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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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getheilt, daß man ihn in den Händen eines gewissen Justizraths Schlnrk gesehen
habe, eines höchst gewissenlosen Menschen, der nicht blos der Anwalt seiner Ge¬
genpartei ist, sondern auch persönlich das größte Interesse daran hat, daß die
Erbschaft der Stadt erhalten bleibe, von dem man daher mit ziemlicher Wahr¬
scheinlichkeit voraussetzen kann, er werde die Documente unterschlage" oder we¬
nigstens verfälschen. Man sollte also meinen, Dankmar würde durch diese Nachricht
zu den schnellsten und entschiedensten Maßregeln getrieben werden; aber nein!
während sonst der Schrein die fixe Idee seines Lebens geworden ist, läßt er sich
nun mehrere Bände hindurch in eine Reihe von Abenteuern und Zerstreuungen
ein, die mit seinem Zweck nicht in der geringsten Verbindung stehen. Freilich
benutzt sein Gegner die Zeit eben so schlecht. Zwar öffnet er den Schrein, nimmt
die wichtigsten Papiere heraus und legt sie bei Seite, aber gleichzeitig läßt er
in das Intelligenzblatt setzen, er habe den bewußten Schrein gefunden. Dauk-
mar meldet sich, und Schlurk, uach einigen ungeschickten Unterhandlungen, ver¬
weigert ihm die Rückgabe des Schreins aus dem gar nicht unhaltbaren Grund,
daß jene Papiere nicht den Parreien, sondern den Gerichten angehören. Dank¬
mar will scheltend abgehen, da bemerkt er in einer Ecke den Schrein, stürzt darauf
los und entführt ihn, ohne anf die heftigen Protestationen des Justizraths zu
achten. Nun fehlen in dem Schrein gerade die wichtigsten Papiere; aber noch
ehe Dankmar es bemerkt, schickt ihm die Tochter des Justizraths dieselben zu,
ohne daß der Vater sie daran hindert. Dankmar schreibt ein höfliches Billet,
worin er seine Gewaltthat entschuldigt, und der Proceß nimmt seinen Fortgang,
ohne daß irgend einer von den mit so großer Wichtigkeit ausgeführ¬
ten Umständen auch nnr den geringsten Einfluß aus den w eitern
Gang der Handlung ausübte. Weder daß sich Dankmar dos Schreins
zuerst ohne Berechtigung bemächtigt, noch daß der Justizrath ihn ihm gestohlen,
noch daß Dankmar ihn wieder gewaltsam geraubt, noch daß Fräulein Schlnrk
ihm die Papiere freiwillig ausgeliefert: -- keiner vou alleu diesen Umständen
wird in der Folge wieder aufgenommen. Es ist also vollständig eine Geschichte
ohne Pointe und als solche um so auffallender, da sich die ganze Geschichte des
Schreins in einer zweiten Geschichte von einem eben so symbolischen Bilde noch
ein Mal wiederholt. -- Zunächst verfolgen wir den Schrein. Wir haben schon
erwähnt, daß Dankmar in dritter Instanz den Proceß gewinnt. In Folge dessen
wird die Commune von Berlin verurtheilt, ihm eine Million Thaler auszuzahlen.
Zu diesem Zweck creirt sie eine Million Kämmereischeine. Diese werden aber
nicht an Dankmar ausgeliefert, sondern wiederum in jenen symbolischen Schrein
gethan. Dankmar ist nämlich in dem Augenblick politischer Gefangener, und sein
älterer Bruder, der eigentliche Erbe, im Ausland. Dankmar wird aus seinem
Gefängniß durch die verbündeten Ritter vom Geist befreit; er bricht an dem Ort
ein, wo jener Schrein steht, und entführt ihn wiederum mit Gewalt, aber er


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getheilt, daß man ihn in den Händen eines gewissen Justizraths Schlnrk gesehen
habe, eines höchst gewissenlosen Menschen, der nicht blos der Anwalt seiner Ge¬
genpartei ist, sondern auch persönlich das größte Interesse daran hat, daß die
Erbschaft der Stadt erhalten bleibe, von dem man daher mit ziemlicher Wahr¬
scheinlichkeit voraussetzen kann, er werde die Documente unterschlage» oder we¬
nigstens verfälschen. Man sollte also meinen, Dankmar würde durch diese Nachricht
zu den schnellsten und entschiedensten Maßregeln getrieben werden; aber nein!
