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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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zogen; Backwerk und andere mit Fett bereitete Speisen sind, wenn sie nicht sorg¬
fältig geschützt werden, eben so schnell unschmackhaft. Daß alle Butter sogleich
gesalzen wird, hat auch nur darin seinen Grund, daß mau sie vor raschem Ver¬
derben schützen will. Ju vielen Häusern, besonders in solchen, die mich alter Ma¬
nier zw weit im Boden stecken, herrscht im Erdgeschoß ein widriger Erdgeruch,
der sich besonders fühlbar macht, wenn der Fußboden oder anderes Holzwerk mit
dem Schwämme behaftet ist.

Das Temperament der Menschen, welche feuchte Niederungen bewohnen, ist
das phlegmatische. Dieses Phlegma zeigt sich zunächst in einer großen Mund-
sanlheit. Stunden lang fitzen die Bauern um's Feuer, starren, ihre Pfeife rau¬
chend, stumm vor sich hin,Und spucken hin und wieder in die Gluth, wobei sie,
sich uach ihrer Meinung gut unterhalten. Das viele Sprechen ist ihnen sogar
an Anderen lästig; denn, sagen sie, väl Spräken giwwt väl totohören,
und ein Mensch, der häufige Fragen an Je stellt, und ihnen so die Pflicht der
Antwort auferlegt, ist ihnen ganz zuwider. He fragt noch de Koh dat Kais
ab, heißt es. Selbst bei Stadtkindern braucht der Lehrer das doppelte oder
dreifache Quantum von Fragen, um zu erfahren, was er wissen will. Die Jungen
sind wie Pumpen mit wenig Wasser, bei denen man den Schwengel immer be¬
wegen muß. Läßt es sich der Lehrer gar einfallen, eine Frage zu stellen, die
ein Entweder -- Oder in sich schließt: so wird der sehn.ter ihm regelmäßig nur
das Entweder bringen.

Wenn der Südländer redet, so spricht jeder Muskel des Gesichts, so sprechen
der Kopf, die Schultern und die Hände mir; der Lazzarone nennt kaum eine
Zahl, ohne daß seine Finger wenigstens nicht >die Einer in die Luft schreiben.
Kein Sterblicher ist weiter von solchem Telegraphiren entfernt als der oldenbnrger
Sandmann. Sein ganzer Körper, ja selbst das Ange, bleibt theilnahmlos bei
seiner Rede. Wie redselige, so machen ihm überhaupt bewegliche Naturen Mi߬
behagen; er nennt sie Quicksteerte (Bachstelzen, vou quick, lebendig, und
. Steert, Schwanz); und wer gar seiner Lust durch Jauchzen Luft macht, gilt ihm für
einen ahnwäten (d. h. tollen, eigentlich unwissenden) Keerl; denn er mag es
nicht, daß sich Fröhlichkeit oder Schmerz laut äußere, und prophezeihet den Ju¬
belnden einen schlimmen Ausgang: De Vägels, de froh Morgens singt,
halt Abends de Katte (die Vögel, die Morgens früh singen, holt Abends die
Katze). Nirgends geht es stiller zu, als auf einem oldenburger Bauernhofe;
indessen wenn man dort wenig Gesang und Gelächter vernimmt, so ist dafür auch
der Zank selten.

Bei solchem Temperamente, das durch das vereinzelte Wohnen der Land¬
leute nur noch gesteigert wird, darf man bei dem Oldenburger keine geselligen,
wol aber Familientngenden suchen. Sein stummes, zugeknöpftes und verlegenes
Wesen, das durch alle Stände geht, macht ihn eben nicht liebenswürdig. Seine


Grenzboten, II. -ISL^ ö8

zogen; Backwerk und andere mit Fett bereitete Speisen sind, wenn sie nicht sorg¬
fältig geschützt werden, eben so schnell unschmackhaft. Daß alle Butter sogleich
gesalzen wird, hat auch nur darin seinen Grund, daß mau sie vor raschem Ver¬
derben schützen will. Ju vielen Häusern, besonders in solchen, die mich alter Ma¬
nier zw weit im Boden stecken, herrscht im Erdgeschoß ein widriger Erdgeruch,
der sich besonders fühlbar macht, wenn der Fußboden oder anderes Holzwerk mit
dem Schwämme behaftet ist.

Das Temperament der Menschen, welche feuchte Niederungen bewohnen, ist
das phlegmatische. Dieses Phlegma zeigt sich zunächst in einer großen Mund-
sanlheit. Stunden lang fitzen die Bauern um's Feuer, starren, ihre Pfeife rau¬
chend, stumm vor sich hin,Und spucken hin und wieder in die Gluth, wobei sie,
sich uach ihrer Meinung gut unterhalten. Das viele Sprechen ist ihnen sogar
an Anderen lästig; denn, sagen sie, väl Spräken giwwt väl totohören,
und ein Mensch, der häufige Fragen an Je stellt, und ihnen so die Pflicht der
Antwort auferlegt, ist ihnen ganz zuwider. He fragt noch de Koh dat Kais
ab, heißt es. Selbst bei Stadtkindern braucht der Lehrer das doppelte oder
dreifache Quantum von Fragen, um zu erfahren, was er wissen will. Die Jungen
sind wie Pumpen mit wenig Wasser, bei denen man den Schwengel immer be¬
wegen muß. Läßt es sich der Lehrer gar einfallen, eine Frage zu stellen, die
ein Entweder — Oder in sich schließt: so wird der sehn.ter ihm regelmäßig nur
das Entweder bringen.

