Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

diesem Gebiete nicht nur nicht das geringste Neue schaffen, sondern nicht einmal
das mit den neuen Lebensbeziehungen Contrastirende passend umzugestalten ver¬
mochte. Immerhin ist es aber bemerkenswerth, daß sich bei der oben geschilder¬
ten Niederhaltung des Gemüthslebens wenigstens die reprvdnctive Wirkung des poe¬
tischen Elementes erhalten hat. Türkenmädchen und Christenjungfrauen singen diesel¬
ben Liebeslieder, obwol ihre Beziehungen zum Manne völlig verschieden sind; Türke
wie Christ hört den blinden GuSlar gleich gern die Heldengesänge von Marko Kralje-
witsch und den Christeuhelden vou Kossowo recitiren, obwol diese Heldenlieder das Chri¬
stenthum und das Serbcnthum verherrlichen und von dem heißesten Hasse gegen den
Islam und dessen Anhänger erklinge". singt jedoch der Türke diese Lieder, so mag
man es ihm zu Gute halten, wenn er zur Rettung der Reputation seiner Glau¬
bensgenossen seine Vorliebe dem Türken zuwendet, und diesen zum Sieger über
den Christen macht. Dies und die Eiuflcchtuug orientalischer Namen und
schwülstiger Phrasen im Liebesliede sind die einzigen Veränderungen, welche die
Türken mit dem serbischen Volksliede vornehmen konnten, dessen Wesen übrigens
dasselbe blieb, da das fremde Beiwerk sich dazu ganz unorganisch verhält und
kaum die äußere Form berührt. Es steht fast aus wie ein Act der Rache des
Nationalgeistes, daß er seine Erzeugnisse seinen erbittertsten Hassern unentbehrlich
macht, und ihnen damit ihre Apostasie, wie in einem Spiegel, vorhält.

Nun noch einige Worte über die Stellung der Raja zu den Türken. Das
Verhältniß beider ist schlimmer, als jenes der Negersclaven zu ihrem Herrn;
gleichwol ist dadurch das Nationalbewußtsein der Raja nicht gebrochen. Der
Raja ist Christ und Serbe und mag von einer Gleichstellung mit seinem Herrn
Nichts hören, der durch Abschwörung dieses Charakters sich von der Menschheit
losgelöst hat. Nie wird der serbische Raja die Stammeseinheit mit den moham¬
medanischen Serben zugeben, ja er sieht es als Gotteslästerung an, wenn Je¬
mandes Toleranz so weit geht, daß er den Türken für Seinesgleichen ansieht.
Mit dem Osmanen mag sich der Serbe doch einigermaßen vertragen; der Os-
mane ist ihm weltfremd, er war nie Christ und ist in dieser Hinsicht vorwurfsfrei;
aber der mohammedanische Serbe, der Poturtschenjak (Apostat), welcher seine
Religion und Nationalität verläugnet, hat keinen Anspruch auf Duldung oder
Freundschaft des Christen. Diese harte, aber durch vierhuudertjährige Erfahrung
nur zu sehr gerechtfertigte Gesinnung theilt Mann wie Weib, Priester wie Laie
in gleicher Weise; sie vererbt sich von Vater auf Sohn und potenzirt sich bei
jeder neuen Generation. Ein Sprichwort sagt: "Gott habe keinen Feind außer
dem Türken"; wenn sich aus dem, was ich über die Kirche gesagt, das Ver¬
hältniß des Serben zu seinem Gott vergegenwärtigt, wird man den Sinn dieser
Kriegserklärung leicht fassen. --

Faßt man alle diese Beziehungen ins Auge, so kommt man zu dem Resultate,
daß die mohammedanischen Serben eine der widerwärtigsten Erscheinungen in der


