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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Bedürfnisse kennen und mit der Feder umzugehen wissen. Sie alle haben, um
dem Staat zu dienen, sehr wahrscheinlich mancherlei Opfer in der Verwaltung ihrer
Geschäfte bringen müssen. Ja, das Landammannamt, mühevoll und mit Unannehm¬
lichkeiten überladen, trägt kaum 2--300 si, im Jahr. Wer Staaten und Staats¬
formen der verschiedensten Art im Leben praktisch kennen lernte, weiß freilich, daß
derartige Verhältnisse eben nur für kleinere Länder und möglichst einfache Lebens¬
zustände passen. Aber man soll auch nicht mit souverainer Geringschätzung auf ihr
Vorhandensein Hinblicken und vor allen Dingen im Unfchlbarkeitsgefühle royalisti-
scher Einrichtungen nicht glauben, daß die Republik vom Einzelnen nicht weit
mehr politische Opferfreudigkeit fordere, als eine andere Staatsform. Wer ohne
Begeisterung für, ja mit Abneigung gegen die republikanische Staatsform herein¬
kam in die Schweiz, der wird selbst nach kurzer Bekanntschaft mit den Entwicke¬
lungen in den einzelnen Cantonen eingestehen müssen,, daß eine Opferfreudigkeit
der Einzelnen für das Wohl der Gesammtheit herrscht, wie sie in den realistischen
Staaten des europäischen Westens, Nordens und Ostens mir sehr vereinzelt ange¬
troffen wird. Pckuniaire und Zeitopfer ohne Vergütung werden als etwas so Selbst¬
verständliches behandelt, daß man ihren Resultaten gegenüber (-- wenn man
die Kleinheit der Cantone, der einzelnen Gemeinden ze. betrachtet --) in der That
beschämt an die Heimath oder Heimathverwandtes gedenkt. Aber dies Bewußtsein
hebt eben auch den Einzelnen; und den Zürcher oder Berner Patrizier vielleicht
kaum mehr, als den Appenzeller, der vom einsamen Bauerngehöft herabstieg, um
seiue Stimme auf der Landsgemeinde abzugeben. Nicht für den Herrn Landam-
mann und die Herren Landeshauptleute gilt ihm die,komisch-pathetische Trom¬
melpfeifenmusik des Aufzuges. Er siecht da nur gleichsam die Verkörperung seines
kleinen Bergstaates, deren Herannahen diese gellenden Tone verkünden. Ehr¬
furchtsvoll öffnet sich darum ohne Polizei und Gendarmen eine Gasse in den bisher
durcheinander fluchenden, lachenden, schäckernden Menschenhaufen der Straße,
und ein plötzliches Schweigen liegt weithin vor- und rückwärts auf der Meuge,
ohne Befehl entblößen sich alle Häupter bei dem Vorüberznge, als käme das
Sanctissimum einer Prozession, ernst werden qlle Gesichter und auch die Frauen
schlagen die Augen nieder, nur etwa leise flüsternd.

Endlich gelangt der Zug zum Marktplatz. Zwei prachtvolle Linden, jetzt
freilich noch nicht belaubt, doch heut in ihrem Gezweig voll kletterkecken und schau¬
lustigen Buben, stehen dort nahe beisammen an einem friedlich plätschernden
Brunnen. Unter ihrem Halbschatten erhebt sich eine breite Tribune, schwarz
und weiß behängen, die Draperie zur Rechten und Linken von zwei ungeheueren
Schwertern mit kunstvoll gearbeiteten Handgriffe gehalten. Im Halbkreise
davor stellen sich die Rodelhauptleute auf; hinter ihnen drängen sich Kops
an Kops, meistens in Gemeinden gruppirt, die stimmfähigen Männer. Diese
umfluthen die Gäste und Frauen; alle Fenster der umstehenden Gebäude sind
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Bedürfnisse kennen und mit der Feder umzugehen wissen. Sie alle haben, um
dem Staat zu dienen, sehr wahrscheinlich mancherlei Opfer in der Verwaltung ihrer
Geschäfte bringen müssen. Ja, das Landammannamt, mühevoll und mit Unannehm¬
lichkeiten überladen, trägt kaum 2—300 si, im Jahr. Wer Staaten und Staats¬
formen der verschiedensten Art im Leben praktisch kennen lernte, weiß freilich, daß
derartige Verhältnisse eben nur für kleinere Länder und möglichst einfache Lebens¬
zustände passen. Aber man soll auch nicht mit souverainer Geringschätzung auf ihr
Vorhandensein Hinblicken und vor allen Dingen im Unfchlbarkeitsgefühle royalisti-
scher Einrichtungen nicht glauben, daß die Republik vom Einzelnen nicht weit
mehr politische Opferfreudigkeit fordere, als eine andere Staatsform. Wer ohne
Begeisterung für, ja mit Abneigung gegen die republikanische Staatsform herein¬
kam in die Schweiz, der wird selbst nach kurzer Bekanntschaft mit den Entwicke¬
lungen in den einzelnen Cantonen eingestehen müssen,, daß eine Opferfreudigkeit
der Einzelnen für das Wohl der Gesammtheit herrscht, wie sie in den realistischen
Staaten des europäischen Westens, Nordens und Ostens mir sehr vereinzelt ange¬
troffen wird. Pckuniaire und Zeitopfer ohne Vergütung werden als etwas so Selbst¬
verständliches behandelt, daß man ihren Resultaten gegenüber (— wenn man
die Kleinheit der Cantone, der einzelnen Gemeinden ze. betrachtet —) in der That
beschämt an die Heimath oder Heimathverwandtes gedenkt. Aber dies Bewußtsein
hebt eben auch den Einzelnen; und den Zürcher oder Berner Patrizier vielleicht
kaum mehr, als den Appenzeller, der vom einsamen Bauerngehöft herabstieg, um
seiue Stimme auf der Landsgemeinde abzugeben. Nicht für den Herrn Landam-
mann und die Herren Landeshauptleute gilt ihm die,komisch-pathetische Trom¬
melpfeifenmusik des Aufzuges. Er siecht da nur gleichsam die Verkörperung seines
kleinen Bergstaates, deren Herannahen diese gellenden Tone verkünden. Ehr¬
furchtsvoll öffnet sich darum ohne Polizei und Gendarmen eine Gasse in den bisher
durcheinander fluchenden, lachenden, schäckernden Menschenhaufen der Straße,
und ein plötzliches Schweigen liegt weithin vor- und rückwärts auf der Meuge,
ohne Befehl entblößen sich alle Häupter bei dem Vorüberznge, als käme das
Sanctissimum einer Prozession, ernst werden qlle Gesichter und auch die Frauen
schlagen die Augen nieder, nur etwa leise flüsternd.

Endlich gelangt der Zug zum Marktplatz. Zwei prachtvolle Linden, jetzt
freilich noch nicht belaubt, doch heut in ihrem Gezweig voll kletterkecken und schau¬
lustigen Buben, stehen dort nahe beisammen an einem friedlich plätschernden
Brunnen. Unter ihrem Halbschatten erhebt sich eine breite Tribune, schwarz
und weiß behängen, die Draperie zur Rechten und Linken von zwei ungeheueren
Schwertern mit kunstvoll gearbeiteten Handgriffe gehalten. Im Halbkreise
davor stellen sich die Rodelhauptleute auf; hinter ihnen drängen sich Kops
an Kops, meistens in Gemeinden gruppirt, die stimmfähigen Männer. Diese
umfluthen die Gäste und Frauen; alle Fenster der umstehenden Gebäude sind
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/151>, abgerufen am 22.12.2024.