Wenn der Südländer redet, so spricht jeder Muskel des Gesichts, so sprechen
der Kopf, die Schultern und die Hände mir; der Lazzarone nennt kaum eine
Zahl, ohne daß seine Finger wenigstens nicht >die Einer in die Luft schreiben.
Kein Sterblicher ist weiter von solchem Telegraphiren entfernt als der oldenbnrger
Sandmann. Sein ganzer Körper, ja selbst das Ange, bleibt theilnahmlos bei
seiner Rede. Wie redselige, so machen ihm überhaupt bewegliche Naturen Mi߬
behagen; er nennt sie Quicksteerte (Bachstelzen, vou quick, lebendig, und
. Steert, Schwanz); und wer gar seiner Lust durch Jauchzen Luft macht, gilt ihm für
einen ahnwäten (d. h. tollen, eigentlich unwissenden) Keerl; denn er mag es
nicht, daß sich Fröhlichkeit oder Schmerz laut äußere, und prophezeihet den Ju¬
belnden einen schlimmen Ausgang: De Vägels, de froh Morgens singt,
halt Abends de Katte (die Vögel, die Morgens früh singen, holt Abends die
Katze). Nirgends geht es stiller zu, als auf einem oldenburger Bauernhofe;
indessen wenn man dort wenig Gesang und Gelächter vernimmt, so ist dafür auch
der Zank selten.

Bei solchem Temperamente, das durch das vereinzelte Wohnen der Land¬
leute nur noch gesteigert wird, darf man bei dem Oldenburger keine geselligen,
wol aber Familientngenden suchen. Sein stummes, zugeknöpftes und verlegenes
Wesen, das durch alle Stände geht, macht ihn eben nicht liebenswürdig. Seine


Grenzboten, II. -ISL^ ö8
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[0469] zogen; Backwerk und andere mit Fett bereitete Speisen sind, wenn sie nicht sorg¬ fältig geschützt werden, eben so schnell unschmackhaft. Daß alle Butter sogleich gesalzen wird, hat auch nur darin seinen Grund, daß mau sie vor raschem Ver¬ derben schützen will. Ju vielen Häusern, besonders in solchen, die mich alter Ma¬ nier zw weit im Boden stecken, herrscht im Erdgeschoß ein widriger Erdgeruch, der sich besonders fühlbar macht, wenn der Fußboden oder anderes Holzwerk mit dem Schwämme behaftet ist. Das Temperament der Menschen, welche feuchte Niederungen bewohnen, ist das phlegmatische. Dieses Phlegma zeigt sich zunächst in einer großen Mund- sanlheit. Stunden lang fitzen die Bauern um's Feuer, starren, ihre Pfeife rau¬ chend, stumm vor sich hin,Und spucken hin und wieder in die Gluth, wobei sie, sich uach ihrer Meinung gut unterhalten. Das viele Sprechen ist ihnen sogar an Anderen lästig; denn, sagen sie, väl Spräken giwwt väl totohören, und ein Mensch, der häufige Fragen an Je stellt, und ihnen so die Pflicht der Antwort auferlegt, ist ihnen ganz zuwider. He fragt noch de Koh dat Kais ab, heißt es. Selbst bei Stadtkindern braucht der Lehrer das doppelte oder dreifache Quantum von Fragen, um zu erfahren, was er wissen will. Die Jungen sind wie Pumpen mit wenig Wasser, bei denen man den Schwengel immer be¬ wegen muß. Läßt es sich der Lehrer gar einfallen, eine Frage zu stellen, die ein Entweder — Oder in sich schließt: so wird der sehn.ter ihm regelmäßig nur das Entweder bringen. Wenn der Südländer redet, so spricht jeder Muskel des Gesichts, so sprechen der Kopf, die Schultern und die Hände mir; der Lazzarone nennt kaum eine Zahl, ohne daß seine Finger wenigstens nicht >die Einer in die Luft schreiben. Kein Sterblicher ist weiter von solchem Telegraphiren entfernt als der oldenbnrger Sandmann. Sein ganzer Körper, ja selbst das Ange, bleibt theilnahmlos bei seiner Rede. Wie redselige, so machen ihm überhaupt bewegliche Naturen Mi߬ behagen; er nennt sie Quicksteerte (Bachstelzen, vou quick, lebendig, und . Steert, Schwanz); und wer gar seiner Lust durch Jauchzen Luft macht, gilt ihm für einen ahnwäten (d. h. tollen, eigentlich unwissenden) Keerl; denn er mag es nicht, daß sich Fröhlichkeit oder Schmerz laut äußere, und prophezeihet den Ju¬ belnden einen schlimmen Ausgang: De Vägels, de froh Morgens singt, halt Abends de Katte (die Vögel, die Morgens früh singen, holt Abends die Katze). Nirgends geht es stiller zu, als auf einem oldenburger Bauernhofe; indessen wenn man dort wenig Gesang und Gelächter vernimmt, so ist dafür auch der Zank selten. Bei solchem Temperamente, das durch das vereinzelte Wohnen der Land¬ leute nur noch gesteigert wird, darf man bei dem Oldenburger keine geselligen, wol aber Familientngenden suchen. Sein stummes, zugeknöpftes und verlegenes Wesen, das durch alle Stände geht, macht ihn eben nicht liebenswürdig. Seine Grenzboten, II. -ISL^ ö8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/469>, abgerufen am 24.07.2024.