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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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den Inseln des stillen Meeres und der Südsee. Vielleicht sind dort einmal ein¬
zelne Dschonken mit theetrinkenden Chinesen angeschwommen, und es hat sich die
Sage vom wundersamen Genusse der Fremdlinge allmählich von Insel zu Insel
verbreitet. Genug, schon den ersten Europäern, welche Hieher den Kiel ihrer
Schiffe lenkten, wurde als Zeichen der Freundschaft nicht die Friedenspfeife ge¬
reicht, sondern sie mußten aus gemeinsamer Schüssel mit den Eingebornen durch
eine von Mund zu Mund wandernde Binsenröhrc eine klare, kochendheiße Flüssig¬
keit schlürfen. Thee war es nicht, aber doch ein Symbol des Thee's, ein Natur-
cultus seiner Idee.

Oder könnte man es anders deuten? Galle in diesem Falle die Wahrheit
nicht, daß die Extreme sich begegnen? Sollte es wirklich zufällig sein, daß die
blasirte Uebercultur der cultursüchtigen Ur atur gerade im Theegennß ähnelt? Der
Name Thee bezeichnet ja anch jenes Gesellschaftsgetränk unsrer Metropolen der
Intelligenz, dessen Wesen bis zum spiritualistischen Nihilismus verflüchtigt ist --
eine lauwarme Flüssigkeit, von opalisirendem Farbenspiel, von kaum merklichem
Theedust, vou geradezu unergründlichen Theegeschmack. Oder giebt es nicht
Anlaß zu weiteren tiefsinnigen Betrachtungen über das Wechselverhältniß zwischen
dem Thee und dem Volkscharakter, daß der Chinese das Theeblatt pulverisirt und
jede seiner kleinen Tassen besonders bereitet; daß der Russe den knnstrecht auge¬
brühten Thee in großen Massen aus Gläsern trinkt; daß der Brite den aufge¬
gossenen Thee ein Paar Mal aufwallen läßt, so daß neben dem ätherischen Gehalt
auch der bittere Pflanzenstoff zur Geltung kommt, neben dem Schönen das Nütz¬
liche; daß endlich der Deutsche gleichgiltigen Sinnes die Theebereitung häufig
den rohen Händen der Küche überlassen mag, was keine andere Nation thut?
Soll etwa denkende Betrachtung der Erscheinungswelt gleichgiltigen Blickes an
der Thatsache vorübergehn, daß in den "tollen Jahren" unsrer jüngsten Ver¬
gangenheit ein großer Theil der Männerwelt den Theegenuß eben so tief ver¬
achtete, wie die weiße Cravate, den schwarzen Frack und die bunten Ordens¬
zeichen? Wäre es gleichartig, daß sein Cultus fast ausschließlich in jenen Kreisen
fortlebte, die damals unsichtbar waren, aber nun glänzend hervorgetreten sind
als die wahrhaftigen Retter der Civilisation, welche bekanntlich im Begriffe stand,
"auf den Trümmern der zerstörten Welt sich selber zu erwürgen"? Wäre es nnr
ein Zufall gewesen, daß jene hellenische Blüthezeit des biertrinkenden Bayern,
welche im Namen Abel ihren Gesammtausdruck fand, trotz des Hofbräuhauses
einen so brennenden Durst nach dem theeischen Element empfand,.daß man in
"harmlosen" Kreisen der Residenz "Theeblätter" erzeugte, die freilich schlecht
waren, obschon morgenröthliche Staatslenker an der Fabrikation Theilnahmen?
Wäre dies im innerlich blühendsten Momente des bayrischen Nationallebens ein
leerer Zufall gewesen, dann müßte man es auch als Zufall erklären, daß im
mercantil und geistig herrschenden England 1 Pfd. 26 Loth Thee alljährlich auf


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den Inseln des stillen Meeres und der Südsee. Vielleicht sind dort einmal ein¬
zelne Dschonken mit theetrinkenden Chinesen angeschwommen, und es hat sich die
Sage vom wundersamen Genusse der Fremdlinge allmählich von Insel zu Insel
verbreitet. Genug, schon den ersten Europäern, welche Hieher den Kiel ihrer
Schiffe lenkten, wurde als Zeichen der Freundschaft nicht die Friedenspfeife ge¬
reicht, sondern sie mußten aus gemeinsamer Schüssel mit den Eingebornen durch
eine von Mund zu Mund wandernde Binsenröhrc eine klare, kochendheiße Flüssig¬
keit schlürfen. Thee war es nicht, aber doch ein Symbol des Thee's, ein Natur-
cultus seiner Idee.

