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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Die Landstraßen, die in vielen Gegenden Deutschlands mit lachenden Obstbäumen ein¬
gehegt sind, haben im oldenburger Lande nur Eichen, Birken, Vogelkirschen, in der
Nähe von Städten auch wol Ulmen zur Einfassung. Das sind freilich Bäume,
die den Stürmen Trotz bieten und sich mit magerer Erde begnügen. Auf den
Deichen der Marsch wird überhaupt kein Baum geduldet, weil er die Erde auf-
lockere, und auch in den Feldern pflanzt sie der Landmann nicht, theils weil sie
dem Boden Kraft entziehen, theils weil sie zu wenig Schutz vor den heftigen
Winden haben.

Uebrigens reicht die Natur für die Leiden, die sie bereitet, ein eben so schö¬
nes als kräftiges Heilmittel dar, indem das nahe Seebad an dem Strand der
oldenburger Insel Wangeroge sich gerade bei Scropheln recht wirksam zeigt.

Ein anderes Leiden, gegen das es kein Heilmittel giebt, die Schwindsucht,
hat sicher ebenfalls in dem feuchten Klima seinen Ursprung. Die Mortalitäts¬
verhältnisse sind im Oldenburgischen, mit Ausnahme der Marschen, wo gerade
die Auszehrung seltener ist, nicht ungünstiger-als anderswo; aber die Zahl der
Kranken, die von ihr hinweggerafft werden, überwiegt in erschreckender Weise.
Der gesuchteste Arzt in der Stadt Oldenburg hat mir versichert, daß ihm ein
volles Halbjahr lang kein Patient gestorben sei, außer an dieser traurigen Krank¬
heit. Aente Krankheiten, fügte er hinzu, kämen überhaupt wenig or>r, oder
führten doch selten zum Tode. Man hat deshalb im Oldenburgischen einen be¬
sondern Respect vor dem Husten, und der ihn zuerst "des Todtengräbers Hund"
genannt hat, war wol in diesem Nebellande zu Hause. Nie habe ich mehr husten
hören, als Winters in der Kirche zu Oldenburg, und zwar besonders in den
Bänken der Frauen und Mädchen vom Lande, welche in der rauhen Jahreszeit
ans der halbkalten Flur sitzen.

Von dem Sumpffieber in der Marsch habe ich schon oben gesprochen; es
tritt bei anhaltender Sommerhitze am heftigsten auf. Ueberhaupt ist es'dem
Oldenburger bei feuchtem Wetter am behaglichsten. Wie die Seehunde in Me¬
nagerien, bedarf er häufiger Anfeuchtung, und man hört ihn oft genug bei einem
Himmel, der grau wie Löschpapier ist, vergnüglich von köstlichem Wetter sprechen.
Ist aber einmal ausnahmsweise der Himmel des Sommers vier Wochen lang
wolkenlos, so schleicht er gedrückt umher, und bald zeigen Krankheiten, die anch
auf der Geest ausbrechen, die Wirkungen der arm o-Miva.

Ein anderer, besonders im Winter empfindlicher Feind ist der scharfe, trockene
Ostwind. Selbst die Kranken fühlen diesen Wind, der ungehemmt von Asien
her über das nordeuropäische Flachland saust, durch dicke Mauern in ihrem Bette.
Der West dagegen bringt in diesem schon an und für sich reichlich mit Wasser
getränkten Lande eine Feuchtigkeit hervor, von.der man unter einem andern
Himmelsstriche keine Vorstellung hat. In wenigen Tagen haben sich Stiefeln, die
in ungeheizten Zimmer stehen, und alles Lederzeug, mit dickem Schimmel über-


Die Landstraßen, die in vielen Gegenden Deutschlands mit lachenden Obstbäumen ein¬
gehegt sind, haben im oldenburger Lande nur Eichen, Birken, Vogelkirschen, in der
Nähe von Städten auch wol Ulmen zur Einfassung. Das sind freilich Bäume,
die den Stürmen Trotz bieten und sich mit magerer Erde begnügen. Auf den
Deichen der Marsch wird überhaupt kein Baum geduldet, weil er die Erde auf-
lockere, und auch in den Feldern pflanzt sie der Landmann nicht, theils weil sie
dem Boden Kraft entziehen, theils weil sie zu wenig Schutz vor den heftigen
Winden haben.

Uebrigens reicht die Natur für die Leiden, die sie bereitet, ein eben so schö¬
nes als kräftiges Heilmittel dar, indem das nahe Seebad an dem Strand der
oldenburger Insel Wangeroge sich gerade bei Scropheln recht wirksam zeigt.

Ein anderes Leiden, gegen das es kein Heilmittel giebt, die Schwindsucht,
hat sicher ebenfalls in dem feuchten Klima seinen Ursprung. Die Mortalitäts¬
verhältnisse sind im Oldenburgischen, mit Ausnahme der Marschen, wo gerade
die Auszehrung seltener ist, nicht ungünstiger-als anderswo; aber die Zahl der
Kranken, die von ihr hinweggerafft werden, überwiegt in erschreckender Weise.
Der gesuchteste Arzt in der Stadt Oldenburg hat mir versichert, daß ihm ein
volles Halbjahr lang kein Patient gestorben sei, außer an dieser traurigen Krank¬
heit. Aente Krankheiten, fügte er hinzu, kämen überhaupt wenig or>r, oder
führten doch selten zum Tode. Man hat deshalb im Oldenburgischen einen be¬
sondern Respect vor dem Husten, und der ihn zuerst „des Todtengräbers Hund"
genannt hat, war wol in diesem Nebellande zu Hause. Nie habe ich mehr husten
hören, als Winters in der Kirche zu Oldenburg, und zwar besonders in den
Bänken der Frauen und Mädchen vom Lande, welche in der rauhen Jahreszeit
ans der halbkalten Flur sitzen.

