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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Gesetze von vorn herein gesichert sei. Kann man sich auf andere Weise sicher
stellen, so ist das Concordat kein Hinderniß.

Auf diesen wahrhaft protestantischen Standpunkt wußte sich die preußische
Regierung nicht zu stellen, und darum gab sie ihren Gegnern nach allen Seiten
hin Blößen. Man muß gestehen, daß Görres in seinem Athanasius diese
Blößen auf das geschickteste zu benutzen verstand. Es ist auch stylistisch eines
seiner besten Bücher. Es geht mit scharfer Dialektik auf sein Ziel los, und wenn
man auch seine Voraussetzungen nicht theilt, so findet man sich doch wenigstens
darin zu Hause. Die Gegenschriften, welche der Athanasius hervorrief, von
Leo, Marheinecke, Gutzkow u. A., gingen alle von schwankenden Principien aus,
und die für Preußen nicht sehr rühmliche Beendigung dieses Zwiespaltes gab
wesentlich dem Athanasius Recht. Aus diesem Streit erwuchsen die historisch¬
politischer Blätter, welche Görres damals in München begründete, und die
noch immer unter den Vorfechter des Ultramontanismus die ansehnlichste Stelle
einnehmen, so wie auf der andern Seite die hallischen Jahrbücher diesem Kampf
ihre vorzüglichste Anregung verdankten.

München wurde damals der Mittelpunkt der Congregation, aus allen Völ¬
kern und selbst ans allen Parteien. Es fanden sich Republikaner und Legitimisten
zusammen, Franzosen, Italiener, Jrländer und Polen. In Görres' Haus war
beständig ein geschäftig geheimnißvolles Treiben, dem übrigens eine übertriebene
Bedeutung nicht zugeschrieben werden darf. Denn der Ultramontanismus ist bei
uns nicht mehr gefährlich, wo er als geschlossene Partei hervortritt, sondern nur,
wo er durch die angebliche conservative Politik begünstigt wird. Im Gegentheil
haben solche geheime Verschwörungen das Gute, daß sie das Volk von Zeit zu
Zeit stutzig machen. So geschah es im Jahr -1842 durch ein- anonymes Buch:
O"z 1^ ?l'usss, welches von einem Anhänger der christlich- republikanischen Partei,
Namens Cazalss, herrührte, und die geheimen Verbindungen der Jesuiten mit den
Demokraten ausplauderte. Es gelang Görres und seinen Anhängern nicht ganz,
den Verdacht des Radicalismus von seiner Partei abzuwenden, und als vollends
der preußische Staat sich bekehrte und dadurch den Angriffen der Ultramontanen
die Spitze abbrach, und als bei Gelegenheit der galizischen Geschichte (-1846) im Heer¬
lager der Heiligen selbst ein Zwiespalt entbrannte, als Montalembert in der franzö¬
sischen Pairskammer die östreichische Regierung geradezu des Verraths gegen den
polnischen Adel anklagte, und die historisch-politischen Blätter, welche die Negierung
zu vertheidigen wagten, der Feilheit bezüchtigte, da verlor die Partei alle Haltung,
und eine dreiste anmuthige Tänzerin reichte hin, ihrer Herrschaft ein Ende zu
machen. Görres mußt diesen Sturz seiner Partei noch erleben. Er starb am
Ä9. Januar 18i8 mit ungeschwächtem Glauben. Die Macht seiner Phantasie
hatte ihn über alle Wechselfälle des Geschicks, so wie über alle Anfechtungen des
Verstandes erhoben.


Gesetze von vorn herein gesichert sei. Kann man sich auf andere Weise sicher
stellen, so ist das Concordat kein Hinderniß.

Auf diesen wahrhaft protestantischen Standpunkt wußte sich die preußische
Regierung nicht zu stellen, und darum gab sie ihren Gegnern nach allen Seiten
hin Blößen. Man muß gestehen, daß Görres in seinem Athanasius diese
Blößen auf das geschickteste zu benutzen verstand. Es ist auch stylistisch eines
seiner besten Bücher. Es geht mit scharfer Dialektik auf sein Ziel los, und wenn
man auch seine Voraussetzungen nicht theilt, so findet man sich doch wenigstens
darin zu Hause. Die Gegenschriften, welche der Athanasius hervorrief, von
Leo, Marheinecke, Gutzkow u. A., gingen alle von schwankenden Principien aus,
und die für Preußen nicht sehr rühmliche Beendigung dieses Zwiespaltes gab
wesentlich dem Athanasius Recht. Aus diesem Streit erwuchsen die historisch¬
politischer Blätter, welche Görres damals in München begründete, und die
noch immer unter den Vorfechter des Ultramontanismus die ansehnlichste Stelle
einnehmen, so wie auf der andern Seite die hallischen Jahrbücher diesem Kampf
ihre vorzüglichste Anregung verdankten.

