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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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der Rhythmus gleichgiltig aus den tragischen Maße" in Knittelverse, ans, den
Knittelversen in künstlich verschlungene lyrische Rhythmen über, Lucifer, der Ma¬
schinist des Stücks, ist der Goethe'sche Mephistopheles, mit seiner unerbittlichen
Kritik gegen alles Bestehende und seinem leeren, zweck- und gedankenlosen Trei¬
ben, nur daß er sich in abgeschmackte Unternehmungen einläßt, ans die unser
deutscher Mephistopheles nicht verfallen wäre. So versucht er in dem Prolog
umsonst, mit Hilfe seiner Luftgeister das Kreuz vom Thurme des Straßburger
Münsters herabzureißen. Die Rolle, die er im Stücke spielt, ist eigentlich eine
ziemlich undankbare. Er taucht zwar überall in den verschiedensten Verkleidungen
auf, bald als ein reisender Arzt, bald als ein Mönch, bald als ein Rechtsgelehr-
ter, aber überall ohne deutlichen Zweck und ohne Erfolg. Bei diesem zweckwidri¬
gen Thun nützt es dem Dichter Nichts, wenn er ihm zuletzt einen tragischen An¬
schein verleihen will, und mit etwas Milton'schen Reminiscenzen einen Engel sein
Verschwinden folgendermaßen schildern läßt: "Ueber dem Berge schwebt ein dunkler
gigantischer Schatten unter meinen Füßen, eine Finsterniß, die innerlich von lei¬
denschaftlicher Hitze strahlt, wie eine Stnrmwvlke, die mit Blitzen schwanger ist.
Und ein Schrei des Jammers, von allen Seiten wiederhalleud, tief und laut, als
wenn eine Wolke auf die andere schlüge, schwillt an und verrollt in der Ferne u. s. >P."
-- Wir lassen diesen "Sohn des Geheimnisses" bei Seite und gehen zu dem
eigentlichen Inhalte des Gedichts über. -- Zu den Zeiten des Walter von der
Vogelweide lebt ein Prinz, Heinrich von Hvheneck, der von einer schrecklichen
namenlosen Krankheit befallen ist. Kein Arzt versteht sie zu- Heilen. Endlich
schickt die Facultät von Salerno ein Gutachten: das einzige Mittel ist das Blut
aus den Adern eines Mädchens, die freiwillig ihr Leben für das Leben des
PrinZen giebt. -- Der Prinz sitzt in seinem Schlosse am Rhein und hält einen
langen lyrischen Monolog, in dem er seine Krankheit beschreibt, seine Abneigung,
zu sterben, ausspricht, und sich nach Ruhe sehnt. In diesem melancholischen Zu¬
stande findet ihn Lucifer, der im Gewände eines reisenden Arztes zu ihm eintritt
und ihm eine Flasche überreicht, die sein Leiden lindern soll. Vergebens warnt
ihn ein Engel mit den Tönen einer Aeolsharfe. Der Prinz trinkt, und sogleich
umschweben ihn goldene Visionen, duftige Nebel steigen auf und gestalten sich
zu schönen Landschaften vor seiner glücklichen Phantasie, er kommt, sich vor wie
ein glücklicher Liebender, der sein Leben mit Träumen verklärt, und sinkt gleich
darauf in Schlaf. -- Er hat süßen Branntwein getrunken. -- Mit seinem Ein¬
schlafen fällt der Vorhang, nud es wird uns nachher in Knittelversen erzählt, was
die Mönche, die ihn für todt gehalten haben, mit ihm für HocnSpocus treiben.
Endlich erholt er sich in der Hütte eines seiner Pächter.

Dort lebt er vorläufig in melancholischer Zurückgezogenheit, schmilzt Bogen
und Pfeile für die Kinder, und lehrt die Mädchen geistliche Lieder. Eine von
diesen, Elsie, ein Gemüths welches ganz von der Idee der Aufopferung durch-