während sonst der Schrein die fixe Idee seines Lebens geworden ist, läßt er sich
nun mehrere Bände hindurch in eine Reihe von Abenteuern und Zerstreuungen
ein, die mit seinem Zweck nicht in der geringsten Verbindung stehen. Freilich
benutzt sein Gegner die Zeit eben so schlecht. Zwar öffnet er den Schrein, nimmt
die wichtigsten Papiere heraus und legt sie bei Seite, aber gleichzeitig läßt er
in das Intelligenzblatt setzen, er habe den bewußten Schrein gefunden. Dauk-
mar meldet sich, und Schlurk, uach einigen ungeschickten Unterhandlungen, ver¬
weigert ihm die Rückgabe des Schreins aus dem gar nicht unhaltbaren Grund,
daß jene Papiere nicht den Parreien, sondern den Gerichten angehören. Dank¬
mar will scheltend abgehen, da bemerkt er in einer Ecke den Schrein, stürzt darauf
los und entführt ihn, ohne anf die heftigen Protestationen des Justizraths zu
achten. Nun fehlen in dem Schrein gerade die wichtigsten Papiere; aber noch
ehe Dankmar es bemerkt, schickt ihm die Tochter des Justizraths dieselben zu,
ohne daß der Vater sie daran hindert. Dankmar schreibt ein höfliches Billet,
worin er seine Gewaltthat entschuldigt, und der Proceß nimmt seinen Fortgang,
ohne daß irgend einer von den mit so großer Wichtigkeit ausgeführ¬
ten Umständen auch nnr den geringsten Einfluß aus den w eitern
Gang der Handlung ausübte. Weder daß sich Dankmar dos Schreins
zuerst ohne Berechtigung bemächtigt, noch daß der Justizrath ihn ihm gestohlen,
noch daß Dankmar ihn wieder gewaltsam geraubt, noch daß Fräulein Schlnrk
ihm die Papiere freiwillig ausgeliefert: — keiner vou alleu diesen Umständen
wird in der Folge wieder aufgenommen. Es ist also vollständig eine Geschichte
ohne Pointe und als solche um so auffallender, da sich die ganze Geschichte des
Schreins in einer zweiten Geschichte von einem eben so symbolischen Bilde noch
ein Mal wiederholt. — Zunächst verfolgen wir den Schrein. Wir haben schon
erwähnt, daß Dankmar in dritter Instanz den Proceß gewinnt. In Folge dessen
wird die Commune von Berlin verurtheilt, ihm eine Million Thaler auszuzahlen.
Zu diesem Zweck creirt sie eine Million Kämmereischeine. Diese werden aber
nicht an Dankmar ausgeliefert, sondern wiederum in jenen symbolischen Schrein
gethan. Dankmar ist nämlich in dem Augenblick politischer Gefangener, und sein
älterer Bruder, der eigentliche Erbe, im Ausland. Dankmar wird aus seinem
Gefängniß durch die verbündeten Ritter vom Geist befreit; er bricht an dem Ort
ein, wo jener Schrein steht, und entführt ihn wiederum mit Gewalt, aber er


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[0061] getheilt, daß man ihn in den Händen eines gewissen Justizraths Schlnrk gesehen habe, eines höchst gewissenlosen Menschen, der nicht blos der Anwalt seiner Ge¬ genpartei ist, sondern auch persönlich das größte Interesse daran hat, daß die Erbschaft der Stadt erhalten bleibe, von dem man daher mit ziemlicher Wahr¬ scheinlichkeit voraussetzen kann, er werde die Documente unterschlage» oder we¬ nigstens verfälschen. Man sollte also meinen, Dankmar würde durch diese Nachricht zu den schnellsten und entschiedensten Maßregeln getrieben werden; aber nein! während sonst der Schrein die fixe Idee seines Lebens geworden ist, läßt er sich nun mehrere Bände hindurch in eine Reihe von Abenteuern und Zerstreuungen ein, die mit seinem Zweck nicht in der geringsten Verbindung stehen. Freilich benutzt sein Gegner die Zeit eben so schlecht. Zwar öffnet er den Schrein, nimmt die wichtigsten Papiere heraus und legt sie bei Seite, aber gleichzeitig läßt er in das Intelligenzblatt setzen, er habe den bewußten Schrein gefunden. Dauk- mar meldet sich, und Schlurk, uach einigen ungeschickten Unterhandlungen, ver¬ weigert ihm die Rückgabe des Schreins aus dem gar nicht unhaltbaren Grund, daß jene Papiere nicht den Parreien, sondern den Gerichten angehören. Dank¬ mar will scheltend abgehen, da bemerkt er in einer Ecke den Schrein, stürzt darauf los und entführt ihn, ohne anf die heftigen Protestationen des Justizraths zu achten. Nun fehlen in dem Schrein gerade die wichtigsten Papiere; aber noch ehe Dankmar es bemerkt, schickt ihm die Tochter des Justizraths dieselben zu, ohne daß der Vater sie daran hindert. Dankmar schreibt ein höfliches Billet, worin er seine Gewaltthat entschuldigt, und der Proceß nimmt seinen Fortgang, ohne daß irgend einer von den mit so großer Wichtigkeit ausgeführ¬ ten Umständen auch nnr den geringsten Einfluß aus den w eitern Gang der Handlung ausübte. Weder daß sich Dankmar dos Schreins zuerst ohne Berechtigung bemächtigt, noch daß der Justizrath ihn ihm gestohlen, noch daß Dankmar ihn wieder gewaltsam geraubt, noch daß Fräulein Schlnrk ihm die Papiere freiwillig ausgeliefert: — keiner vou alleu diesen Umständen wird in der Folge wieder aufgenommen. Es ist also vollständig eine Geschichte ohne Pointe und als solche um so auffallender, da sich die ganze Geschichte des Schreins in einer zweiten Geschichte von einem eben so symbolischen Bilde noch ein Mal wiederholt. — Zunächst verfolgen wir den Schrein. Wir haben schon erwähnt, daß Dankmar in dritter Instanz den Proceß gewinnt. In Folge dessen wird die Commune von Berlin verurtheilt, ihm eine Million Thaler auszuzahlen. Zu diesem Zweck creirt sie eine Million Kämmereischeine. Diese werden aber nicht an Dankmar ausgeliefert, sondern wiederum in jenen symbolischen Schrein gethan. Dankmar ist nämlich in dem Augenblick politischer Gefangener, und sein älterer Bruder, der eigentliche Erbe, im Ausland. Dankmar wird aus seinem Gefängniß durch die verbündeten Ritter vom Geist befreit; er bricht an dem Ort ein, wo jener Schrein steht, und entführt ihn wiederum mit Gewalt, aber er 7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/61>, abgerufen am 24.07.2024.