9*

diesem Gebiete nicht nur nicht das geringste Neue schaffen, sondern nicht einmal
das mit den neuen Lebensbeziehungen Contrastirende passend umzugestalten ver¬
mochte. Immerhin ist es aber bemerkenswerth, daß sich bei der oben geschilder¬
ten Niederhaltung des Gemüthslebens wenigstens die reprvdnctive Wirkung des poe¬
tischen Elementes erhalten hat. Türkenmädchen und Christenjungfrauen singen diesel¬
ben Liebeslieder, obwol ihre Beziehungen zum Manne völlig verschieden sind; Türke
wie Christ hört den blinden GuSlar gleich gern die Heldengesänge von Marko Kralje-
witsch und den Christeuhelden vou Kossowo recitiren, obwol diese Heldenlieder das Chri¬
stenthum und das Serbcnthum verherrlichen und von dem heißesten Hasse gegen den
Islam und dessen Anhänger erklinge». singt jedoch der Türke diese Lieder, so mag
man es ihm zu Gute halten, wenn er zur Rettung der Reputation seiner Glau¬
bensgenossen seine Vorliebe dem Türken zuwendet, und diesen zum Sieger über
den Christen macht. Dies und die Eiuflcchtuug orientalischer Namen und
schwülstiger Phrasen im Liebesliede sind die einzigen Veränderungen, welche die
Türken mit dem serbischen Volksliede vornehmen konnten, dessen Wesen übrigens
dasselbe blieb, da das fremde Beiwerk sich dazu ganz unorganisch verhält und
kaum die äußere Form berührt. Es steht fast aus wie ein Act der Rache des
Nationalgeistes, daß er seine Erzeugnisse seinen erbittertsten Hassern unentbehrlich
macht, und ihnen damit ihre Apostasie, wie in einem Spiegel, vorhält.

Nun noch einige Worte über die Stellung der Raja zu den Türken. Das
Verhältniß beider ist schlimmer, als jenes der Negersclaven zu ihrem Herrn;
gleichwol ist dadurch das Nationalbewußtsein der Raja nicht gebrochen. Der
Raja ist Christ und Serbe und mag von einer Gleichstellung mit seinem Herrn
Nichts hören, der durch Abschwörung dieses Charakters sich von der Menschheit
losgelöst hat. Nie wird der serbische Raja die Stammeseinheit mit den moham¬
medanischen Serben zugeben, ja er sieht es als Gotteslästerung an, wenn Je¬
mandes Toleranz so weit geht, daß er den Türken für Seinesgleichen ansieht.
Mit dem Osmanen mag sich der Serbe doch einigermaßen vertragen; der Os-
mane ist ihm weltfremd, er war nie Christ und ist in dieser Hinsicht vorwurfsfrei;
aber der mohammedanische Serbe, der Poturtschenjak (Apostat), welcher seine
Religion und Nationalität verläugnet, hat keinen Anspruch auf Duldung oder
Freundschaft des Christen. Diese harte, aber durch vierhuudertjährige Erfahrung
nur zu sehr gerechtfertigte Gesinnung theilt Mann wie Weib, Priester wie Laie
in gleicher Weise; sie vererbt sich von Vater auf Sohn und potenzirt sich bei
jeder neuen Generation. Ein Sprichwort sagt: „Gott habe keinen Feind außer
dem Türken"; wenn sich aus dem, was ich über die Kirche gesagt, das Ver¬
hältniß des Serben zu seinem Gott vergegenwärtigt, wird man den Sinn dieser
Kriegserklärung leicht fassen. —

Faßt man alle diese Beziehungen ins Auge, so kommt man zu dem Resultate,
daß die mohammedanischen Serben eine der widerwärtigsten Erscheinungen in der


