statt fand. Da neben den Pferden aber auch Ochsen zum Gespann-
dienst verwendet werden, so ist der starke Bestand an theuren Pferden ferner nur
durch die Traditionen des alten Ritterthums zu erklären, welche damals den Edel¬
mann wie den Vollbauer bestimmten. Da die Pferde damals auch zu wirklichem
Kriegsdienst, wenigstens zum stattlichen Reitgepränge gebraucht wurden, so ist nicht
anzunehmen, daß sie klein und unansehnlich waren, im Gegentheil müssen die
Kreuzungen mit starken Ritterpserden und die Zucht derselben damals eine große, stark¬
knochige, in ihrer Unterhaltung kostspielige Race, hervorgebracht haben. Daß das
Land damals einen solchen Pferdebestand erhielt, ist sowol ein Beweis dafür, daß die
Erträge des Landbaues damals mehr in einzelnen Händen waren, als auch da¬
für, daß ein nicht unbedeutender Theil der producirten Ackerfrüchte auf die Unter¬
haltung dieses kostbaren Thieres verwendet wurde. Der kleine Manu aus dem
Lande war damals in der Regel Hintersasse des Gutsherrn oder des Vollbauern.
Daß er aber trotz dem Acangel an eigenem Ackerlande nicht durchweg schlechter
daran war, als jetzt, zeigt die Statistik der Wohnhäuser. Denn die Zahl der
ländlichen Wohnhäuser ist gegenwärtig kleiner als vor dem 30jäh-
rigen Kriege, es war also damals uoch eher möglich als jetzt, daß die armen
Familien ihren eigenen Hausstand in separater Wohnung errichteten. Allerdings war
diese Wohnung Eigenthum des Herrn, des Edelmanns oder des Bauern, und auch in
ihrer Kost und ihren Lebensbedürfnissen war die Familie des Hintersassen ab¬
hängig von dem Gutsherrn. Diese Emancipation der kleinen Leute in der Gegen¬
wart wird durch die größere Anzahl der Ziegen, welche bei dem Armen die Stelle
der Kühe vertreten, angezeigt. Wenn die Häuser der Hintersassen damals ärmlich
waren, wie sie es noch jetzt sind, so wohnte doch der Stallbauer bequem und in
dauerhaftem Bau auf seiner Hofraith, und sein Haus barg ein reicheres Mobiliar,


Kriege viel ärmer gelebt und weniger erwirthschaftet haben, so belehrt uns das
Verzeichniß des damaligen Viehstandes allerdings eines andern. Gewiß waren
Lasten und Verpflichtungen des Ackerbaues damals nicht geringer als jetzt, und
doch ist der Viehstand nur um wenig geringer als in der Gegenwart. Die
Schafzucht hat gegenwärtig fast genau denselben Umfang, den sie vor dem 30jäh-
rigen Kriege hatte, aber freilich ist die Feinheit der Wolle eine bei Weitem größere
geworden. Dagegen hat sich der Bestand an Pferden um drei Viertel verringert,
und nur die Zahl der Ziegen hat sich fast verdoppelt. Diese Veränderung im
Viehstand ist das Zeichen einer großen Umwandlung im landwirrhschaftlichen
Betriebe, welche nur zum Theil eine Verbesserung ist. Die unverhältnismäßig
stärkere Pferdezucht der ältern Zeit war ein Luxus, welche in der Gegenwart
Thüringens nicht mehr möglich, ist, sie war nur möglich in einer Zeit, in welcher
der Gutsherr und der Vollbauer die Ackerfläche fast ausschließlich bearbeiteten,
wo die Zersplitterung des Bodens, welche gegenwärtig so vielen unproductiven
Landbau und ein Ackerbau-Proletariat in der Mitte Deutschlands hervorgerufen hat,
noch nicht statt fand. Da neben den Pferden aber auch Ochsen zum Gespann-
dienst verwendet werden, so ist der starke Bestand an theuren Pferden ferner nur
durch die Traditionen des alten Ritterthums zu erklären, welche damals den Edel¬
mann wie den Vollbauer bestimmten. Da die Pferde damals auch zu wirklichem
Kriegsdienst, wenigstens zum stattlichen Reitgepränge gebraucht wurden, so ist nicht
anzunehmen, daß sie klein und unansehnlich waren, im Gegentheil müssen die
Kreuzungen mit starken Ritterpserden und die Zucht derselben damals eine große, stark¬
knochige, in ihrer Unterhaltung kostspielige Race, hervorgebracht haben. Daß das
Land damals einen solchen Pferdebestand erhielt, ist sowol ein Beweis dafür, daß die
Erträge des Landbaues damals mehr in einzelnen Händen waren, als auch da¬
für, daß ein nicht unbedeutender Theil der producirten Ackerfrüchte auf die Unter¬
haltung dieses kostbaren Thieres verwendet wurde. Der kleine Manu aus dem
Lande war damals in der Regel Hintersasse des Gutsherrn oder des Vollbauern.
