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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Lärmgeschrei vom Stapel laufen, daß sogar Diejenigen, welche glaubten, ihr letztes
Stündchen habe geschlagen, in ihrer Apathie sich mitunter des Lachens nicht ent¬
halten konnten. Wahrend der Nacht ging er regelmäßig drei bis vier Mal aufs
Deck, kehrte bald zurück und publicirte dann, ohne sich daran zu kehren, ob
Einer oder der Andere möglicher Weise schlafen konnte, mit lautem Geschrei und
mit dem Anschein von Wahrheit die unsinnigsten Berichte; dann lachten Einige,
Andere zankten, Andere brummten oder ächzten, oder gaben sonst Töne des Un¬
wohlseins von sich -- genug, er lockte ein Quodlibet von Tönen hervor, das der
schönsten Katzenmusik Nichts nachgab.

Die erste Nacht, welche dem Ausbrüche der Seekrankheit folgte, übertraf
deu vorhergegangenen Tag durch t'omisch-grause Bilder -- Schade nur, daß nur
wenige meiner Reisegefährten denselben ihre volle und ununterbrochene Aufmerk¬
samkeit zuwenden konnten. So lange die Sonne noch am Horizonte sichtbar war,
und der von den Wellen emvvrgeworfeue Staubregen in den prächtigen Farben
des Regenbogens strahlte, war der Wind mäßig und der Wellenschlag nicht un¬
gewöhnlich hoch; aber als die Regenbogen der Wellen den glänzenden Stern¬
chen wichen, welche im Dunkel der Nacht rings um das Schiff herum in dem
Schaume des Meeres auftauchten und verschwanden, da rollten von der I^oss-Iwo
10 Knoten in das Meer hinab, und in rasender Eile hob und senkte sich unser
James mit den auf- und nieoerste'igcnden Wellen. Vorwärts und rückwärts,
hinab und hinauf, rechts und links wiegte sich das Gebäude in unaufhörlichem
Tanze, so daß Niemand, ohne sich anzuhalten, gehen und, stehen konnte, und daß
die Mantel mit den übrigen Kleidungsstücken, denen wir an ringsum angeschlage¬
nen Nägeln ihre Plätze angewiesen hatten^ durch den mittlern Gang von unsrem
Steerage hiudurchfegten, oder, 'um die Worte der Wahrheit näher zu bringen,
daß die Wände des Schiffes mit dem Boden und der Decke fast die Rollen ver¬
tauschten, während die langen Kleider der Frauen, die sich früher dicht an die
aufrechten Wände anschmiegte", jetzt als Diagonalen nach der gegenüberliegenden
Kante des Bodens zeigten, dann die Umarmung des Gehalts der Decke erwar¬
teten und endlich, ohne sich dieser erfrent zu haben, wieder in den Schooß
der gegenüberstehenden Wand aufgenommen wurden. Müde vom Zusehn und
ärgerlich über die Zudringlichkeit dieser Frauenkleider, welche, ohne daß'ich ihnen
die geringste Ermuthigung gegeben hatte, mich bisweilen umschlangen und in
ihrem rasenden Tanze fortzureißen suchten, zog ich Hammer, Nägel und Bind¬
faden hervor und nagelte die ungestümen Tänzerinnen fest; aber als sich jetzt die
Kleider ruhig verhielten, da fingen die Fässer, die Kisten, die Körbe und Säcke,
die Eßgeschirre, die Trinkbecher an zu rücken und zu wanken, die Kaffeemühle
mit einem Glas voll Brausepulver stürzte vou dem Gesims, und verletzte mich
ziemlich bedeutend am Finger, so daß ich während der ganzen Reise daran zu
leiden hatte; --die Kaffeemühle wurde festgebunden, das Glas mit dem Brause-


Lärmgeschrei vom Stapel laufen, daß sogar Diejenigen, welche glaubten, ihr letztes
Stündchen habe geschlagen, in ihrer Apathie sich mitunter des Lachens nicht ent¬
halten konnten. Wahrend der Nacht ging er regelmäßig drei bis vier Mal aufs
Deck, kehrte bald zurück und publicirte dann, ohne sich daran zu kehren, ob
Einer oder der Andere möglicher Weise schlafen konnte, mit lautem Geschrei und
mit dem Anschein von Wahrheit die unsinnigsten Berichte; dann lachten Einige,
Andere zankten, Andere brummten oder ächzten, oder gaben sonst Töne des Un¬
wohlseins von sich — genug, er lockte ein Quodlibet von Tönen hervor, das der
schönsten Katzenmusik Nichts nachgab.