Oder könnte man es anders deuten? Galle in diesem Falle die Wahrheit
nicht, daß die Extreme sich begegnen? Sollte es wirklich zufällig sein, daß die
blasirte Uebercultur der cultursüchtigen Ur atur gerade im Theegennß ähnelt? Der
Name Thee bezeichnet ja anch jenes Gesellschaftsgetränk unsrer Metropolen der
Intelligenz, dessen Wesen bis zum spiritualistischen Nihilismus verflüchtigt ist —
eine lauwarme Flüssigkeit, von opalisirendem Farbenspiel, von kaum merklichem
Theedust, vou geradezu unergründlichen Theegeschmack. Oder giebt es nicht
Anlaß zu weiteren tiefsinnigen Betrachtungen über das Wechselverhältniß zwischen
dem Thee und dem Volkscharakter, daß der Chinese das Theeblatt pulverisirt und
jede seiner kleinen Tassen besonders bereitet; daß der Russe den knnstrecht auge¬
brühten Thee in großen Massen aus Gläsern trinkt; daß der Brite den aufge¬
gossenen Thee ein Paar Mal aufwallen läßt, so daß neben dem ätherischen Gehalt
auch der bittere Pflanzenstoff zur Geltung kommt, neben dem Schönen das Nütz¬
liche; daß endlich der Deutsche gleichgiltigen Sinnes die Theebereitung häufig
den rohen Händen der Küche überlassen mag, was keine andere Nation thut?
Soll etwa denkende Betrachtung der Erscheinungswelt gleichgiltigen Blickes an
der Thatsache vorübergehn, daß in den „tollen Jahren" unsrer jüngsten Ver¬
gangenheit ein großer Theil der Männerwelt den Theegenuß eben so tief ver¬
achtete, wie die weiße Cravate, den schwarzen Frack und die bunten Ordens¬
zeichen? Wäre es gleichartig, daß sein Cultus fast ausschließlich in jenen Kreisen
fortlebte, die damals unsichtbar waren, aber nun glänzend hervorgetreten sind
als die wahrhaftigen Retter der Civilisation, welche bekanntlich im Begriffe stand,
„auf den Trümmern der zerstörten Welt sich selber zu erwürgen"? Wäre es nnr
ein Zufall gewesen, daß jene hellenische Blüthezeit des biertrinkenden Bayern,
welche im Namen Abel ihren Gesammtausdruck fand, trotz des Hofbräuhauses
einen so brennenden Durst nach dem theeischen Element empfand,.daß man in
„harmlosen" Kreisen der Residenz „Theeblätter" erzeugte, die freilich schlecht
waren, obschon morgenröthliche Staatslenker an der Fabrikation Theilnahmen?
Wäre dies im innerlich blühendsten Momente des bayrischen Nationallebens ein
leerer Zufall gewesen, dann müßte man es auch als Zufall erklären, daß im
mercantil und geistig herrschenden England 1 Pfd. 26 Loth Thee alljährlich auf


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[0335] den Inseln des stillen Meeres und der Südsee. Vielleicht sind dort einmal ein¬ zelne Dschonken mit theetrinkenden Chinesen angeschwommen, und es hat sich die Sage vom wundersamen Genusse der Fremdlinge allmählich von Insel zu Insel verbreitet. Genug, schon den ersten Europäern, welche Hieher den Kiel ihrer Schiffe lenkten, wurde als Zeichen der Freundschaft nicht die Friedenspfeife ge¬ reicht, sondern sie mußten aus gemeinsamer Schüssel mit den Eingebornen durch eine von Mund zu Mund wandernde Binsenröhrc eine klare, kochendheiße Flüssig¬ keit schlürfen. Thee war es nicht, aber doch ein Symbol des Thee's, ein Natur- cultus seiner Idee. Oder könnte man es anders deuten? Galle in diesem Falle die Wahrheit nicht, daß die Extreme sich begegnen? Sollte es wirklich zufällig sein, daß die blasirte Uebercultur der cultursüchtigen Ur atur gerade im Theegennß ähnelt? Der Name Thee bezeichnet ja anch jenes Gesellschaftsgetränk unsrer Metropolen der Intelligenz, dessen Wesen bis zum spiritualistischen Nihilismus verflüchtigt ist — eine lauwarme Flüssigkeit, von opalisirendem Farbenspiel, von kaum merklichem Theedust, vou geradezu unergründlichen Theegeschmack. Oder giebt es nicht Anlaß zu weiteren tiefsinnigen Betrachtungen über das Wechselverhältniß zwischen dem Thee und dem Volkscharakter, daß der Chinese das Theeblatt pulverisirt und jede seiner kleinen Tassen besonders bereitet; daß der Russe den knnstrecht auge¬ brühten Thee in großen Massen aus Gläsern trinkt; daß der Brite den aufge¬ gossenen Thee ein Paar Mal aufwallen läßt, so daß neben dem ätherischen Gehalt auch der bittere Pflanzenstoff zur Geltung kommt, neben dem Schönen das Nütz¬ liche; daß endlich der Deutsche gleichgiltigen Sinnes die Theebereitung häufig den rohen Händen der Küche überlassen mag, was keine andere Nation thut? Soll etwa denkende Betrachtung der Erscheinungswelt gleichgiltigen Blickes an der Thatsache vorübergehn, daß in den „tollen Jahren" unsrer jüngsten Ver¬ gangenheit ein großer Theil der Männerwelt den Theegenuß eben so tief ver¬ achtete, wie die weiße Cravate, den schwarzen Frack und die bunten Ordens¬ zeichen? Wäre es gleichartig, daß sein Cultus fast ausschließlich in jenen Kreisen fortlebte, die damals unsichtbar waren, aber nun glänzend hervorgetreten sind als die wahrhaftigen Retter der Civilisation, welche bekanntlich im Begriffe stand, „auf den Trümmern der zerstörten Welt sich selber zu erwürgen"? Wäre es nnr ein Zufall gewesen, daß jene hellenische Blüthezeit des biertrinkenden Bayern, welche im Namen Abel ihren Gesammtausdruck fand, trotz des Hofbräuhauses einen so brennenden Durst nach dem theeischen Element empfand,.daß man in „harmlosen" Kreisen der Residenz „Theeblätter" erzeugte, die freilich schlecht waren, obschon morgenröthliche Staatslenker an der Fabrikation Theilnahmen? Wäre dies im innerlich blühendsten Momente des bayrischen Nationallebens ein leerer Zufall gewesen, dann müßte man es auch als Zufall erklären, daß im mercantil und geistig herrschenden England 1 Pfd. 26 Loth Thee alljährlich auf 41 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/335>, abgerufen am 04.07.2024.