9*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93980"/>
            <p xml:id="ID_200" prev="#ID_199"> diesem Gebiete nicht nur nicht das geringste Neue schaffen, sondern nicht einmal<lb/>
das mit den neuen Lebensbeziehungen Contrastirende passend umzugestalten ver¬<lb/>
mochte. Immerhin ist es aber bemerkenswerth, daß sich bei der oben geschilder¬<lb/>
ten Niederhaltung des Gemüthslebens wenigstens die reprvdnctive Wirkung des poe¬<lb/>
tischen Elementes erhalten hat. Türkenmädchen und Christenjungfrauen singen diesel¬<lb/>
ben Liebeslieder, obwol ihre Beziehungen zum Manne völlig verschieden sind; Türke<lb/>
wie Christ hört den blinden GuSlar gleich gern die Heldengesänge von Marko Kralje-<lb/>
witsch und den Christeuhelden vou Kossowo recitiren, obwol diese Heldenlieder das Chri¬<lb/>
stenthum und das Serbcnthum verherrlichen und von dem heißesten Hasse gegen den<lb/>
Islam und dessen Anhänger erklinge». singt jedoch der Türke diese Lieder, so mag<lb/>
man es ihm zu Gute halten, wenn er zur Rettung der Reputation seiner Glau¬<lb/>
bensgenossen seine Vorliebe dem Türken zuwendet, und diesen zum Sieger über<lb/>
den Christen macht. Dies und die Eiuflcchtuug orientalischer Namen und<lb/>
schwülstiger Phrasen im Liebesliede sind die einzigen Veränderungen, welche die<lb/>
Türken mit dem serbischen Volksliede vornehmen konnten, dessen Wesen übrigens<lb/>
dasselbe blieb, da das fremde Beiwerk sich dazu ganz unorganisch verhält und<lb/>
kaum die äußere Form berührt. Es steht fast aus wie ein Act der Rache des<lb/>
Nationalgeistes, daß er seine Erzeugnisse seinen erbittertsten Hassern unentbehrlich<lb/>
macht, und ihnen damit ihre Apostasie, wie in einem Spiegel, vorhält.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_201"> Nun noch einige Worte über die Stellung der Raja zu den Türken. Das<lb/>
Verhältniß beider ist schlimmer, als jenes der Negersclaven zu ihrem Herrn;<lb/>
gleichwol ist dadurch das Nationalbewußtsein der Raja nicht gebrochen. Der<lb/>
Raja ist Christ und Serbe und mag von einer Gleichstellung mit seinem Herrn<lb/>
Nichts hören, der durch Abschwörung dieses Charakters sich von der Menschheit<lb/>
losgelöst hat. Nie wird der serbische Raja die Stammeseinheit mit den moham¬<lb/>
medanischen Serben zugeben, ja er sieht es als Gotteslästerung an, wenn Je¬<lb/>
mandes Toleranz so weit geht, daß er den Türken für Seinesgleichen ansieht.<lb/>
Mit dem Osmanen mag sich der Serbe doch einigermaßen vertragen; der Os-<lb/>
mane ist ihm weltfremd, er war nie Christ und ist in dieser Hinsicht vorwurfsfrei;<lb/>
aber der mohammedanische Serbe, der Poturtschenjak (Apostat), welcher seine<lb/>
Religion und Nationalität verläugnet, hat keinen Anspruch auf Duldung oder<lb/>
Freundschaft des Christen. Diese harte, aber durch vierhuudertjährige Erfahrung<lb/>
nur zu sehr gerechtfertigte Gesinnung theilt Mann wie Weib, Priester wie Laie<lb/>
in gleicher Weise; sie vererbt sich von Vater auf Sohn und potenzirt sich bei<lb/>
jeder neuen Generation. Ein Sprichwort sagt: &#x201E;Gott habe keinen Feind außer<lb/>
dem Türken"; wenn sich aus dem, was ich über die Kirche gesagt, das Ver¬<lb/>
hältniß des Serben zu seinem Gott vergegenwärtigt, wird man den Sinn dieser<lb/>
Kriegserklärung leicht fassen. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_202" next="#ID_203"> Faßt man alle diese Beziehungen ins Auge, so kommt man zu dem Resultate,<lb/>