Die erste Nacht, welche dem Ausbrüche der Seekrankheit folgte, übertraf
deu vorhergegangenen Tag durch t'omisch-grause Bilder — Schade nur, daß nur
wenige meiner Reisegefährten denselben ihre volle und ununterbrochene Aufmerk¬
samkeit zuwenden konnten. So lange die Sonne noch am Horizonte sichtbar war,
und der von den Wellen emvvrgeworfeue Staubregen in den prächtigen Farben
des Regenbogens strahlte, war der Wind mäßig und der Wellenschlag nicht un¬
gewöhnlich hoch; aber als die Regenbogen der Wellen den glänzenden Stern¬
chen wichen, welche im Dunkel der Nacht rings um das Schiff herum in dem
Schaume des Meeres auftauchten und verschwanden, da rollten von der I^oss-Iwo
10 Knoten in das Meer hinab, und in rasender Eile hob und senkte sich unser
James mit den auf- und nieoerste'igcnden Wellen. Vorwärts und rückwärts,
hinab und hinauf, rechts und links wiegte sich das Gebäude in unaufhörlichem
Tanze, so daß Niemand, ohne sich anzuhalten, gehen und, stehen konnte, und daß
die Mantel mit den übrigen Kleidungsstücken, denen wir an ringsum angeschlage¬
nen Nägeln ihre Plätze angewiesen hatten^ durch den mittlern Gang von unsrem
Steerage hiudurchfegten, oder, 'um die Worte der Wahrheit näher zu bringen,
daß die Wände des Schiffes mit dem Boden und der Decke fast die Rollen ver¬
tauschten, während die langen Kleider der Frauen, die sich früher dicht an die
aufrechten Wände anschmiegte», jetzt als Diagonalen nach der gegenüberliegenden
Kante des Bodens zeigten, dann die Umarmung des Gehalts der Decke erwar¬
teten und endlich, ohne sich dieser erfrent zu haben, wieder in den Schooß
der gegenüberstehenden Wand aufgenommen wurden. Müde vom Zusehn und
ärgerlich über die Zudringlichkeit dieser Frauenkleider, welche, ohne daß'ich ihnen
die geringste Ermuthigung gegeben hatte, mich bisweilen umschlangen und in
ihrem rasenden Tanze fortzureißen suchten, zog ich Hammer, Nägel und Bind¬
faden hervor und nagelte die ungestümen Tänzerinnen fest; aber als sich jetzt die
Kleider ruhig verhielten, da fingen die Fässer, die Kisten, die Körbe und Säcke,
die Eßgeschirre, die Trinkbecher an zu rücken und zu wanken, die Kaffeemühle
mit einem Glas voll Brausepulver stürzte vou dem Gesims, und verletzte mich
ziemlich bedeutend am Finger, so daß ich während der ganzen Reise daran zu
leiden hatte; —die Kaffeemühle wurde festgebunden, das Glas mit dem Brause-


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[0382] Lärmgeschrei vom Stapel laufen, daß sogar Diejenigen, welche glaubten, ihr letztes Stündchen habe geschlagen, in ihrer Apathie sich mitunter des Lachens nicht ent¬ halten konnten. Wahrend der Nacht ging er regelmäßig drei bis vier Mal aufs Deck, kehrte bald zurück und publicirte dann, ohne sich daran zu kehren, ob Einer oder der Andere möglicher Weise schlafen konnte, mit lautem Geschrei und mit dem Anschein von Wahrheit die unsinnigsten Berichte; dann lachten Einige, Andere zankten, Andere brummten oder ächzten, oder gaben sonst Töne des Un¬ wohlseins von sich — genug, er lockte ein Quodlibet von Tönen hervor, das der schönsten Katzenmusik Nichts nachgab. Die erste Nacht, welche dem Ausbrüche der Seekrankheit folgte, übertraf deu vorhergegangenen Tag durch t'omisch-grause Bilder — Schade nur, daß nur wenige meiner Reisegefährten denselben ihre volle und ununterbrochene Aufmerk¬ samkeit zuwenden konnten. So lange die Sonne noch am Horizonte sichtbar war, und der von den Wellen emvvrgeworfeue Staubregen in den prächtigen Farben des Regenbogens strahlte, war der Wind mäßig und der Wellenschlag nicht un¬ gewöhnlich hoch; aber als die Regenbogen der Wellen den glänzenden Stern¬ chen wichen, welche im Dunkel der Nacht rings um das Schiff herum in dem Schaume des Meeres auftauchten und verschwanden, da rollten von der I^oss-Iwo 10 Knoten in das Meer hinab, und in rasender Eile hob und senkte sich unser James mit den auf- und nieoerste'igcnden Wellen. Vorwärts und rückwärts, hinab und hinauf, rechts und links wiegte sich das Gebäude in unaufhörlichem Tanze, so daß Niemand, ohne sich anzuhalten, gehen und, stehen konnte, und daß die Mantel mit den übrigen Kleidungsstücken, denen wir an ringsum angeschlage¬ nen Nägeln ihre Plätze angewiesen hatten^ durch den mittlern Gang von unsrem Steerage hiudurchfegten, oder, 'um die Worte der Wahrheit näher zu bringen, daß die Wände des Schiffes mit dem Boden und der Decke fast die Rollen ver¬ tauschten, während die langen Kleider der Frauen, die sich früher dicht an die aufrechten Wände anschmiegte», jetzt als Diagonalen nach der gegenüberliegenden Kante des Bodens zeigten, dann die Umarmung des Gehalts der Decke erwar¬ teten und endlich, ohne sich dieser erfrent zu haben, wieder in den Schooß der gegenüberstehenden Wand aufgenommen wurden. Müde vom Zusehn und ärgerlich über die Zudringlichkeit dieser Frauenkleider, welche, ohne daß'ich ihnen die geringste Ermuthigung gegeben hatte, mich bisweilen umschlangen und in ihrem rasenden Tanze fortzureißen suchten, zog ich Hammer, Nägel und Bind¬ faden hervor und nagelte die ungestümen Tänzerinnen fest; aber als sich jetzt die Kleider ruhig verhielten, da fingen die Fässer, die Kisten, die Körbe und Säcke, die Eßgeschirre, die Trinkbecher an zu rücken und zu wanken, die Kaffeemühle mit einem Glas voll Brausepulver stürzte vou dem Gesims, und verletzte mich ziemlich bedeutend am Finger, so daß ich während der ganzen Reise daran zu leiden hatte; —die Kaffeemühle wurde festgebunden, das Glas mit dem Brause-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/382>, abgerufen am 24.07.2024.