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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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wenn man den Zweck der Theaterschulen ans diese Aeusierlichleiteu beschränken
wollte, so würde wol kein Verständiger -etwas dagegen einwenden könne", wie er
sich auch die Art und Weise der Ausführung vorstellen möge.

Noch ein zweiter Zweck wird sich mit derselben Evidenz feststellen lassen, ob¬
gleich auch hier einer verständigen Regie die Hauptsache zu thun bleibt, nämlich die
gewaltsame Ausrottung des manierirten Wesens. An diesem Uebelstand leiden
unsre Bühnen auf eine wahrhaft erschreckende Weise. Jeder Schauspieler hat
irgend welche Töne, irgend welche Stellungen, irgend welche Geberden, durch die
er einmal den Beifall des Publicums errungen, hat "ut in denen er sich selbst
gefällt. Diese bestimmte" Tone werden nnn regelmäßig bei jeder passenden und
unpassenden Gelegenheit wieder angebracht und dadurch uicht blos der Künstler,
sondern wenn er einiges Geschick befilzt, auch das Publicum demoralisirt. Am
allerschlimmsten ist es bei einem wirklichen Virtuose", der sich uicht mit der
einfachen Wirkung begnügt, sondern nach der verdoppelten Wirkung des Contra-
stes strebt. Er hat einmal durch ein Wimmern des tiefsten Schmerzes, ein an¬
deres Mal durch ein hysterisch wahnsinniges Gelächter, ein drittes Mal durch den
Ton frecher, kalter Ironie dem Publicum imponirt, und findet eS nun höchst an¬
gemessen, so oft es irgend möglich ist, alle diese Effecte zu combiniren. Da
die Menge stets roh ist,' so wird diese Cvnlissenrcißcrei nie ohne Erfolg bleiben,
während sie für den wirklich gebildeten Mann die unerträglichste unter allen er¬
denkbaren Geschmacklosigkeiten ist. Leider giebt unsre verwilderte Theaterliteratur
dem Schauspieler nur zu häufig Gelegenheit, sich in derartigen Fratzen zu ergehen,
hier wird >es aber Sache der Theatcrschttle sein, dergleichen Verirrungen im Keim
vorzubeugen, und Sache einer gebildeten Regie, sie mit Strenge zu uyter-
drückcn.

Es hängt diese Verirrung mit einer fehlerhaften Richtung der Zeit über¬
haupt zusammen, auf die wir hier Mit einigen Worten eingehen müssen. Im
Gegensatz zu dem Idealismus, der sowohl in der französischen Klassicität,
als in der Goethe'schen Kunstperiode herrschend war, neigt mau sich jetzt
zu der Ansicht, das Princip der Kunst sei der Realismus, die Nachahmung
der Natur. Es liegt in dieser Reaction einige Berechtigung, und das
gilt auch für die Gebiete der Malerei und der bildenden .Kunst über¬
haupt. In jedem Idealismus liegt etwas Konventionelles. Die Begriffe des
Schonen und Erhabenen werden an bestimmte Symbole geknüpft, die nur in der
Meinung, nicht in der Wirklichkeit, das ausdrücke", was sie ausdrücken sollen.
Im altfranzösischen Theater nahm dieser Idealismus eine viel einseitigere Gestalt
an, weil er auf einer wirklichen Einheit der sittlichen und ästhetischen Vorstellungen
beruhte; aber eben darum war er auch wieder erträglicher, weil er gewissermaßen
wieder zur Natur wurde. In Weimar dagegen sollten die idealen Vorstellungen
sämmtlicher Volker und Zeiten, die Gegenwart und das deutsche Volk ausgenommen,


wenn man den Zweck der Theaterschulen ans diese Aeusierlichleiteu beschränken
wollte, so würde wol kein Verständiger -etwas dagegen einwenden könne», wie er
sich auch die Art und Weise der Ausführung vorstellen möge.

Noch ein zweiter Zweck wird sich mit derselben Evidenz feststellen lassen, ob¬
gleich auch hier einer verständigen Regie die Hauptsache zu thun bleibt, nämlich die
gewaltsame Ausrottung des manierirten Wesens. An diesem Uebelstand leiden
unsre Bühnen auf eine wahrhaft erschreckende Weise. Jeder Schauspieler hat
irgend welche Töne, irgend welche Stellungen, irgend welche Geberden, durch die
er einmal den Beifall des Publicums errungen, hat »ut in denen er sich selbst
gefällt. Diese bestimmte» Tone werden nnn regelmäßig bei jeder passenden und
unpassenden Gelegenheit wieder angebracht und dadurch uicht blos der Künstler,
sondern wenn er einiges Geschick befilzt, auch das Publicum demoralisirt. Am
allerschlimmsten ist es bei einem wirklichen Virtuose», der sich uicht mit der
einfachen Wirkung begnügt, sondern nach der verdoppelten Wirkung des Contra-
stes strebt. Er hat einmal durch ein Wimmern des tiefsten Schmerzes, ein an¬
deres Mal durch ein hysterisch wahnsinniges Gelächter, ein drittes Mal durch den
Ton frecher, kalter Ironie dem Publicum imponirt, und findet eS nun höchst an¬
gemessen, so oft es irgend möglich ist, alle diese Effecte zu combiniren. Da
die Menge stets roh ist,' so wird diese Cvnlissenrcißcrei nie ohne Erfolg bleiben,
während sie für den wirklich gebildeten Mann die unerträglichste unter allen er¬
denkbaren Geschmacklosigkeiten ist. Leider giebt unsre verwilderte Theaterliteratur
dem Schauspieler nur zu häufig Gelegenheit, sich in derartigen Fratzen zu ergehen,
hier wird >es aber Sache der Theatcrschttle sein, dergleichen Verirrungen im Keim
vorzubeugen, und Sache einer gebildeten Regie, sie mit Strenge zu uyter-
drückcn.

Es hängt diese Verirrung mit einer fehlerhaften Richtung der Zeit über¬
haupt zusammen, auf die wir hier Mit einigen Worten eingehen müssen. Im
Gegensatz zu dem Idealismus, der sowohl in der französischen Klassicität,
als in der Goethe'schen Kunstperiode herrschend war, neigt mau sich jetzt
zu der Ansicht, das Princip der Kunst sei der Realismus, die Nachahmung
der Natur. Es liegt in dieser Reaction einige Berechtigung, und das
gilt auch für die Gebiete der Malerei und der bildenden .Kunst über¬
haupt. In jedem Idealismus liegt etwas Konventionelles. Die Begriffe des
Schonen und Erhabenen werden an bestimmte Symbole geknüpft, die nur in der
Meinung, nicht in der Wirklichkeit, das ausdrücke», was sie ausdrücken sollen.
Im altfranzösischen Theater nahm dieser Idealismus eine viel einseitigere Gestalt
an, weil er auf einer wirklichen Einheit der sittlichen und ästhetischen Vorstellungen
beruhte; aber eben darum war er auch wieder erträglicher, weil er gewissermaßen
wieder zur Natur wurde. In Weimar dagegen sollten die idealen Vorstellungen
sämmtlicher Volker und Zeiten, die Gegenwart und das deutsche Volk ausgenommen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/104>, abgerufen am 22.12.2024.