Daß er aber trotz dem Acangel an eigenem Ackerlande nicht durchweg schlechter
daran war, als jetzt, zeigt die Statistik der Wohnhäuser. Denn die Zahl der
ländlichen Wohnhäuser ist gegenwärtig kleiner als vor dem 30jäh-
rigen Kriege, es war also damals uoch eher möglich als jetzt, daß die armen
Familien ihren eigenen Hausstand in separater Wohnung errichteten. Allerdings war
diese Wohnung Eigenthum des Herrn, des Edelmanns oder des Bauern, und auch in
ihrer Kost und ihren Lebensbedürfnissen war die Familie des Hintersassen ab¬
hängig von dem Gutsherrn. Diese Emancipation der kleinen Leute in der Gegen¬
wart wird durch die größere Anzahl der Ziegen, welche bei dem Armen die Stelle
der Kühe vertreten, angezeigt. Wenn die Häuser der Hintersassen damals ärmlich
waren, wie sie es noch jetzt sind, so wohnte doch der Stallbauer bequem und in
dauerhaftem Bau auf seiner Hofraith, und sein Haus barg ein reicheres Mobiliar,


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[0219] Kriege viel ärmer gelebt und weniger erwirthschaftet haben, so belehrt uns das Verzeichniß des damaligen Viehstandes allerdings eines andern. Gewiß waren Lasten und Verpflichtungen des Ackerbaues damals nicht geringer als jetzt, und doch ist der Viehstand nur um wenig geringer als in der Gegenwart. Die Schafzucht hat gegenwärtig fast genau denselben Umfang, den sie vor dem 30jäh- rigen Kriege hatte, aber freilich ist die Feinheit der Wolle eine bei Weitem größere geworden. Dagegen hat sich der Bestand an Pferden um drei Viertel verringert, und nur die Zahl der Ziegen hat sich fast verdoppelt. Diese Veränderung im Viehstand ist das Zeichen einer großen Umwandlung im landwirrhschaftlichen Betriebe, welche nur zum Theil eine Verbesserung ist. Die unverhältnismäßig stärkere Pferdezucht der ältern Zeit war ein Luxus, welche in der Gegenwart Thüringens nicht mehr möglich, ist, sie war nur möglich in einer Zeit, in welcher der Gutsherr und der Vollbauer die Ackerfläche fast ausschließlich bearbeiteten, wo die Zersplitterung des Bodens, welche gegenwärtig so vielen unproductiven Landbau und ein Ackerbau-Proletariat in der Mitte Deutschlands hervorgerufen hat, noch nicht statt fand. Da neben den Pferden aber auch Ochsen zum Gespann- dienst verwendet werden, so ist der starke Bestand an theuren Pferden ferner nur durch die Traditionen des alten Ritterthums zu erklären, welche damals den Edel¬ mann wie den Vollbauer bestimmten. Da die Pferde damals auch zu wirklichem Kriegsdienst, wenigstens zum stattlichen Reitgepränge gebraucht wurden, so ist nicht anzunehmen, daß sie klein und unansehnlich waren, im Gegentheil müssen die Kreuzungen mit starken Ritterpserden und die Zucht derselben damals eine große, stark¬ knochige, in ihrer Unterhaltung kostspielige Race, hervorgebracht haben. Daß das Land damals einen solchen Pferdebestand erhielt, ist sowol ein Beweis dafür, daß die Erträge des Landbaues damals mehr in einzelnen Händen waren, als auch da¬ für, daß ein nicht unbedeutender Theil der producirten Ackerfrüchte auf die Unter¬ haltung dieses kostbaren Thieres verwendet wurde. Der kleine Manu aus dem Lande war damals in der Regel Hintersasse des Gutsherrn oder des Vollbauern. Daß er aber trotz dem Acangel an eigenem Ackerlande nicht durchweg schlechter daran war, als jetzt, zeigt die Statistik der Wohnhäuser. Denn die Zahl der ländlichen Wohnhäuser ist gegenwärtig kleiner als vor dem 30jäh- rigen Kriege, es war also damals uoch eher möglich als jetzt, daß die armen Familien ihren eigenen Hausstand in separater Wohnung errichteten. Allerdings war diese Wohnung Eigenthum des Herrn, des Edelmanns oder des Bauern, und auch in ihrer Kost und ihren Lebensbedürfnissen war die Familie des Hintersassen ab¬ hängig von dem Gutsherrn. Diese Emancipation der kleinen Leute in der Gegen¬ wart wird durch die größere Anzahl der Ziegen, welche bei dem Armen die Stelle der Kühe vertreten, angezeigt. Wenn die Häuser der Hintersassen damals ärmlich waren, wie sie es noch jetzt sind, so wohnte doch der Stallbauer bequem und in dauerhaftem Bau auf seiner Hofraith, und sein Haus barg ein reicheres Mobiliar,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/219>, abgerufen am 22.12.2024.