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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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bleiche Färbung der Blumen, die im Schatten in einer zu tiefen Zurückgezogen-
heit aufgegangen sind; die schwache Wärme eines an lange Erwägungen gewöhn-
ten Gedankens, die kaum hinreicht, der Empfindung in jeder einzelnen Skizze
das nöthige Leben einzuhauchen. Man muß diese Bücher in der Dämmerung
lesen, wo sie auch entstanden sind; öffnet man sie bei Tageslicht, so muß man
befürchten,'Nichts als'weiße Blätter zu finden."

Das Urtheil ist nicht unwahr, nicht einmal übertrieben; aber wenn wir auch
diejenige Poesie, die das Sonnenlicht verträgt, vorziehen, so finden sich. doch
auch in dieser Nachtseite des Ideals Erscheinungen, die Phantasie und, Gemüth
gleichmäßig anregen. Manche Maler haben ein ähnliches Talent. Sie lieben
so sehr den Schachten und die Dunkelheit, daß man beim ersten Anblick gar Nichts
sieht; tritt man aber dann näher hinzu, so zeichnen sich erst einzelne Umrisse
bedeutend ab, die sich einander gleichsam suchen und fliehen; man ahnt den Zu¬
sammenhang, die eigene Phantasie hilft-nach, und zuletzt tritt eine ganz wunder¬
bare, geheimnißvolle, aber doch anziehende Welt aus dem Dunkel hervor. Solche
Nachtdichtungen sind ein sicheres Zeichen, daß in dem öffentlichen Leben der
Nation ein geheimer Fehler vorhanden ist. Aber auch die Krankheit führt zuwei¬
len zu Phänomenen, die für ein empfängliches Gemüth reizender sind, als die
Gesundheit selbst.




Wochenbericht.
Nachtrage zum Pariser Salon.

Aus dem, was ick) im Allgemeinen
, über die Kunstrichtung und das Kunstleben, wie es uns im diesjährigen Salon ent¬
gegentritt, gesagt habe', geht zugleich hervor, was wir von den plastischen Leistungen
zu erwarten haben. Die Franzosen sind in ihrem normalen Zustande schon zu theatralisch
in ihren Anschauungen sür das eigentliche plastische Meisterstück, und nun erst jetzt, wo
sie aus der Bewegung gar nicht herauszukommen vermögen. Wo soll inmitten dieser
Flüchtigkeit, inmitten dieses. Durcheinander, im Leben wie in der Wissenschaft, in der
Gesellschaft wie in der Kunst, die antike Beschaulichkeit herkommen, die zu plastischen
Kuustcrzcuguisseu so sehr nothwendig ist? Plastik ist Ruhe, Ruhe in der Seele, und Ruhe
im Körper selbst die Leidenschaft, die große, weltgeschichtliche Leidenschaft, ist zur voll¬
kommenen Ruhe abstrcchirt, und die Franzosen sind in fortwährender Bewegung und
Bewegtheit, selbst jetzt, wo mau ihnen keinerlei Leidenschaft, sondern blos Passionen
nachsagen kann. So haben sie denn auch eine französische Sculptur erfunden, die ganz
im Einklange steht mit ihrer schöngeistigen Richtung, mit ihrer modernen Poesie, und
auch mit ihrer Malerei. Große Gewandtheit in Beherrschung der materiellen Mittel,
conventionelle Schönheitsanschauungen, elegante, abgelenkte Form, aber nirgend ein großer
Gedanke, nirgend der wirklichen griechischen Schönheit auch nur im entferntesten ange¬
nähert. Wer nnter diesen Werken der modernen Plastik herumwandelt, der kann es


bleiche Färbung der Blumen, die im Schatten in einer zu tiefen Zurückgezogen-
heit aufgegangen sind; die schwache Wärme eines an lange Erwägungen gewöhn-
ten Gedankens, die kaum hinreicht, der Empfindung in jeder einzelnen Skizze
das nöthige Leben einzuhauchen. Man muß diese Bücher in der Dämmerung
lesen, wo sie auch entstanden sind; öffnet man sie bei Tageslicht, so muß man
befürchten,'Nichts als'weiße Blätter zu finden."

Das Urtheil ist nicht unwahr, nicht einmal übertrieben; aber wenn wir auch
diejenige Poesie, die das Sonnenlicht verträgt, vorziehen, so finden sich. doch
auch in dieser Nachtseite des Ideals Erscheinungen, die Phantasie und, Gemüth
gleichmäßig anregen. Manche Maler haben ein ähnliches Talent. Sie lieben
so sehr den Schachten und die Dunkelheit, daß man beim ersten Anblick gar Nichts
sieht; tritt man aber dann näher hinzu, so zeichnen sich erst einzelne Umrisse
bedeutend ab, die sich einander gleichsam suchen und fliehen; man ahnt den Zu¬
sammenhang, die eigene Phantasie hilft-nach, und zuletzt tritt eine ganz wunder¬
bare, geheimnißvolle, aber doch anziehende Welt aus dem Dunkel hervor. Solche
Nachtdichtungen sind ein sicheres Zeichen, daß in dem öffentlichen Leben der
Nation ein geheimer Fehler vorhanden ist. Aber auch die Krankheit führt zuwei¬
len zu Phänomenen, die für ein empfängliches Gemüth reizender sind, als die
Gesundheit selbst.




Wochenbericht.
Nachtrage zum Pariser Salon.

Aus dem, was ick) im Allgemeinen
, über die Kunstrichtung und das Kunstleben, wie es uns im diesjährigen Salon ent¬
gegentritt, gesagt habe', geht zugleich hervor, was wir von den plastischen Leistungen
zu erwarten haben. Die Franzosen sind in ihrem normalen Zustande schon zu theatralisch
in ihren Anschauungen sür das eigentliche plastische Meisterstück, und nun erst jetzt, wo
sie aus der Bewegung gar nicht herauszukommen vermögen. Wo soll inmitten dieser
Flüchtigkeit, inmitten dieses. Durcheinander, im Leben wie in der Wissenschaft, in der
Gesellschaft wie in der Kunst, die antike Beschaulichkeit herkommen, die zu plastischen
Kuustcrzcuguisseu so sehr nothwendig ist? Plastik ist Ruhe, Ruhe in der Seele, und Ruhe
im Körper selbst die Leidenschaft, die große, weltgeschichtliche Leidenschaft, ist zur voll¬
kommenen Ruhe abstrcchirt, und die Franzosen sind in fortwährender Bewegung und
Bewegtheit, selbst jetzt, wo mau ihnen keinerlei Leidenschaft, sondern blos Passionen
nachsagen kann. So haben sie denn auch eine französische Sculptur erfunden, die ganz
im Einklange steht mit ihrer schöngeistigen Richtung, mit ihrer modernen Poesie, und
auch mit ihrer Malerei. Große Gewandtheit in Beherrschung der materiellen Mittel,
conventionelle Schönheitsanschauungen, elegante, abgelenkte Form, aber nirgend ein großer
Gedanke, nirgend der wirklichen griechischen Schönheit auch nur im entferntesten ange¬
nähert. Wer nnter diesen Werken der modernen Plastik herumwandelt, der kann es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/443>, abgerufen am 02.07.2024.