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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Außerdem hat Browning noch mehrere Dramen geschrieben, die er unter
dem affectirter Titel: "vslls g,na poirw^i-Aratos" neuerdings gesammelt hat.
Das bedeutendste darunter ist "Strafford", daneben sind zu nennen: >,c!olnmds's
Lirtliäo^," "I^uria," "IKö Köwrn ok I^Ke Oruges" und Live on i^s Keuted-
son." In diesen Dramen ist der Dichter ganz ans seiner Natur heraus¬
gegangen. Sie sind für das Theater geschrieben und verrathen Nichts von der
überspannten Phantasie seiner Lyrik. Die Situationen sind sehr geschickt combi-
nirt, ungefähr wie in den Jntrignenstücken Calderon's; aber seine Charaktere
sind ans der einen Seite zu exceptionell, ans der andern zu abstract gehalten,
sie sind Resultate der Analyse, nicht unmittelbar empfunden. Ihre Charakter-
anläge stimmt nicht zu den Begebenheiten, denn die eine geht ans dem Nach¬
denken des Dichters hervor, die anderen sind auf das Bedürfniß des Publicums
berechnet. Außerdem treibt der Skepticismus den Dichter zu einer wahrhaft ver¬
zweifelten Unparteilichkeit. Wir empfinden niemals, auf welcher Seite in den
sittlichen Conflicten eigentlich das Recht ist, und das ist doch nothwendig, wenn
eine wahrhaft dramatische Wirkung erfolgen soll. -- Vor einigen Monaten hat
er eine biographisch-kritische Einleitung zu den nachgelassenen Briefen seines Vor¬
bildes Shelley geschrieben, die ziemlich überschwenglich gehalten ist.

Vor ungefähr fünf Jahren verheirathete sich Browning mit der Dichterin
Elisabeth Barrett, die nicht nur in der lyrischen Poesie eine bedeutende
Stelle einnimmt, sondern auch eine seltene Gelehrsamkeit besitzt. Sie hat uuter
Anderem eine Übersetzung vom Prometheus des Aeschylus geliefert. Vor ihrer
Verheirathung hatte sie eine schwere Krankheit veranlaßt, in dem milden Klima
Italiens ihre Heilung zu suchen; nach London zurückgekehrt, hatte, sie in der
Einsamkeit nur ihren Studien gelebt. Nach ihrer Vermählung reiste sie mit ihrem
Manne wieder nach Florenz, und ist erst im vorigen Jahre, nachdem ihre Gesund¬
heit so ziemlich wieder hergestellt ist, nach London zurückgekehrt. Vielfache, zum
Theil erschütternde Schläge des Schicksals haben ihre Seele geläutert.

In ihren lyrischen Gedichten erinnert sie mehr als irgend ein anderer gleich¬
zeitiger Dichter, wenn man etwa Tennyson ausnimmt, an Shelley. Dieselbe
zarte, sinnig poetische Natur, derselbe Reichthum an Modulationen der Stimmung,
dieselbe Färbung der Traurigkeit;, nur ist bei einer Frau diese Stimmung natür¬
licher. Für die äußere Welt hat sie keinen Sinn; sie läßt ihre Empfindungen
in ihrem Innern denken und sprechen, und erst aus ihnen bildet sich die gegen¬
ständliche Welt, in der sie sich bewegt. Es liegt in dieser unbedingten Inner¬
lichkeit eine gewisse Unklarheit und Unbestimmtheit, aber auch ein geheimer Zau¬
ber, der den Sinn gefangen nimmt. Bezeichnend ist ein kleines Gedicht, mit
welchem sie die "Meditationen über das Leben" einleitet. "Es kommt ein Tag,
wo unser Gedanke sich erweitert und die Grenzen unsres Wesens berührt. Ueber
das hinaus, was unser Auge wahrnimmt, was unser Ohr empfängt, empfinden


