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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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nach seinem Befinden zu fragen, übernimmt es eine frische weibliche Stimme, ihm
das verlangte Bulletin hinauszurufen. Auf der Bühne mußte das natürlich eine-
andere Wendung nehmen nud mit einer Heirath vor dem Maire und dem prüden
Director der hyperclassischen Bühne endigen, was diesem mit den wahrsten Farben
geschilderten Genrebildchen etwas von seinem Reize nimmt. Auch Zonliomms
Mis, der die Eifersucht der beiden Verliebten wecken muß,- um ihre Gefühle
zum Sprechen zu bringen, erlaubt sich Dinge, die bei einem so alten Manne,
selbst in wohlgemeinter Absicht und zum Scheine blos, widerlich werden. In der
Novelle aber ist derlei sorgsam vermieden worden. Die Hauptsache am Ende
bleibt auch hier wie bei den meiste" französischen Lustspielen, das gute abgerun¬
dete Spiel und der geistreiche Dialog, ve l'vsxi'et, l'Wprtt und abermals
ssxrit, das ist Alles, was die Franzosen verlangen -- das wirkliche Kunstinter¬
esse ist Nebensache. Im Gymnase werden alte Stücke gegeben, im Vaudeville
schwindsüchtelt die v-nil" aux Van6uäh schon zum achtzigsten Male, und das
Theater des Palais royal, das sonst unser Generalintendant der uudefinitivbareu
aber unfehlbaren Lustigkeit gewesen, lebt auch von Stegreifen. Doch verspricht es,
sich durch eine-für nächste Woche angesägte Parodie des "ewigen Juden" wieder
zu rehabilitireu. Und so hätte ich denn das Werk der Enttäuschung unsrer mit
einem Jahre aufs Höchste gespannten Erwartung berührt. Der arme ewige Jude,
wie sie ihm arg mitgespielt haben! Diese schöne pvesiereiche Sage, die uns gar
uicht umzubringen schien, Scribe und Se. George haben das Unmögliche geleistet.
Der ewige Jude hat in dem Werke des Dichters vom Glas Wasser Nichts weiter
zu bedeuten, als die erste beste Fee im ersten besten Spcctakelstücke, und er
hätte auch eben so gut durch die Beschützerin von Lumpacivagabundus ersetzt
werden können. Ahasverus ist in allen fünf Acten der Veu8 ex maedma, wel¬
cher der Maschine zu Hilfe kommt, und wenn er vom Dämon mit dem Feuer¬
schwerte durch Länder und Welttheile verfolgt wird wie ein politischer Flüchtling,
so geschieht dies blos, um einen Vorwand zur nöthigen Abwechselung in die
Decorationen zu bringen. Er darf sich überall nur eine Viertelstunde aufhalten,
was ihn nicht verhindert, Romanzen, Balladen, Trios, Duette und Monologe
zu singen. Er rettet die Tochter des Kaisers Balduin von Byzanz; dies ge¬
schieht im ersten Acte und in Antwerpen. Im zweiten Acte ist sie verliebt in
ihren vermeintlichen Bruder, und wird von den Mördern ihrer Mittler nach
Thessalonich (aus der Bulgarei) als Sclavin gebracht. Ahasverus thut im zweiten
Acte wie im ersten, er rettet Irenen. Er thut mehr noch, er liebt diese Irene
(welche vielleicht eben so von ihm abstammt, als deren Pflegeschwester, das Schiffer¬
mädchen Theodora) so sehr, daß er für sie ins Feuer geht. Obgleich das für
einen ewigen Juden nicht weiter schwer sein kann, verschafft Ahasverus Irenen
dadurch Anerkennung ihrer Rechte auf den Kaiserthron. Nicephorus, der Louis
Bonaparte von damals, war nicht vorbereitet genug für seinen zweiten December,


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nach seinem Befinden zu fragen, übernimmt es eine frische weibliche Stimme, ihm
das verlangte Bulletin hinauszurufen. Auf der Bühne mußte das natürlich eine-
andere Wendung nehmen nud mit einer Heirath vor dem Maire und dem prüden
Director der hyperclassischen Bühne endigen, was diesem mit den wahrsten Farben
geschilderten Genrebildchen etwas von seinem Reize nimmt. Auch Zonliomms
Mis, der die Eifersucht der beiden Verliebten wecken muß,- um ihre Gefühle
zum Sprechen zu bringen, erlaubt sich Dinge, die bei einem so alten Manne,
selbst in wohlgemeinter Absicht und zum Scheine blos, widerlich werden. In der
Novelle aber ist derlei sorgsam vermieden worden. Die Hauptsache am Ende
bleibt auch hier wie bei den meiste» französischen Lustspielen, das gute abgerun¬
dete Spiel und der geistreiche Dialog, ve l'vsxi'et, l'Wprtt und abermals
ssxrit, das ist Alles, was die Franzosen verlangen — das wirkliche Kunstinter¬
esse ist Nebensache. Im Gymnase werden alte Stücke gegeben, im Vaudeville
schwindsüchtelt die v-nil« aux Van6uäh schon zum achtzigsten Male, und das
Theater des Palais royal, das sonst unser Generalintendant der uudefinitivbareu
aber unfehlbaren Lustigkeit gewesen, lebt auch von Stegreifen. Doch verspricht es,
sich durch eine-für nächste Woche angesägte Parodie des „ewigen Juden" wieder
zu rehabilitireu. Und so hätte ich denn das Werk der Enttäuschung unsrer mit
einem Jahre aufs Höchste gespannten Erwartung berührt. Der arme ewige Jude,
wie sie ihm arg mitgespielt haben! Diese schöne pvesiereiche Sage, die uns gar
uicht umzubringen schien, Scribe und Se. George haben das Unmögliche geleistet.
Der ewige Jude hat in dem Werke des Dichters vom Glas Wasser Nichts weiter
zu bedeuten, als die erste beste Fee im ersten besten Spcctakelstücke, und er
hätte auch eben so gut durch die Beschützerin von Lumpacivagabundus ersetzt
werden können. Ahasverus ist in allen fünf Acten der Veu8 ex maedma, wel¬
cher der Maschine zu Hilfe kommt, und wenn er vom Dämon mit dem Feuer¬
schwerte durch Länder und Welttheile verfolgt wird wie ein politischer Flüchtling,
so geschieht dies blos, um einen Vorwand zur nöthigen Abwechselung in die
Decorationen zu bringen. Er darf sich überall nur eine Viertelstunde aufhalten,
was ihn nicht verhindert, Romanzen, Balladen, Trios, Duette und Monologe
zu singen. Er rettet die Tochter des Kaisers Balduin von Byzanz; dies ge¬
schieht im ersten Acte und in Antwerpen. Im zweiten Acte ist sie verliebt in
ihren vermeintlichen Bruder, und wird von den Mördern ihrer Mittler nach
Thessalonich (aus der Bulgarei) als Sclavin gebracht. Ahasverus thut im zweiten
Acte wie im ersten, er rettet Irenen. Er thut mehr noch, er liebt diese Irene
(welche vielleicht eben so von ihm abstammt, als deren Pflegeschwester, das Schiffer¬
mädchen Theodora) so sehr, daß er für sie ins Feuer geht. Obgleich das für
einen ewigen Juden nicht weiter schwer sein kann, verschafft Ahasverus Irenen
dadurch Anerkennung ihrer Rechte auf den Kaiserthron. Nicephorus, der Louis
Bonaparte von damals, war nicht vorbereitet genug für seinen zweiten December,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/319>, abgerufen am 04.07.2024.