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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Wol zwanzigmal eilt ich an seinen Fuß,
Nun meinend, nun das Räthsel zu enthüllen,
Und sah hinan: Nichts schaut' ich, als das Licht,
Das fort und fort aus Hero's Fenster schien.

Wenn wir die musterhafte Ausführung dieser drei Stücke erwägen, so werden
wir zum höchsten Bedauern getrieben, daß ein so bedeutendes dramatisches Talent
für uns verloren gegangen ist. Diese Probleme liegen zu weit seitab von dem,
was den Pulsschlag unsrer Zeit bewegt. Nicht ungestraft entfernt sich der Dich¬
ter, namentlich der dramatische, von dem öffentlichen Leben seines Volks. So
schon diese Gedichte jm. Einzelnen sind, sie machen doch nur den Eindruck von
Schattenbildern, deren Wirkung mit dem Augenblick flüchtig vorübergeht.

Viel schwächer sind die beiden historischen Stücke: "König Ottokar's Glück
und Ende" (1825) und "Ein treuer Diener seines Herrn" (-1830). Das
erstere soll für den östreichischen Patriotismus ungefähr dieselbe Bedeutung haben,
wie Kleist's "Prinz von Homburg" für den preußischen: Aber es steht ihm in
jeder Beziehung nach. Kaiser Rudolph war ein ausgezeichneter Regent, dem wir
die größte Achtung zolle", sobald wir ihm in der Geschichte begegnen; aber eigent¬
lich ist sein ganzes Wirken doch mehr auf den Verstand, als ans das Gemüth
berechnet. Das Schicksal Ottokar's ist rührend und erschütternd, aber es ist
seiner Anlage wie seiner Katastrophe nach nur für die epische Darstellung
geeignet. Beides hat der Dichter sehr wohl gefühlt; er hat daher sein poetisches
Hauptinteresse in den Gegensatz der beiden Charaktere gelegt. Rudolph tritt auf
als der bescheidene, seiner Schranken und seiner Pflichten klar bewußte Mann,
der aber, wo er zum Entschluß gekommen ist, durch Nichts wankend gemacht wer¬
den kann; Ottokar dagegen, als der durch seine Vollgewalt verwöhnte übermü¬
thige Despot, der im Unglück jeden Halt verliert und bis zur Entwürdigung
weich wird. Um diesen Contrast schärfer hervorzuheben, ist sogar der Geschichte
Gewalt angethan. In der bekannten Scene, wo Rudolph die Huldigung Otto¬
kar's in seinem Zelte empfängt und die Wände des Zeltes sich plötzlich öffnen,
so daß das ganze Heer den knienden König erblickt, ist nicht der Kaiser der
Maschinist, weil ein solcher Zug mit dem Ideal der Bescheidenheit und Ehrlichkeit
schlecht übereinstimmen würde, sondern ein boshafter Vasall Ottokar's, der seinen
König demüthigen will, um seine Gemahlin zu verführen. Nach der Rückkehr
von dieser Scene liegt Ottokar fast einen ganzen Act hindurch auf der Schwelle
seines Thronsaals, und läßt sich von seinem übermüthigen Weibe und seinen
Knechten verhöhnen. Diese episodische Figur der Königin Kunigunde ist im Ge¬
fühl der mangelhaften dramatischen Berechtigung des Stoffes in übertriebener
Breite ausgeführt; sie ist von Anfang bis zu Ende häßlich und unwahr.

Noch mißlicher ist das Sujet des zweiten Stücks, welches zur Zeit des
Königs Andreas III. von Ungarn spielt. Der treue Diener, den er als Stellver-


Wol zwanzigmal eilt ich an seinen Fuß,
Nun meinend, nun das Räthsel zu enthüllen,
Und sah hinan: Nichts schaut' ich, als das Licht,
Das fort und fort aus Hero's Fenster schien.

Wenn wir die musterhafte Ausführung dieser drei Stücke erwägen, so werden
wir zum höchsten Bedauern getrieben, daß ein so bedeutendes dramatisches Talent
für uns verloren gegangen ist. Diese Probleme liegen zu weit seitab von dem,
was den Pulsschlag unsrer Zeit bewegt. Nicht ungestraft entfernt sich der Dich¬
ter, namentlich der dramatische, von dem öffentlichen Leben seines Volks. So
schon diese Gedichte jm. Einzelnen sind, sie machen doch nur den Eindruck von
Schattenbildern, deren Wirkung mit dem Augenblick flüchtig vorübergeht.

Viel schwächer sind die beiden historischen Stücke: „König Ottokar's Glück
und Ende" (1825) und „Ein treuer Diener seines Herrn" (-1830). Das
erstere soll für den östreichischen Patriotismus ungefähr dieselbe Bedeutung haben,
wie Kleist's „Prinz von Homburg" für den preußischen: Aber es steht ihm in
jeder Beziehung nach. Kaiser Rudolph war ein ausgezeichneter Regent, dem wir
die größte Achtung zolle», sobald wir ihm in der Geschichte begegnen; aber eigent¬
lich ist sein ganzes Wirken doch mehr auf den Verstand, als ans das Gemüth
berechnet. Das Schicksal Ottokar's ist rührend und erschütternd, aber es ist
seiner Anlage wie seiner Katastrophe nach nur für die epische Darstellung
geeignet. Beides hat der Dichter sehr wohl gefühlt; er hat daher sein poetisches
Hauptinteresse in den Gegensatz der beiden Charaktere gelegt. Rudolph tritt auf
als der bescheidene, seiner Schranken und seiner Pflichten klar bewußte Mann,
der aber, wo er zum Entschluß gekommen ist, durch Nichts wankend gemacht wer¬
den kann; Ottokar dagegen, als der durch seine Vollgewalt verwöhnte übermü¬
thige Despot, der im Unglück jeden Halt verliert und bis zur Entwürdigung
weich wird. Um diesen Contrast schärfer hervorzuheben, ist sogar der Geschichte
Gewalt angethan. In der bekannten Scene, wo Rudolph die Huldigung Otto¬
kar's in seinem Zelte empfängt und die Wände des Zeltes sich plötzlich öffnen,
so daß das ganze Heer den knienden König erblickt, ist nicht der Kaiser der
Maschinist, weil ein solcher Zug mit dem Ideal der Bescheidenheit und Ehrlichkeit
schlecht übereinstimmen würde, sondern ein boshafter Vasall Ottokar's, der seinen
König demüthigen will, um seine Gemahlin zu verführen. Nach der Rückkehr
von dieser Scene liegt Ottokar fast einen ganzen Act hindurch auf der Schwelle
seines Thronsaals, und läßt sich von seinem übermüthigen Weibe und seinen
Knechten verhöhnen. Diese episodische Figur der Königin Kunigunde ist im Ge¬
fühl der mangelhaften dramatischen Berechtigung des Stoffes in übertriebener
Breite ausgeführt; sie ist von Anfang bis zu Ende häßlich und unwahr.

Noch mißlicher ist das Sujet des zweiten Stücks, welches zur Zeit des
Königs Andreas III. von Ungarn spielt. Der treue Diener, den er als Stellver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/353>, abgerufen am 24.07.2024.