daß die mohammedanischen Serben eine der widerwärtigsten Erscheinungen in der</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 9*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0077] diesem Gebiete nicht nur nicht das geringste Neue schaffen, sondern nicht einmal das mit den neuen Lebensbeziehungen Contrastirende passend umzugestalten ver¬ mochte. Immerhin ist es aber bemerkenswerth, daß sich bei der oben geschilder¬ ten Niederhaltung des Gemüthslebens wenigstens die reprvdnctive Wirkung des poe¬ tischen Elementes erhalten hat. Türkenmädchen und Christenjungfrauen singen diesel¬ ben Liebeslieder, obwol ihre Beziehungen zum Manne völlig verschieden sind; Türke wie Christ hört den blinden GuSlar gleich gern die Heldengesänge von Marko Kralje- witsch und den Christeuhelden vou Kossowo recitiren, obwol diese Heldenlieder das Chri¬ stenthum und das Serbcnthum verherrlichen und von dem heißesten Hasse gegen den Islam und dessen Anhänger erklinge». singt jedoch der Türke diese Lieder, so mag man es ihm zu Gute halten, wenn er zur Rettung der Reputation seiner Glau¬ bensgenossen seine Vorliebe dem Türken zuwendet, und diesen zum Sieger über den Christen macht. Dies und die Eiuflcchtuug orientalischer Namen und schwülstiger Phrasen im Liebesliede sind die einzigen Veränderungen, welche die Türken mit dem serbischen Volksliede vornehmen konnten, dessen Wesen übrigens dasselbe blieb, da das fremde Beiwerk sich dazu ganz unorganisch verhält und kaum die äußere Form berührt. Es steht fast aus wie ein Act der Rache des Nationalgeistes, daß er seine Erzeugnisse seinen erbittertsten Hassern unentbehrlich macht, und ihnen damit ihre Apostasie, wie in einem Spiegel, vorhält. Nun noch einige Worte über die Stellung der Raja zu den Türken. Das Verhältniß beider ist schlimmer, als jenes der Negersclaven zu ihrem Herrn; gleichwol ist dadurch das Nationalbewußtsein der Raja nicht gebrochen. Der Raja ist Christ und Serbe und mag von einer Gleichstellung mit seinem Herrn Nichts hören, der durch Abschwörung dieses Charakters sich von der Menschheit losgelöst hat. Nie wird der serbische Raja die Stammeseinheit mit den moham¬ medanischen Serben zugeben, ja er sieht es als Gotteslästerung an, wenn Je¬ mandes Toleranz so weit geht, daß er den Türken für Seinesgleichen ansieht. Mit dem Osmanen mag sich der Serbe doch einigermaßen vertragen; der Os- mane ist ihm weltfremd, er war nie Christ und ist in dieser Hinsicht vorwurfsfrei; aber der mohammedanische Serbe, der Poturtschenjak (Apostat), welcher seine Religion und Nationalität verläugnet, hat keinen Anspruch auf Duldung oder Freundschaft des Christen. Diese harte, aber durch vierhuudertjährige Erfahrung nur zu sehr gerechtfertigte Gesinnung theilt Mann wie Weib, Priester wie Laie in gleicher Weise; sie vererbt sich von Vater auf Sohn und potenzirt sich bei jeder neuen Generation. Ein Sprichwort sagt: „Gott habe keinen Feind außer dem Türken"; wenn sich aus dem, was ich über die Kirche gesagt, das Ver¬ hältniß des Serben zu seinem Gott vergegenwärtigt, wird man den Sinn dieser Kriegserklärung leicht fassen. — Faßt man alle diese Beziehungen ins Auge, so kommt man zu dem Resultate, daß die mohammedanischen Serben eine der widerwärtigsten Erscheinungen in der 9*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/77
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/77>, abgerufen am 24.07.2024.