Von dem Sumpffieber in der Marsch habe ich schon oben gesprochen; es
tritt bei anhaltender Sommerhitze am heftigsten auf. Ueberhaupt ist es'dem
Oldenburger bei feuchtem Wetter am behaglichsten. Wie die Seehunde in Me¬
nagerien, bedarf er häufiger Anfeuchtung, und man hört ihn oft genug bei einem
Himmel, der grau wie Löschpapier ist, vergnüglich von köstlichem Wetter sprechen.
Ist aber einmal ausnahmsweise der Himmel des Sommers vier Wochen lang
wolkenlos, so schleicht er gedrückt umher, und bald zeigen Krankheiten, die anch
auf der Geest ausbrechen, die Wirkungen der arm o-Miva.

Ein anderer, besonders im Winter empfindlicher Feind ist der scharfe, trockene
Ostwind. Selbst die Kranken fühlen diesen Wind, der ungehemmt von Asien
her über das nordeuropäische Flachland saust, durch dicke Mauern in ihrem Bette.
Der West dagegen bringt in diesem schon an und für sich reichlich mit Wasser
getränkten Lande eine Feuchtigkeit hervor, von.der man unter einem andern
Himmelsstriche keine Vorstellung hat. In wenigen Tagen haben sich Stiefeln, die
in ungeheizten Zimmer stehen, und alles Lederzeug, mit dickem Schimmel über-


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[0468] Die Landstraßen, die in vielen Gegenden Deutschlands mit lachenden Obstbäumen ein¬ gehegt sind, haben im oldenburger Lande nur Eichen, Birken, Vogelkirschen, in der Nähe von Städten auch wol Ulmen zur Einfassung. Das sind freilich Bäume, die den Stürmen Trotz bieten und sich mit magerer Erde begnügen. Auf den Deichen der Marsch wird überhaupt kein Baum geduldet, weil er die Erde auf- lockere, und auch in den Feldern pflanzt sie der Landmann nicht, theils weil sie dem Boden Kraft entziehen, theils weil sie zu wenig Schutz vor den heftigen Winden haben. Uebrigens reicht die Natur für die Leiden, die sie bereitet, ein eben so schö¬ nes als kräftiges Heilmittel dar, indem das nahe Seebad an dem Strand der oldenburger Insel Wangeroge sich gerade bei Scropheln recht wirksam zeigt. Ein anderes Leiden, gegen das es kein Heilmittel giebt, die Schwindsucht, hat sicher ebenfalls in dem feuchten Klima seinen Ursprung. Die Mortalitäts¬ verhältnisse sind im Oldenburgischen, mit Ausnahme der Marschen, wo gerade die Auszehrung seltener ist, nicht ungünstiger-als anderswo; aber die Zahl der Kranken, die von ihr hinweggerafft werden, überwiegt in erschreckender Weise. Der gesuchteste Arzt in der Stadt Oldenburg hat mir versichert, daß ihm ein volles Halbjahr lang kein Patient gestorben sei, außer an dieser traurigen Krank¬ heit. Aente Krankheiten, fügte er hinzu, kämen überhaupt wenig or>r, oder führten doch selten zum Tode. Man hat deshalb im Oldenburgischen einen be¬ sondern Respect vor dem Husten, und der ihn zuerst „des Todtengräbers Hund" genannt hat, war wol in diesem Nebellande zu Hause. Nie habe ich mehr husten hören, als Winters in der Kirche zu Oldenburg, und zwar besonders in den Bänken der Frauen und Mädchen vom Lande, welche in der rauhen Jahreszeit ans der halbkalten Flur sitzen. Von dem Sumpffieber in der Marsch habe ich schon oben gesprochen; es tritt bei anhaltender Sommerhitze am heftigsten auf. Ueberhaupt ist es'dem Oldenburger bei feuchtem Wetter am behaglichsten. Wie die Seehunde in Me¬ nagerien, bedarf er häufiger Anfeuchtung, und man hört ihn oft genug bei einem Himmel, der grau wie Löschpapier ist, vergnüglich von köstlichem Wetter sprechen. Ist aber einmal ausnahmsweise der Himmel des Sommers vier Wochen lang wolkenlos, so schleicht er gedrückt umher, und bald zeigen Krankheiten, die anch auf der Geest ausbrechen, die Wirkungen der arm o-Miva. Ein anderer, besonders im Winter empfindlicher Feind ist der scharfe, trockene Ostwind. Selbst die Kranken fühlen diesen Wind, der ungehemmt von Asien her über das nordeuropäische Flachland saust, durch dicke Mauern in ihrem Bette. Der West dagegen bringt in diesem schon an und für sich reichlich mit Wasser getränkten Lande eine Feuchtigkeit hervor, von.der man unter einem andern Himmelsstriche keine Vorstellung hat. In wenigen Tagen haben sich Stiefeln, die in ungeheizten Zimmer stehen, und alles Lederzeug, mit dickem Schimmel über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/468>, abgerufen am 24.07.2024.