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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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theatcr. Rosas könnte die neue Welt rächen für die Schande, die sie in unsren
Angen auf sich .geladen, indem sie sich von Lota Montez hinter's Licht sichren läßt.
Er konnte zeigen, daß die Europäer, und namentlich die Franzosen, eben so
spcktakelsüchtig seien als die Bewohner der neuen Welt, falls eS überhaupt noth¬
wendig wäre, diesen Beweis erst zu führen. Im Oäoon, wo l'sxü as ivlaeelüavel
aufgeführt wird -- das albernste Stück, das in Paris, und, was noch mehr ist,
in diesem Theater seit lange über die Bühne ging -- herrscht unausgffetzt die
beschaulichste Stille und Einsamkeit. Das Publicum hat sich längst von selbst
exilirt, und auch die Wiederaufnahme der Cortes ü'llolkmo.um und eines dummen
Vaudevilles vom talentlosen Hyppolit Lucas kann der Kasse, dieses unglücklichen
Theaters nicht ans die Beine helfen. Es gäbe nur eiuen Mann, der etwas
Leben in diese verlassene Gegend von Paris zu bringen vermochte, und das ist
Felix Pyat. Aber Felix Pyat schwimmt in diesem Augenblicke auf dem Meere
den nordamerikanischen Freistaaten zu/ Nachdem er in London vergebens versucht
hatte, ein daselbst von ihm geschriebenes Stück zur Aufführung zu bringen, ent¬
schloß er sich, in Amerika sein Heil zu versuchen. Das Varivtö-Theater leidet
auch Noth an neuen Stücken, und es muß zu einer Reprise der vie av LoKeme
von Murger seiue Zuflucht nehmen. Von demselben Verfasser wird gleichfalls eine Be¬
arbeitung einer seiner Novellen (diesmal nur die v^E as.j ermesse) im l.lies.l.i'ö krautig
aufgeführt. Ich meine den Lonlwmms Mis, der sehr viel Glück macht trotz seiner
nuclasfischeu Prätensionen. Die Novelle ist reizend, mit viel verve geschrieben, und
obgleich das Lustspiel nicht alle Vorzüge der Erzählung für sich hat, können wir
doch nicht umhin, dem kleinen Dinge unsren Beifall zu zollen. Lonlromwe Mis
ist ein sechzig- oder siebzigjähriger Gaillard, der das Glück hat, jung geblieben
zu sein, und der sich jung zu erhalten weiß, indem er sich mit den Freuden der
Jugend umgiebt. Er bewohnt die lustigen Regionen der oberen Stockwerke, in
denen die Jugend aller Klassen sich für den Ueberfluß an Rentenmangel durch
Gründung neuer philosophischer Systeme zu entschädigen sucht. Wir haben
unsre künstigen Aristotelesse, unsre Phidiasse, Praxiteles, unsre Thucydides, und
damit die classische Sippschaft ganz vollständig sei, anch die modernen Lais und
Aspasien in petto,. Lovdomme Mis macht Bekanntschaft mit seinen jungen
Nachbarn und hilft ihnen glücklich zu sein. Der Zufall hat > ihm einen jungen
naiven Studiosus zugeführt, der einfältig genug ist zu glauben, daß Frohsinn
und Heiterkeit mit der Armuth nicht vereinigt werden könne, und der seine Nase
nicht vou seinen Büchern hebt. Das ärgert Londomms ,'jg.als, und er sucht
seinen Nachbar zur Philosophie Verengert zu bekehren, was mit Hilfe einer
Nachbarin, die eben so naiv ist, als unsre Mansarden gelehrt, auch vollkommen
gelingt. IZonImmme Mis ist glücklich, denn als er nach einem improvisirten
Besuche eines ländlichen Balles, auf dem eben die Bekanntschaft obenerwähnter
Nachbarin gemacht wurde, bei seinem jungen Freunde an die Thür klopft, um


theatcr. Rosas könnte die neue Welt rächen für die Schande, die sie in unsren
Angen auf sich .geladen, indem sie sich von Lota Montez hinter's Licht sichren läßt.
