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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Allerdings waren die Kammern sehr conservativ und loyal, aber man konnte den
altpreußischen Begriff nicht loswerden, daß' Kammern ihrem Wesen nach etwas
Revolutionaires und Demokratisches seien, und so lies; man denn diese Kammern,
die eine solche Behandlung bei Gott! nicht verdienten, entgelten, was man gegen
ähnliche Institute empfand.

Z.weiteus. Die Kammern beruhten auf einer unhaltbaren Basis. Unter
allen möglichen Wahlsystemen ist die Dreitiasscnwahl das unnatürlichste, weil sie
ganz ohne Physiognomie ist. Bei allen Parteien hat sich die Idee festgesetzt, ein
Deputirter sei nicht der Vertreter seiner Wähler, sondern der Vertreter des ge¬
stimmten Staats. Das ist zwar in so sern richtig, als es im Interesse jedes
einzelnen Theiles des Staates liegt, Privatinteressen den allgemeinen Interessen
zu opfern, aber es bringt zugleich durch eine zu weit gehende Verallgemeinerung
eine Unklarheit und Romantik in das ganze Repräsentativsystem, die in der
Praxis von deu schädlichsten Folgen ist. . Die Stimmen werden im Parlament
doch nicht blos gezählt, sondern gewogen. Wenn man den Einfluß, den ein Par¬
lamentsbeschluß auf die Krone ausüben soll, vernünftig taxiren will, so muß man
sich doch fragen, wer steht hinter den Beschließenden? welche Autorität ist es,
kraft deren sie ihren Willen für oder wider die Regierung geltend machen? Bei
den demokratischen Urwcchlen ist die Antwort zwar nicht eine befriedigende, aber
doch eine handgreifliche, denn hier haben die Deputaten die Massen hinter sich.
Nach dem Dreiklassensystem aber hat man qbsolnt keinen Begriff davon, wer
eigentlich von den Deputaten vertreten wird, und wenn sich also die Krone aus
den Willen des Volks gegen den Willen seiner Vertreter beruft, so kann man
wenigstens mit mathematischen Beweisgründen eine solche Behauptung nicht wider¬
legen. -- Das Alles ist wol sehr begreiflich, schwieriger aber wäre es, genau
anzugeben, worin die richtige Wahlmethode besteht. Leider hatte die Entwicke¬
lung der Verfassung vor dem Jahre 18i8, die wenigstens auf einer verhältni߬
mäßig realen Basis beruhte, keinen zweckmäßigen Abschluß gefunden. Damals
waren die beiden Mächte, ans denen das Wesen des preußischen Staates bestand,
' einerseits die Bureaukratie, andererseits die beschränkte Selbstregierung der Kreise
und Städte. Die ans den letzteren hervorgegangene Vertretung besaß also eine
unmittelbare Macht, in die zwar von Seiten der Bureaukratie häufig Eingriffe
geschahen, aber ohne sie doch aufzuheben. Bei dem ersten Versuch, diese beiden
Mächte mit einander in Rapport zu setzen, trat zwar die Bureaukratie den Ver¬
tretern der Kreise und' der Städte sehr hochmüthig gegenüber, aber dieses Ver¬
hältniß hätte sich allmählich ausgeglichen, namentlich wenn in die Kreisverfassung
selbst die zweckmäßigen Reformen eingeführt wären. Damals hatte auch die
Bureaukratie selbst noch eine gewisse Unabhängigkeit, und man hätte aus ihr
gar wohl einen ziemlich selbstständigen Staatsrath zusammensetzen können, der
sowol dem augenblicklichen Willen der Krone, als der Volksvertretung. gegen-


Allerdings waren die Kammern sehr conservativ und loyal, aber man konnte den
altpreußischen Begriff nicht loswerden, daß' Kammern ihrem Wesen nach etwas
Revolutionaires und Demokratisches seien, und so lies; man denn diese Kammern,
die eine solche Behandlung bei Gott! nicht verdienten, entgelten, was man gegen
ähnliche Institute empfand.

Z.weiteus. Die Kammern beruhten auf einer unhaltbaren Basis. Unter
allen möglichen Wahlsystemen ist die Dreitiasscnwahl das unnatürlichste, weil sie
ganz ohne Physiognomie ist. Bei allen Parteien hat sich die Idee festgesetzt, ein
Deputirter sei nicht der Vertreter seiner Wähler, sondern der Vertreter des ge¬
stimmten Staats. Das ist zwar in so sern richtig, als es im Interesse jedes
einzelnen Theiles des Staates liegt, Privatinteressen den allgemeinen Interessen
zu opfern, aber es bringt zugleich durch eine zu weit gehende Verallgemeinerung
eine Unklarheit und Romantik in das ganze Repräsentativsystem, die in der
Praxis von deu schädlichsten Folgen ist. . Die Stimmen werden im Parlament
doch nicht blos gezählt, sondern gewogen. Wenn man den Einfluß, den ein Par¬
lamentsbeschluß auf die Krone ausüben soll, vernünftig taxiren will, so muß man
sich doch fragen, wer steht hinter den Beschließenden? welche Autorität ist es,
kraft deren sie ihren Willen für oder wider die Regierung geltend machen? Bei
den demokratischen Urwcchlen ist die Antwort zwar nicht eine befriedigende, aber
doch eine handgreifliche, denn hier haben die Deputaten die Massen hinter sich.
Nach dem Dreiklassensystem aber hat man qbsolnt keinen Begriff davon, wer
eigentlich von den Deputaten vertreten wird, und wenn sich also die Krone aus
den Willen des Volks gegen den Willen seiner Vertreter beruft, so kann man
wenigstens mit mathematischen Beweisgründen eine solche Behauptung nicht wider¬
legen. — Das Alles ist wol sehr begreiflich, schwieriger aber wäre es, genau
anzugeben, worin die richtige Wahlmethode besteht. Leider hatte die Entwicke¬
lung der Verfassung vor dem Jahre 18i8, die wenigstens auf einer verhältni߬
mäßig realen Basis beruhte, keinen zweckmäßigen Abschluß gefunden. Damals
waren die beiden Mächte, ans denen das Wesen des preußischen Staates bestand,
' einerseits die Bureaukratie, andererseits die beschränkte Selbstregierung der Kreise
und Städte. Die ans den letzteren hervorgegangene Vertretung besaß also eine
unmittelbare Macht, in die zwar von Seiten der Bureaukratie häufig Eingriffe
geschahen, aber ohne sie doch aufzuheben. Bei dem ersten Versuch, diese beiden
Mächte mit einander in Rapport zu setzen, trat zwar die Bureaukratie den Ver¬
tretern der Kreise und' der Städte sehr hochmüthig gegenüber, aber dieses Ver¬
hältniß hätte sich allmählich ausgeglichen, namentlich wenn in die Kreisverfassung
selbst die zweckmäßigen Reformen eingeführt wären. Damals hatte auch die
Bureaukratie selbst noch eine gewisse Unabhängigkeit, und man hätte aus ihr
gar wohl einen ziemlich selbstständigen Staatsrath zusammensetzen können, der
sowol dem augenblicklichen Willen der Krone, als der Volksvertretung. gegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/416>, abgerufen am 24.07.2024.