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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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(1810, Crenzer gewidmet) als begeisterter Kämpfer für Roms Hierarchie auf. Hier
wurden aus einer Mythentafel der alten Welt die Wege der Religion von ihrem
Ursprung in Indien bis zu ihrem Zielpunkt in Rom mit Linien anschaulich ge¬
gemacht. Als der eigentlich wissenschaftliche Vertreter dieser Theorie ist von jeher
Crenzer angesehen worden (geb. 1771, seit 180z Professor in Heidelberg, beson¬
ders durch Daub und Jung-Stilling). Auch er hatte aus dem Kreise der Ro¬
mantiker Anregungen empfangen, in Jena dnrch persönlichen Umgang mit Novalis,
später durch das Schlegel'sche Athenäum; bei vielfacher Zersplitterung seiner Studien
war seine philologische Bildung sporadisch und ungründlich geblieben. Die von
Osten ausgegangene Religion, so lehrte er, habe den Griechen durch einen höher
gebildeten Priesterstand im Gewände des Symbols und der Allegorie überliefert
werden müssen, weil zur unmittelbaren Auffassung der erhabenen Wahrheiten der
Bildungsgrad des noch rohen Volkes nicht hinreichte; die Aufgabe der Mythologie
sei nun, aus dieser Hülle den Kern zu lösen, den tiefern Sinn zu erkennen, der
unter jenen Fabeln verborgen sei. Dieses System wurde von ihm in verschie¬
denen Schriften und endlich in der Symbolik ausgeführt, die (1810--1812)
zu vier dicken Bänden anwuchs. Wer sich die oben angedeuteten Zustände des
damaligen Deutschlands zurückruft, und bedenkt, wie sehr den höheren Ständen
und der Geistlichkeit die Entdeckung erwünscht sein mußte, daß das Volk der Ur¬
zeit von Adel und Clerus regiert worden sei; wie schmeichelhaft für die Freimaurer¬
logen, ihr Ritual in den griechischen Mysterien wiederzufinden; wie wohlthuend
für die Frommen, die Parallelisirung des christlichen und heidnischen Mysticismus:
den kann es nicht Wunder nehmen, daß die Symbolik in weiten Kreisen Anklang
und Wiederhall, begeisterte Anhänger und Nachfolger fand. In der That war
ihr Erfolg ungeheuer; sie erlebte trotz ihres Umfangs die zweite Auflage, und
ihr Versasser wurde von der theologischen Facultät zu Heidelberg zum Doctor
creirt. Von den zahlreichen symbolischen Schriften, die damals die Messen
überschwemmten, genügt es, hier Schellings Geheimnisse von Samo-
thrake (181S) zu nennen: wie alle übrigen Bücher gleichen Schlages ein Ge¬
webe von nebelhaften Träumereien, die vor den Strahlen der Kritik in Nichts
zerfließen.

In dem allgemeinen Jubel war nur eine dissonircnde Stimme laut geworden,
die eines anonymen Recensenten in der Jenaer Allgemeinen Literaturzeitung, der
in drei Jahren hinter einander jeden neu erscheinenden Band von Kreuzers sym¬
bolischen Schriften mit eiuer sehr unwillkommenen Ausführlichkeit beleuchtete, Mit
der vollen Ruhe einer unendlichen Ueberlegenheit, die nur mehr und mehr in den
Ton der Ironie fiel, als der Zurechtgewiesene unverbesserlich "seine Nebelpfade
fortwanderte", ward hier erinnert, daß es ja großentheils uralter Aberwitz sei,
was hier als neue Lehre aufgetischt werde; denn schon im Alterthume hatte
frommer Unverstand geglaubt, Homer und seines Gleichen, die Göttern menschliche


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(1810, Crenzer gewidmet) als begeisterter Kämpfer für Roms Hierarchie auf. Hier
wurden aus einer Mythentafel der alten Welt die Wege der Religion von ihrem
Ursprung in Indien bis zu ihrem Zielpunkt in Rom mit Linien anschaulich ge¬
gemacht. Als der eigentlich wissenschaftliche Vertreter dieser Theorie ist von jeher
Crenzer angesehen worden (geb. 1771, seit 180z Professor in Heidelberg, beson¬
ders durch Daub und Jung-Stilling). Auch er hatte aus dem Kreise der Ro¬
mantiker Anregungen empfangen, in Jena dnrch persönlichen Umgang mit Novalis,
später durch das Schlegel'sche Athenäum; bei vielfacher Zersplitterung seiner Studien
war seine philologische Bildung sporadisch und ungründlich geblieben. Die von
Osten ausgegangene Religion, so lehrte er, habe den Griechen durch einen höher
gebildeten Priesterstand im Gewände des Symbols und der Allegorie überliefert
werden müssen, weil zur unmittelbaren Auffassung der erhabenen Wahrheiten der
Bildungsgrad des noch rohen Volkes nicht hinreichte; die Aufgabe der Mythologie
sei nun, aus dieser Hülle den Kern zu lösen, den tiefern Sinn zu erkennen, der
unter jenen Fabeln verborgen sei. Dieses System wurde von ihm in verschie¬
denen Schriften und endlich in der Symbolik ausgeführt, die (1810—1812)
zu vier dicken Bänden anwuchs. Wer sich die oben angedeuteten Zustände des
damaligen Deutschlands zurückruft, und bedenkt, wie sehr den höheren Ständen
und der Geistlichkeit die Entdeckung erwünscht sein mußte, daß das Volk der Ur¬
zeit von Adel und Clerus regiert worden sei; wie schmeichelhaft für die Freimaurer¬
logen, ihr Ritual in den griechischen Mysterien wiederzufinden; wie wohlthuend
für die Frommen, die Parallelisirung des christlichen und heidnischen Mysticismus:
den kann es nicht Wunder nehmen, daß die Symbolik in weiten Kreisen Anklang
und Wiederhall, begeisterte Anhänger und Nachfolger fand. In der That war
ihr Erfolg ungeheuer; sie erlebte trotz ihres Umfangs die zweite Auflage, und
ihr Versasser wurde von der theologischen Facultät zu Heidelberg zum Doctor
creirt. Von den zahlreichen symbolischen Schriften, die damals die Messen
überschwemmten, genügt es, hier Schellings Geheimnisse von Samo-
thrake (181S) zu nennen: wie alle übrigen Bücher gleichen Schlages ein Ge¬
webe von nebelhaften Träumereien, die vor den Strahlen der Kritik in Nichts
zerfließen.

In dem allgemeinen Jubel war nur eine dissonircnde Stimme laut geworden,
die eines anonymen Recensenten in der Jenaer Allgemeinen Literaturzeitung, der
in drei Jahren hinter einander jeden neu erscheinenden Band von Kreuzers sym¬
bolischen Schriften mit eiuer sehr unwillkommenen Ausführlichkeit beleuchtete, Mit
der vollen Ruhe einer unendlichen Ueberlegenheit, die nur mehr und mehr in den
Ton der Ironie fiel, als der Zurechtgewiesene unverbesserlich „seine Nebelpfade
fortwanderte", ward hier erinnert, daß es ja großentheils uralter Aberwitz sei,
was hier als neue Lehre aufgetischt werde; denn schon im Alterthume hatte
frommer Unverstand geglaubt, Homer und seines Gleichen, die Göttern menschliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/295>, abgerufen am 24.07.2024.