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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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wiederholen es, deshalb ein "allgemeineres Interesse, weil wir von vielen andern
Orten aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands her wissen, daß es dort nicht
besser gewesen ist. Ganz Thüringen, Sachsen, Böhmen, Schlesien, die Mark,
der Westen Deutschlands bis über den Rhein, Franken, ein Theil von Schwaben,
die Länder an der Nord- und Ostsee, waren durch ein gleiches Unglück betroffen,
wenn auch nicht überall die Procente des Untergegangenen um das Vierfache das
Erhaltene übersteigen. Aus solchen Zahlen lernen wir, wie es kam, daß
Deutschland erst-100 Jahr später mit Lessing und Friedrich dem Großen die
ersten Blüthen einer neuen Kraftentwickelung' treibt, unter ganz veränderten Bil¬
dungsverhältnissen und bei einem ganz veränderten ärmlichen Volksleben; wir
lernen daraus, woher die große Kluft kommt, welche die gegenwärtige Cultur
und Organisation des Volkes von seiner Blüthe im 4 6. Jahrhunderte scheidet;
woher es kommt, daß wir zwar ausgezeichnete Gelehrte und bevormundende Be¬
amte in Masse haben, aber im Ganzen eine Nation sind, welche in sehr vielen
Gegenden in ihrem Vermögen und ihrer Bildung noch gegenwärtig, noch jetzt nicht
viel weiter ist, als sie vor dem 30jährigen Kriege war. Denn sie hat 200 Jahre
ämsigen Fleißes gebraucht, den ungeheuren Verlust wieder auszugleichen. Das
Letztere ist richtig zu versteh"". Die großen Fortschritte, welche die Entwickelung
der Volkskraft in den letzten 20 Jahren gemacht hat, sollen so hoch als möglich
angeschlagen werden. Der rege Verkehr der cultivirten Nationen der Erde unter¬
einander, die segensreichen Resultate, welche unser vermehrtes Wissen auf Ackerbau
und Industrie des Volks ausgeübt hat, sollen so hoch, als sie verdienen, gewürdigt
werden, aber in dem größten Theil des heimgesuchten Deutschlands sind wir sicher
erst jetzt durch alle diese Mächte der neuern Zeit in unsrer Production so weit
gekommen, wie wir vor etwa 230 Jahren bereits waren, und wenn in den zahl¬
reichen-Gegenden, wo eine starke Entwickelung moderner Industrie durch die
Localität begünstigt stattfinden konnte, sich der nationale Wohlstand so gehoben
hat, daß die alte Zeit mit der Gegenwart nicht verglichen werden kann, so sind
dagegen andere große Landstriche verhältnißmäßig zurückgeblieben. Auch dafür
mag man als Beispiel die vorstehenden Zahlenangaben gelten lassen, immer voraus¬
geschickt, daß dieselben in der That keine Ausnahme darstellen, sondern mit Wahr¬
scheinlichkeit bis zu einem gewissen Grade das allgemeine Verhältniß der Gegen¬
wart zur Vergangenheit ausdrücken. Nach den Tabellen der Meiningischen'Dör¬
fer hat sich die Bevölkerung des Landes seit dem Anfange des 30jährigen Krie¬
ges bis zur Gegenwart nur unbedeutend vermehrt, vielleicht gar nicht, wenn man
annimmt, daß im Jahre 1634 die Einwohnerzahl keineswegs mehr vollständig
vorhanden sein konnte, und die Familien damals wol größer waren, weil die
Bildung einer neuen nicht so leicht war, als gegenwärtig. Wenn aber die Men¬
schenmenge allein keinen Maßstab giebt für das productive Vermögen einer Gegend,
und wir zu der Annahme sehr geneigt sind, daß die Menschen vor dem 30jährigen


wiederholen es, deshalb ein "allgemeineres Interesse, weil wir von vielen andern
Orten aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands her wissen, daß es dort nicht
besser gewesen ist. Ganz Thüringen, Sachsen, Böhmen, Schlesien, die Mark,
der Westen Deutschlands bis über den Rhein, Franken, ein Theil von Schwaben,
die Länder an der Nord- und Ostsee, waren durch ein gleiches Unglück betroffen,
wenn auch nicht überall die Procente des Untergegangenen um das Vierfache das
Erhaltene übersteigen. Aus solchen Zahlen lernen wir, wie es kam, daß
Deutschland erst-100 Jahr später mit Lessing und Friedrich dem Großen die
ersten Blüthen einer neuen Kraftentwickelung' treibt, unter ganz veränderten Bil¬
dungsverhältnissen und bei einem ganz veränderten ärmlichen Volksleben; wir
lernen daraus, woher die große Kluft kommt, welche die gegenwärtige Cultur
und Organisation des Volkes von seiner Blüthe im 4 6. Jahrhunderte scheidet;
woher es kommt, daß wir zwar ausgezeichnete Gelehrte und bevormundende Be¬
amte in Masse haben, aber im Ganzen eine Nation sind, welche in sehr vielen
Gegenden in ihrem Vermögen und ihrer Bildung noch gegenwärtig, noch jetzt nicht
viel weiter ist, als sie vor dem 30jährigen Kriege war. Denn sie hat 200 Jahre
ämsigen Fleißes gebraucht, den ungeheuren Verlust wieder auszugleichen. Das
Letztere ist richtig zu versteh««. Die großen Fortschritte, welche die Entwickelung
der Volkskraft in den letzten 20 Jahren gemacht hat, sollen so hoch als möglich
angeschlagen werden. Der rege Verkehr der cultivirten Nationen der Erde unter¬
einander, die segensreichen Resultate, welche unser vermehrtes Wissen auf Ackerbau
und Industrie des Volks ausgeübt hat, sollen so hoch, als sie verdienen, gewürdigt
werden, aber in dem größten Theil des heimgesuchten Deutschlands sind wir sicher
erst jetzt durch alle diese Mächte der neuern Zeit in unsrer Production so weit
gekommen, wie wir vor etwa 230 Jahren bereits waren, und wenn in den zahl¬
reichen-Gegenden, wo eine starke Entwickelung moderner Industrie durch die
Localität begünstigt stattfinden konnte, sich der nationale Wohlstand so gehoben
hat, daß die alte Zeit mit der Gegenwart nicht verglichen werden kann, so sind
dagegen andere große Landstriche verhältnißmäßig zurückgeblieben. Auch dafür
mag man als Beispiel die vorstehenden Zahlenangaben gelten lassen, immer voraus¬
geschickt, daß dieselben in der That keine Ausnahme darstellen, sondern mit Wahr¬
scheinlichkeit bis zu einem gewissen Grade das allgemeine Verhältniß der Gegen¬
wart zur Vergangenheit ausdrücken. Nach den Tabellen der Meiningischen'Dör¬
fer hat sich die Bevölkerung des Landes seit dem Anfange des 30jährigen Krie¬
ges bis zur Gegenwart nur unbedeutend vermehrt, vielleicht gar nicht, wenn man
annimmt, daß im Jahre 1634 die Einwohnerzahl keineswegs mehr vollständig
vorhanden sein konnte, und die Familien damals wol größer waren, weil die
Bildung einer neuen nicht so leicht war, als gegenwärtig. Wenn aber die Men¬
schenmenge allein keinen Maßstab giebt für das productive Vermögen einer Gegend,
und wir zu der Annahme sehr geneigt sind, daß die Menschen vor dem 30jährigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/218>, abgerufen am 22.12.2024.