München wurde damals der Mittelpunkt der Congregation, aus allen Völ¬
kern und selbst ans allen Parteien. Es fanden sich Republikaner und Legitimisten
zusammen, Franzosen, Italiener, Jrländer und Polen. In Görres' Haus war
beständig ein geschäftig geheimnißvolles Treiben, dem übrigens eine übertriebene
Bedeutung nicht zugeschrieben werden darf. Denn der Ultramontanismus ist bei
uns nicht mehr gefährlich, wo er als geschlossene Partei hervortritt, sondern nur,
wo er durch die angebliche conservative Politik begünstigt wird. Im Gegentheil
haben solche geheime Verschwörungen das Gute, daß sie das Volk von Zeit zu
Zeit stutzig machen. So geschah es im Jahr -1842 durch ein- anonymes Buch:
O«z 1^ ?l'usss, welches von einem Anhänger der christlich- republikanischen Partei,
Namens Cazalss, herrührte, und die geheimen Verbindungen der Jesuiten mit den
Demokraten ausplauderte. Es gelang Görres und seinen Anhängern nicht ganz,
den Verdacht des Radicalismus von seiner Partei abzuwenden, und als vollends
der preußische Staat sich bekehrte und dadurch den Angriffen der Ultramontanen
die Spitze abbrach, und als bei Gelegenheit der galizischen Geschichte (-1846) im Heer¬
lager der Heiligen selbst ein Zwiespalt entbrannte, als Montalembert in der franzö¬
sischen Pairskammer die östreichische Regierung geradezu des Verraths gegen den
polnischen Adel anklagte, und die historisch-politischen Blätter, welche die Negierung
zu vertheidigen wagten, der Feilheit bezüchtigte, da verlor die Partei alle Haltung,
und eine dreiste anmuthige Tänzerin reichte hin, ihrer Herrschaft ein Ende zu
machen. Görres mußt diesen Sturz seiner Partei noch erleben. Er starb am
Ä9. Januar 18i8 mit ungeschwächtem Glauben. Die Macht seiner Phantasie
hatte ihn über alle Wechselfälle des Geschicks, so wie über alle Anfechtungen des
Verstandes erhoben.


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[0465] Gesetze von vorn herein gesichert sei. Kann man sich auf andere Weise sicher stellen, so ist das Concordat kein Hinderniß. Auf diesen wahrhaft protestantischen Standpunkt wußte sich die preußische Regierung nicht zu stellen, und darum gab sie ihren Gegnern nach allen Seiten hin Blößen. Man muß gestehen, daß Görres in seinem Athanasius diese Blößen auf das geschickteste zu benutzen verstand. Es ist auch stylistisch eines seiner besten Bücher. Es geht mit scharfer Dialektik auf sein Ziel los, und wenn man auch seine Voraussetzungen nicht theilt, so findet man sich doch wenigstens darin zu Hause. Die Gegenschriften, welche der Athanasius hervorrief, von Leo, Marheinecke, Gutzkow u. A., gingen alle von schwankenden Principien aus, und die für Preußen nicht sehr rühmliche Beendigung dieses Zwiespaltes gab wesentlich dem Athanasius Recht. Aus diesem Streit erwuchsen die historisch¬ politischer Blätter, welche Görres damals in München begründete, und die noch immer unter den Vorfechter des Ultramontanismus die ansehnlichste Stelle einnehmen, so wie auf der andern Seite die hallischen Jahrbücher diesem Kampf ihre vorzüglichste Anregung verdankten. München wurde damals der Mittelpunkt der Congregation, aus allen Völ¬ kern und selbst ans allen Parteien. Es fanden sich Republikaner und Legitimisten zusammen, Franzosen, Italiener, Jrländer und Polen. In Görres' Haus war beständig ein geschäftig geheimnißvolles Treiben, dem übrigens eine übertriebene Bedeutung nicht zugeschrieben werden darf. Denn der Ultramontanismus ist bei uns nicht mehr gefährlich, wo er als geschlossene Partei hervortritt, sondern nur, wo er durch die angebliche conservative Politik begünstigt wird. Im Gegentheil haben solche geheime Verschwörungen das Gute, daß sie das Volk von Zeit zu Zeit stutzig machen. So geschah es im Jahr -1842 durch ein- anonymes Buch: O«z 1^ ?l'usss, welches von einem Anhänger der christlich- republikanischen Partei, Namens Cazalss, herrührte, und die geheimen Verbindungen der Jesuiten mit den Demokraten ausplauderte. Es gelang Görres und seinen Anhängern nicht ganz, den Verdacht des Radicalismus von seiner Partei abzuwenden, und als vollends der preußische Staat sich bekehrte und dadurch den Angriffen der Ultramontanen die Spitze abbrach, und als bei Gelegenheit der galizischen Geschichte (-1846) im Heer¬ lager der Heiligen selbst ein Zwiespalt entbrannte, als Montalembert in der franzö¬ sischen Pairskammer die östreichische Regierung geradezu des Verraths gegen den polnischen Adel anklagte, und die historisch-politischen Blätter, welche die Negierung zu vertheidigen wagten, der Feilheit bezüchtigte, da verlor die Partei alle Haltung, und eine dreiste anmuthige Tänzerin reichte hin, ihrer Herrschaft ein Ende zu machen. Görres mußt diesen Sturz seiner Partei noch erleben. Er starb am Ä9. Januar 18i8 mit ungeschwächtem Glauben. Die Macht seiner Phantasie hatte ihn über alle Wechselfälle des Geschicks, so wie über alle Anfechtungen des Verstandes erhoben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/465>, abgerufen am 24.07.2024.