Außerdem hat Browning noch mehrere Dramen geschrieben, die er unter
dem affectirter Titel: „vslls g,na poirw^i-Aratos" neuerdings gesammelt hat.
Das bedeutendste darunter ist „Strafford", daneben sind zu nennen: >,c!olnmds's
Lirtliäo^," „I^uria," „IKö Köwrn ok I^Ke Oruges" und Live on i^s Keuted-
son." In diesen Dramen ist der Dichter ganz ans seiner Natur heraus¬
gegangen. Sie sind für das Theater geschrieben und verrathen Nichts von der
überspannten Phantasie seiner Lyrik. Die Situationen sind sehr geschickt combi-
nirt, ungefähr wie in den Jntrignenstücken Calderon's; aber seine Charaktere
sind ans der einen Seite zu exceptionell, ans der andern zu abstract gehalten,
sie sind Resultate der Analyse, nicht unmittelbar empfunden. Ihre Charakter-
anläge stimmt nicht zu den Begebenheiten, denn die eine geht ans dem Nach¬
denken des Dichters hervor, die anderen sind auf das Bedürfniß des Publicums
berechnet. Außerdem treibt der Skepticismus den Dichter zu einer wahrhaft ver¬
zweifelten Unparteilichkeit. Wir empfinden niemals, auf welcher Seite in den
sittlichen Conflicten eigentlich das Recht ist, und das ist doch nothwendig, wenn
eine wahrhaft dramatische Wirkung erfolgen soll. — Vor einigen Monaten hat
er eine biographisch-kritische Einleitung zu den nachgelassenen Briefen seines Vor¬
bildes Shelley geschrieben, die ziemlich überschwenglich gehalten ist.

Vor ungefähr fünf Jahren verheirathete sich Browning mit der Dichterin
Elisabeth Barrett, die nicht nur in der lyrischen Poesie eine bedeutende
Stelle einnimmt, sondern auch eine seltene Gelehrsamkeit besitzt. Sie hat uuter
Anderem eine Übersetzung vom Prometheus des Aeschylus geliefert. Vor ihrer
Verheirathung hatte sie eine schwere Krankheit veranlaßt, in dem milden Klima
Italiens ihre Heilung zu suchen; nach London zurückgekehrt, hatte, sie in der
Einsamkeit nur ihren Studien gelebt. Nach ihrer Vermählung reiste sie mit ihrem
Manne wieder nach Florenz, und ist erst im vorigen Jahre, nachdem ihre Gesund¬
heit so ziemlich wieder hergestellt ist, nach London zurückgekehrt. Vielfache, zum
Theil erschütternde Schläge des Schicksals haben ihre Seele geläutert.

In ihren lyrischen Gedichten erinnert sie mehr als irgend ein anderer gleich¬
zeitiger Dichter, wenn man etwa Tennyson ausnimmt, an Shelley. Dieselbe
zarte, sinnig poetische Natur, derselbe Reichthum an Modulationen der Stimmung,
dieselbe Färbung der Traurigkeit;, nur ist bei einer Frau diese Stimmung natür¬
licher. Für die äußere Welt hat sie keinen Sinn; sie läßt ihre Empfindungen
in ihrem Innern denken und sprechen, und erst aus ihnen bildet sich die gegen¬
ständliche Welt, in der sie sich bewegt. Es liegt in dieser unbedingten Inner¬
lichkeit eine gewisse Unklarheit und Unbestimmtheit, aber auch ein geheimer Zau¬
ber, der den Sinn gefangen nimmt. Bezeichnend ist ein kleines Gedicht, mit
welchem sie die „Meditationen über das Leben" einleitet. „Es kommt ein Tag,
wo unser Gedanke sich erweitert und die Grenzen unsres Wesens berührt. Ueber
das hinaus, was unser Auge wahrnimmt, was unser Ohr empfängt, empfinden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/394>, abgerufen am 24.07.2024.