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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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daß diese Dialektik ein Resultat hätte. Gutzkow hat mehr Mühe darauf verwendet,
in den Ansichten der verschiedenen Personen eine gewisse Einheit festzuhalten, als
in ihren Charakteren. Allein bei Nadowitz wurde die Aufmerksamkeit des Publi-
cums nicht sowol dnrch den objectiven Werth des politischen Raisonnements ge¬
fesselt, als durch die Neugierde, zu erfahren, was für Ansichten eigentlich der in
den letzten Jahren so einflußreiche Mann selber habe. Bei Gutzkow fällt dieses
Interesse weg. Ferner hatte sich Nadowitz bemüht, so gut es gehen wollte, von
den verschiedenen großen Parteien der Politik die charakteristischen Repräsentanten
auszuwählen und in jedem einzelnen ein Totalbild von den Voraussetzungen, Vor¬
urtheilen, Hoffnungen und Kräften seiner Partei zu geben. Bei Gutzkow da¬
gegen haben wir es eigentlich, so sehr auch die Ansichten aus einander gehen, im¬
mer nur mit einer einzelnen Klasse zu thun: junge strebsame Männer, die vor
Allem darauf ausgehen, ihren eigenen Geist leuchten zu lassen, einer belletristischen
Clique von Dilettanten. Zwar coauettirt der Eine mit dem Socialismus, der
Andere mit der Republik, der Dritte mit dem absoluten Staat :c>; das sind aber
alles nur Masken. Die verschiedenen Klassen der Gesellschaft, die eigentliche
Basis der Parteien, treten nicht in ihrer Reinheit auf. Ein Prinz von Hohen-
berg, der uicht blos in Paris ein Handwerk treibt, sondern auch in seinem eige¬
nen Schlosse sich mit Tischlergcsellen und Referendarien duzt und mit ihnen zu
Tische sitzt, während eine Reihe galonnirter Bedienten dahinter stehen und auf¬
warten, ist kein wirklicher Repräsentant der Aristokratie, eben so wenig wie der
Handwerker, der sich mit dem Fürsten duzt, mit ihm Champagner trinkt und phi-
losophirt, ein Repräsentant der Demokratie; es sind das alles jungdeutsche Lite-
raten, die sich der Abwechselung wegen als Handwerker und Prinzen verkleidet
haben, die aber nicht verfehlen, ihr feines Taschentuch aus der Blouse hcrvor-
sehn zu lassen, und die hinter dem Ordensband ein Manuscript verstecken, das
sie dem Buchhändler überreichen sollen. Bei dieser Durcheinanderwirrnng der
natürlich geschiedenen Gegensätze können sich auch die politischen Ansichten weder
in den Personen, noch in den Ideen zur Totalität gestalten, denn politische Ueber¬
zeugung ist undenkbar ohne energischen Haß, und in dieser unbeschäftigten Lite-
ratengesellschaft neutralistren sich alle Gegensätze. Am besten sind daher diejeni¬
gen politischen Ansichten geschildert, welche als ganz außerhalb des Ritterthums
vom Geist liegend betrachtet und daher rein satyrisch behandelt werden, z. B. die
Staatsphilosophie eines Epikureers; am schlechtesten diejenigen Parteien, die in
ihrem Streben zu ernst sind, um mit Esprit aufzutreten, so namentlich die Bour¬
geoisie, die Doctrinairs, das Juste milieu, das constitutionelle Princip überhaupt,
auf welche alle landüblichen Schimpfwörter des Kladderadatsch und der Kreuz-
zeitung zusammengehäuft werden/

- Dies ist wahrscheinlich auch der Grund gewesen, daß die Demokratie sich
eine Zeit lang schmeichelte, das Werk sei zu ihrer eigenen Verherrlichung geschrieben;


daß diese Dialektik ein Resultat hätte. Gutzkow hat mehr Mühe darauf verwendet,
in den Ansichten der verschiedenen Personen eine gewisse Einheit festzuhalten, als
in ihren Charakteren. Allein bei Nadowitz wurde die Aufmerksamkeit des Publi-
cums nicht sowol dnrch den objectiven Werth des politischen Raisonnements ge¬
fesselt, als durch die Neugierde, zu erfahren, was für Ansichten eigentlich der in
den letzten Jahren so einflußreiche Mann selber habe. Bei Gutzkow fällt dieses
Interesse weg. Ferner hatte sich Nadowitz bemüht, so gut es gehen wollte, von
den verschiedenen großen Parteien der Politik die charakteristischen Repräsentanten
auszuwählen und in jedem einzelnen ein Totalbild von den Voraussetzungen, Vor¬
urtheilen, Hoffnungen und Kräften seiner Partei zu geben. Bei Gutzkow da¬
gegen haben wir es eigentlich, so sehr auch die Ansichten aus einander gehen, im¬
mer nur mit einer einzelnen Klasse zu thun: junge strebsame Männer, die vor
Allem darauf ausgehen, ihren eigenen Geist leuchten zu lassen, einer belletristischen
Clique von Dilettanten. Zwar coauettirt der Eine mit dem Socialismus, der
Andere mit der Republik, der Dritte mit dem absoluten Staat :c>; das sind aber
alles nur Masken. Die verschiedenen Klassen der Gesellschaft, die eigentliche
Basis der Parteien, treten nicht in ihrer Reinheit auf. Ein Prinz von Hohen-
berg, der uicht blos in Paris ein Handwerk treibt, sondern auch in seinem eige¬
nen Schlosse sich mit Tischlergcsellen und Referendarien duzt und mit ihnen zu
Tische sitzt, während eine Reihe galonnirter Bedienten dahinter stehen und auf¬
warten, ist kein wirklicher Repräsentant der Aristokratie, eben so wenig wie der
Handwerker, der sich mit dem Fürsten duzt, mit ihm Champagner trinkt und phi-
losophirt, ein Repräsentant der Demokratie; es sind das alles jungdeutsche Lite-
raten, die sich der Abwechselung wegen als Handwerker und Prinzen verkleidet
haben, die aber nicht verfehlen, ihr feines Taschentuch aus der Blouse hcrvor-
sehn zu lassen, und die hinter dem Ordensband ein Manuscript verstecken, das
sie dem Buchhändler überreichen sollen. Bei dieser Durcheinanderwirrnng der
natürlich geschiedenen Gegensätze können sich auch die politischen Ansichten weder
in den Personen, noch in den Ideen zur Totalität gestalten, denn politische Ueber¬
zeugung ist undenkbar ohne energischen Haß, und in dieser unbeschäftigten Lite-
ratengesellschaft neutralistren sich alle Gegensätze. Am besten sind daher diejeni¬
gen politischen Ansichten geschildert, welche als ganz außerhalb des Ritterthums
vom Geist liegend betrachtet und daher rein satyrisch behandelt werden, z. B. die
Staatsphilosophie eines Epikureers; am schlechtesten diejenigen Parteien, die in
ihrem Streben zu ernst sind, um mit Esprit aufzutreten, so namentlich die Bour¬
geoisie, die Doctrinairs, das Juste milieu, das constitutionelle Princip überhaupt,
auf welche alle landüblichen Schimpfwörter des Kladderadatsch und der Kreuz-
zeitung zusammengehäuft werden/

- Dies ist wahrscheinlich auch der Grund gewesen, daß die Demokratie sich
eine Zeit lang schmeichelte, das Werk sei zu ihrer eigenen Verherrlichung geschrieben;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/58>, abgerufen am 24.07.2024.