Er konnte zeigen, daß die Europäer, und namentlich die Franzosen, eben so
spcktakelsüchtig seien als die Bewohner der neuen Welt, falls eS überhaupt noth¬
wendig wäre, diesen Beweis erst zu führen. Im Oäoon, wo l'sxü as ivlaeelüavel
aufgeführt wird — das albernste Stück, das in Paris, und, was noch mehr ist,
in diesem Theater seit lange über die Bühne ging — herrscht unausgffetzt die
beschaulichste Stille und Einsamkeit. Das Publicum hat sich längst von selbst
exilirt, und auch die Wiederaufnahme der Cortes ü'llolkmo.um und eines dummen
Vaudevilles vom talentlosen Hyppolit Lucas kann der Kasse, dieses unglücklichen
Theaters nicht ans die Beine helfen. Es gäbe nur eiuen Mann, der etwas
Leben in diese verlassene Gegend von Paris zu bringen vermochte, und das ist
Felix Pyat. Aber Felix Pyat schwimmt in diesem Augenblicke auf dem Meere
den nordamerikanischen Freistaaten zu/ Nachdem er in London vergebens versucht
hatte, ein daselbst von ihm geschriebenes Stück zur Aufführung zu bringen, ent¬
schloß er sich, in Amerika sein Heil zu versuchen. Das Varivtö-Theater leidet
auch Noth an neuen Stücken, und es muß zu einer Reprise der vie av LoKeme
von Murger seiue Zuflucht nehmen. Von demselben Verfasser wird gleichfalls eine Be¬
arbeitung einer seiner Novellen (diesmal nur die v^E as.j ermesse) im l.lies.l.i'ö krautig
aufgeführt. Ich meine den Lonlwmms Mis, der sehr viel Glück macht trotz seiner
nuclasfischeu Prätensionen. Die Novelle ist reizend, mit viel verve geschrieben, und
obgleich das Lustspiel nicht alle Vorzüge der Erzählung für sich hat, können wir
doch nicht umhin, dem kleinen Dinge unsren Beifall zu zollen. Lonlromwe Mis
ist ein sechzig- oder siebzigjähriger Gaillard, der das Glück hat, jung geblieben
zu sein, und der sich jung zu erhalten weiß, indem er sich mit den Freuden der
Jugend umgiebt. Er bewohnt die lustigen Regionen der oberen Stockwerke, in
denen die Jugend aller Klassen sich für den Ueberfluß an Rentenmangel durch
Gründung neuer philosophischer Systeme zu entschädigen sucht. Wir haben
unsre künstigen Aristotelesse, unsre Phidiasse, Praxiteles, unsre Thucydides, und
damit die classische Sippschaft ganz vollständig sei, anch die modernen Lais und
Aspasien in petto,. Lovdomme Mis macht Bekanntschaft mit seinen jungen
Nachbarn und hilft ihnen glücklich zu sein. Der Zufall hat > ihm einen jungen
naiven Studiosus zugeführt, der einfältig genug ist zu glauben, daß Frohsinn
und Heiterkeit mit der Armuth nicht vereinigt werden könne, und der seine Nase
nicht vou seinen Büchern hebt. Das ärgert Londomms ,'jg.als, und er sucht
seinen Nachbar zur Philosophie Verengert zu bekehren, was mit Hilfe einer
Nachbarin, die eben so naiv ist, als unsre Mansarden gelehrt, auch vollkommen
gelingt. IZonImmme Mis ist glücklich, denn als er nach einem improvisirten
Besuche eines ländlichen Balles, auf dem eben die Bekanntschaft obenerwähnter
Nachbarin gemacht wurde, bei seinem jungen Freunde an die Thür klopft, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/318>, abgerufen am 04.07.2024.