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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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wenigstens drückte sich einmal die Nationalzeitung so aus. Wir müssen gestehen,
daß wir eigentlich doch immer von der Demokratie eine bessere Meinung gehabt
haben. Wir schrieben zwar nicht der Demokratie im Allgemeinen, aber doch we¬
nigstens dem politischen Theil derselben eine Art, von Organisation, eine gewisse
Konformität in den Ansichten und Bestrebungen zu; wir glaubten, daß die De¬
mokratie nur wartete, daß ihren Führern das Portefeuille übertragen würde, um
denn sofort mit allen ihren Verbesserungen des Staatslebens vorzuschreiten. Von
einer solchen geschlossenen Ansicht ist aber bei den Rittern vom Geist keine Rede.
Sie haben nur das Eine gemeinsam, daß sie alle strebsam sind, geistreich und
abgeneigt gegen den Despotismus; im Uebrigen aber gehen sie in ihren Ansich¬
ten so weit aus einander, daß auch der wohlwollendste König oder das wohl¬
wollendste souvercnne Volk nicht im Stande wäre, ans. ihnen ein Cabinet zusammen¬
zusetzen. Wir glauben nicht, daß sich die Demokratie ein besonders vortheil-
haftes Zeugniß ausstellt, wenn sie ihr Princip mit dem Suchen eines Princips
identificirt, denn blos strebsame Gemüther ohne einen positiven Inhalt haben
nicht das Recht, die Regel umzustoßen, die bis auf Weiteres die verwickelten
Verhältnisse der Gesellschaft zusammenhalten muß.

Neben diesen politischen Raisonnements gehen Reflexionen über Kunst, über
Philosophie, über Landwirthschaft, Finanzsystem, Gewerbe und Handwerk, Han¬
delspolitik, Justiz u. f. w. Gutzkow hat sich die Mühe gegeben, von allen diesen
verschiedenen Branchen eine gewisse Anzahl technischer Ausdrücke zu memoriren,
die er ans dieselbe Weise bei passenden und unpassenden Gelegenheiten anbringt,
wie er es Herrn von Radowitz vorwirft. Diese technischen Ausdrücke machen
zuweilen ein Geklapper, daß man darüber den Sinn vollständig überhört; aber
in keiner einzigen Branche hat es der Dichter zu jener sichern und vollständigen
Kenntniß gebracht, die geeignet wäre, seine Unbefangenheit wieder herzustellen.
Er hätte sich an den englischen Romanschreibern ein Muster nehmen sollen, die,
wenn sie z. B. einen Proceß oder eine Krankheitsgeschichte darstellen, sich nicht
mit einigen oberflächlichen Kunstausdrücken begnügen, sondern ihren Gegenstand
so lange studiren, bis sie seiner völlig Herr sind. So begegnet es ihm aber,
daß er z. B. in dem großen Proceß, dem Mittelpunkt seiner Geschichte, die
wunderlichsten Verstöße gegen das preußische Civilrecht begeht; so begegnet es
jhm auch, daß er in schneidende und dreiste Urtheile verfällt, die er bei genauerer
Kenntniß vermeiden würde.

Jetzt zu dem Knotenpunkt der Geschichte.

Man wird sich erinnern, daß Eugen Tue in seinem Ewigen Juden als
Hauptfaden der Handlung den Proceß um ein unermeßliches Vermögen darstellte,
mit welchem einerseits die Jesuiten ihre schändlichen, andererseits die Nachkommen
des ewigen Juden ihre menschenfreundlichen Absichten ins Werk setzen wollten.
Einen ähnlichen Vorwurf haben'die Ritter vom Geist. -- Zwischen dem prenßi-


Grenzboten. II. 7

wenigstens drückte sich einmal die Nationalzeitung so aus. Wir müssen gestehen,
daß wir eigentlich doch immer von der Demokratie eine bessere Meinung gehabt
haben. Wir schrieben zwar nicht der Demokratie im Allgemeinen, aber doch we¬
nigstens dem politischen Theil derselben eine Art, von Organisation, eine gewisse
Konformität in den Ansichten und Bestrebungen zu; wir glaubten, daß die De¬
mokratie nur wartete, daß ihren Führern das Portefeuille übertragen würde, um
denn sofort mit allen ihren Verbesserungen des Staatslebens vorzuschreiten. Von
einer solchen geschlossenen Ansicht ist aber bei den Rittern vom Geist keine Rede.
Sie haben nur das Eine gemeinsam, daß sie alle strebsam sind, geistreich und
abgeneigt gegen den Despotismus; im Uebrigen aber gehen sie in ihren Ansich¬
ten so weit aus einander, daß auch der wohlwollendste König oder das wohl¬
wollendste souvercnne Volk nicht im Stande wäre, ans. ihnen ein Cabinet zusammen¬
zusetzen. Wir glauben nicht, daß sich die Demokratie ein besonders vortheil-
haftes Zeugniß ausstellt, wenn sie ihr Princip mit dem Suchen eines Princips
identificirt, denn blos strebsame Gemüther ohne einen positiven Inhalt haben
nicht das Recht, die Regel umzustoßen, die bis auf Weiteres die verwickelten
Verhältnisse der Gesellschaft zusammenhalten muß.

Neben diesen politischen Raisonnements gehen Reflexionen über Kunst, über
Philosophie, über Landwirthschaft, Finanzsystem, Gewerbe und Handwerk, Han¬
delspolitik, Justiz u. f. w. Gutzkow hat sich die Mühe gegeben, von allen diesen
verschiedenen Branchen eine gewisse Anzahl technischer Ausdrücke zu memoriren,
die er ans dieselbe Weise bei passenden und unpassenden Gelegenheiten anbringt,
wie er es Herrn von Radowitz vorwirft. Diese technischen Ausdrücke machen
zuweilen ein Geklapper, daß man darüber den Sinn vollständig überhört; aber
in keiner einzigen Branche hat es der Dichter zu jener sichern und vollständigen
Kenntniß gebracht, die geeignet wäre, seine Unbefangenheit wieder herzustellen.
Er hätte sich an den englischen Romanschreibern ein Muster nehmen sollen, die,
wenn sie z. B. einen Proceß oder eine Krankheitsgeschichte darstellen, sich nicht
mit einigen oberflächlichen Kunstausdrücken begnügen, sondern ihren Gegenstand
so lange studiren, bis sie seiner völlig Herr sind. So begegnet es ihm aber,
daß er z. B. in dem großen Proceß, dem Mittelpunkt seiner Geschichte, die
wunderlichsten Verstöße gegen das preußische Civilrecht begeht; so begegnet es
jhm auch, daß er in schneidende und dreiste Urtheile verfällt, die er bei genauerer
Kenntniß vermeiden würde.

Jetzt zu dem Knotenpunkt der Geschichte.

Man wird sich erinnern, daß Eugen Tue in seinem Ewigen Juden als
Hauptfaden der Handlung den Proceß um ein unermeßliches Vermögen darstellte,
mit welchem einerseits die Jesuiten ihre schändlichen, andererseits die Nachkommen
des ewigen Juden ihre menschenfreundlichen Absichten ins Werk setzen wollten.
Einen ähnlichen Vorwurf haben'die Ritter vom Geist. — Zwischen dem prenßi-


Grenzboten. II. 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/59>, abgerufen am 24.07.2024.