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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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zurück. Man sollte denken, daß es nun Dankmar, und namentlich seinem Bruder
Siegbert, der das Geheimniß entdeckt, die Papiere gelesen und gefunden hat,
daß sie die wichtigsten Aufschlüsse für Egon enthielten, daran gelegen sein müsse,
den Prinzen, dem sie nun endlich die Aufwartung machen, von dem Raub der
Papiere in Kenntniß zu setzen. Statt dessen legen sie es darauf an, ihn zu be¬
trügen. Sie legen ein gleichgiltiges frommes Buch in das Bild, und der Prinz
wird nur durch einen Zufall von dem wahren Thatbestand unterrichtet. Sofort
begiebt er sich zu Pauline und fordert die Papiere zurück. Da diese durch
dieselben aufs Höchste compromittirt wird, so sollte man glauben, sie würde sie
vernichtet haben; aber sie hat es nicht gethan, und sie gesteht sogar dem Prinzen
zu, daß sie noch existiren. Darauf erklärt dieser, er habe von seinen Freunden
das Haus umstellen lassen, und werde sämmtliche Schlösser aufbrechen, bis er die
Papiere gefunden habe. Eingeschüchtert durch diese Drohung, giebt sie die
Papiere heraus. Der Inhalt derselben ist aber von der Art, daß der Prinz seinen bis¬
herigen Haß gegen sie aufgiebt, und in die vollständigste Abhängigkeit von ihr geräth.
Warum sie ihm also die Papiere nicht freiwillig übergeben, erfährt man nicht,
und alle die übrigen Dieb- und Naubgeschichten, die sich an das Bild knüpfen,
bleiben eben so ohne Einfluß auf die weitere Handlung, wie die
Dieb- und Raubgeschichten in Beziehung ans den Schrein.

Als dritter Knotenpunkt der Intrigue dient ein altes Försterhaus im Walde,
in welchem eine Art wahnsinnige Hexe wohnt, die durch ihr gräßliches Geschrei
alle Augenblicke die Nachbarn in Unruhe versetzt. Hier wird die Verwickelung
ernsthafter. Die Hexe.ist die Schwester eines blinden Schmiedes, Zeck. Ein
anderer Bruder ist früher Falschmünzer gewesen, und nachdem er lange Zeit eine
Rolle in der vornehmen Welt gespielt und unter Anderm anch mit jener Pauline
von Harder ein Liebesverhältniß unterhalten, verurtheilt worden; er ist aber aus
dem Gefängniß entkommen und nach Amerika gegangen, wo ein wohlhabender
und philanthropischer Mann aus ihm geworden ist. Er kehrt zurück, um einen
Sohn zu suchen. Zu diesem Zweck veranlaßt er eine Zusammenkunft zwischen
seiner Schwester, der Hexe, und seinem Bruder, dem blinden Schmied. Diese beiden
würdigen Geschöpfe gerathen in heftigen Zank, und der Schmied ist im Begriff,
auf seine Schwester mit dem Hammer zu schlagen, da zieht sein Bruder ein Pistol,
und schießt ihn nieder. Im gewöhnlichen Leben gilt Brudermord für eine unter
allen Umständen sehr unangenehme Begebenheit; in der Sphäre aber, in der sich
die Ritter vom Geist bewegen, ist man über dergleichen Vorurtheile hinaus. Nicht
blos das Gericht spricht ihn frei, weil er den Mord nur zur Abwehr einer Unthat
begangen, sondern anch sein eigenes Innere. Er setzt seine philanthropischen Be¬
strebungen fort, ohne weitere Gewissensbisse über den Tod seines Bruders.

Dies sind die Schablonen der Intrigue; die darin eingeführte Färbung ist düster
genug. Fast alle betheiligten Personen haben entweder in Vielfachen unsittlichen Liebes-


zurück. Man sollte denken, daß es nun Dankmar, und namentlich seinem Bruder
Siegbert, der das Geheimniß entdeckt, die Papiere gelesen und gefunden hat,
daß sie die wichtigsten Aufschlüsse für Egon enthielten, daran gelegen sein müsse,
den Prinzen, dem sie nun endlich die Aufwartung machen, von dem Raub der
Papiere in Kenntniß zu setzen. Statt dessen legen sie es darauf an, ihn zu be¬
trügen. Sie legen ein gleichgiltiges frommes Buch in das Bild, und der Prinz
wird nur durch einen Zufall von dem wahren Thatbestand unterrichtet. Sofort
begiebt er sich zu Pauline und fordert die Papiere zurück. Da diese durch
dieselben aufs Höchste compromittirt wird, so sollte man glauben, sie würde sie
vernichtet haben; aber sie hat es nicht gethan, und sie gesteht sogar dem Prinzen
zu, daß sie noch existiren. Darauf erklärt dieser, er habe von seinen Freunden
das Haus umstellen lassen, und werde sämmtliche Schlösser aufbrechen, bis er die
Papiere gefunden habe. Eingeschüchtert durch diese Drohung, giebt sie die
Papiere heraus. Der Inhalt derselben ist aber von der Art, daß der Prinz seinen bis¬
herigen Haß gegen sie aufgiebt, und in die vollständigste Abhängigkeit von ihr geräth.
Warum sie ihm also die Papiere nicht freiwillig übergeben, erfährt man nicht,
und alle die übrigen Dieb- und Naubgeschichten, die sich an das Bild knüpfen,
bleiben eben so ohne Einfluß auf die weitere Handlung, wie die
Dieb- und Raubgeschichten in Beziehung ans den Schrein.

Als dritter Knotenpunkt der Intrigue dient ein altes Försterhaus im Walde,
in welchem eine Art wahnsinnige Hexe wohnt, die durch ihr gräßliches Geschrei
alle Augenblicke die Nachbarn in Unruhe versetzt. Hier wird die Verwickelung
ernsthafter. Die Hexe.ist die Schwester eines blinden Schmiedes, Zeck. Ein
anderer Bruder ist früher Falschmünzer gewesen, und nachdem er lange Zeit eine
Rolle in der vornehmen Welt gespielt und unter Anderm anch mit jener Pauline
von Harder ein Liebesverhältniß unterhalten, verurtheilt worden; er ist aber aus
dem Gefängniß entkommen und nach Amerika gegangen, wo ein wohlhabender
und philanthropischer Mann aus ihm geworden ist. Er kehrt zurück, um einen
Sohn zu suchen. Zu diesem Zweck veranlaßt er eine Zusammenkunft zwischen
seiner Schwester, der Hexe, und seinem Bruder, dem blinden Schmied. Diese beiden
würdigen Geschöpfe gerathen in heftigen Zank, und der Schmied ist im Begriff,
auf seine Schwester mit dem Hammer zu schlagen, da zieht sein Bruder ein Pistol,
und schießt ihn nieder. Im gewöhnlichen Leben gilt Brudermord für eine unter
allen Umständen sehr unangenehme Begebenheit; in der Sphäre aber, in der sich
die Ritter vom Geist bewegen, ist man über dergleichen Vorurtheile hinaus. Nicht
blos das Gericht spricht ihn frei, weil er den Mord nur zur Abwehr einer Unthat
begangen, sondern anch sein eigenes Innere. Er setzt seine philanthropischen Be¬
strebungen fort, ohne weitere Gewissensbisse über den Tod seines Bruders.

Dies sind die Schablonen der Intrigue; die darin eingeführte Färbung ist düster
genug. Fast alle betheiligten Personen haben entweder in Vielfachen unsittlichen Liebes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/63>, abgerufen am 24.07.2024.