der Rhythmus gleichgiltig aus den tragischen Maße» in Knittelverse, ans, den
Knittelversen in künstlich verschlungene lyrische Rhythmen über, Lucifer, der Ma¬
schinist des Stücks, ist der Goethe'sche Mephistopheles, mit seiner unerbittlichen
Kritik gegen alles Bestehende und seinem leeren, zweck- und gedankenlosen Trei¬
ben, nur daß er sich in abgeschmackte Unternehmungen einläßt, ans die unser
deutscher Mephistopheles nicht verfallen wäre. So versucht er in dem Prolog
umsonst, mit Hilfe seiner Luftgeister das Kreuz vom Thurme des Straßburger
Münsters herabzureißen. Die Rolle, die er im Stücke spielt, ist eigentlich eine
ziemlich undankbare. Er taucht zwar überall in den verschiedensten Verkleidungen
auf, bald als ein reisender Arzt, bald als ein Mönch, bald als ein Rechtsgelehr-
ter, aber überall ohne deutlichen Zweck und ohne Erfolg. Bei diesem zweckwidri¬
gen Thun nützt es dem Dichter Nichts, wenn er ihm zuletzt einen tragischen An¬
schein verleihen will, und mit etwas Milton'schen Reminiscenzen einen Engel sein
Verschwinden folgendermaßen schildern läßt: „Ueber dem Berge schwebt ein dunkler
gigantischer Schatten unter meinen Füßen, eine Finsterniß, die innerlich von lei¬
denschaftlicher Hitze strahlt, wie eine Stnrmwvlke, die mit Blitzen schwanger ist.
Und ein Schrei des Jammers, von allen Seiten wiederhalleud, tief und laut, als
wenn eine Wolke auf die andere schlüge, schwillt an und verrollt in der Ferne u. s. >P."
— Wir lassen diesen „Sohn des Geheimnisses" bei Seite und gehen zu dem
eigentlichen Inhalte des Gedichts über. — Zu den Zeiten des Walter von der
Vogelweide lebt ein Prinz, Heinrich von Hvheneck, der von einer schrecklichen
namenlosen Krankheit befallen ist. Kein Arzt versteht sie zu- Heilen. Endlich
schickt die Facultät von Salerno ein Gutachten: das einzige Mittel ist das Blut
aus den Adern eines Mädchens, die freiwillig ihr Leben für das Leben des
PrinZen giebt. — Der Prinz sitzt in seinem Schlosse am Rhein und hält einen
langen lyrischen Monolog, in dem er seine Krankheit beschreibt, seine Abneigung,
zu sterben, ausspricht, und sich nach Ruhe sehnt. In diesem melancholischen Zu¬
stande findet ihn Lucifer, der im Gewände eines reisenden Arztes zu ihm eintritt
und ihm eine Flasche überreicht, die sein Leiden lindern soll. Vergebens warnt
ihn ein Engel mit den Tönen einer Aeolsharfe. Der Prinz trinkt, und sogleich
umschweben ihn goldene Visionen, duftige Nebel steigen auf und gestalten sich
zu schönen Landschaften vor seiner glücklichen Phantasie, er kommt, sich vor wie
ein glücklicher Liebender, der sein Leben mit Träumen verklärt, und sinkt gleich
darauf in Schlaf. — Er hat süßen Branntwein getrunken. — Mit seinem Ein¬
schlafen fällt der Vorhang, nud es wird uns nachher in Knittelversen erzählt, was
die Mönche, die ihn für todt gehalten haben, mit ihm für HocnSpocus treiben.
Endlich erholt er sich in der Hütte eines seiner Pächter.

Dort lebt er vorläufig in melancholischer Zurückgezogenheit, schmilzt Bogen
und Pfeile für die Kinder, und lehrt die Mädchen geistliche Lieder. Eine von
diesen, Elsie, ein Gemüths welches ganz von der Idee der Aufopferung durch-


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[0278] der Rhythmus gleichgiltig aus den tragischen Maße» in Knittelverse, ans, den Knittelversen in künstlich verschlungene lyrische Rhythmen über, Lucifer, der Ma¬ schinist des Stücks, ist der Goethe'sche Mephistopheles, mit seiner unerbittlichen Kritik gegen alles Bestehende und seinem leeren, zweck- und gedankenlosen Trei¬ ben, nur daß er sich in abgeschmackte Unternehmungen einläßt, ans die unser deutscher Mephistopheles nicht verfallen wäre. So versucht er in dem Prolog umsonst, mit Hilfe seiner Luftgeister das Kreuz vom Thurme des Straßburger Münsters herabzureißen. Die Rolle, die er im Stücke spielt, ist eigentlich eine ziemlich undankbare. Er taucht zwar überall in den verschiedensten Verkleidungen auf, bald als ein reisender Arzt, bald als ein Mönch, bald als ein Rechtsgelehr- ter, aber überall ohne deutlichen Zweck und ohne Erfolg. Bei diesem zweckwidri¬ gen Thun nützt es dem Dichter Nichts, wenn er ihm zuletzt einen tragischen An¬ schein verleihen will, und mit etwas Milton'schen Reminiscenzen einen Engel sein Verschwinden folgendermaßen schildern läßt: „Ueber dem Berge schwebt ein dunkler gigantischer Schatten unter meinen Füßen, eine Finsterniß, die innerlich von lei¬ denschaftlicher Hitze strahlt, wie eine Stnrmwvlke, die mit Blitzen schwanger ist. Und ein Schrei des Jammers, von allen Seiten wiederhalleud, tief und laut, als wenn eine Wolke auf die andere schlüge, schwillt an und verrollt in der Ferne u. s. >P." — Wir lassen diesen „Sohn des Geheimnisses" bei Seite und gehen zu dem eigentlichen Inhalte des Gedichts über. — Zu den Zeiten des Walter von der Vogelweide lebt ein Prinz, Heinrich von Hvheneck, der von einer schrecklichen namenlosen Krankheit befallen ist. Kein Arzt versteht sie zu- Heilen. Endlich schickt die Facultät von Salerno ein Gutachten: das einzige Mittel ist das Blut aus den Adern eines Mädchens, die freiwillig ihr Leben für das Leben des PrinZen giebt. — Der Prinz sitzt in seinem Schlosse am Rhein und hält einen langen lyrischen Monolog, in dem er seine Krankheit beschreibt, seine Abneigung, zu sterben, ausspricht, und sich nach Ruhe sehnt. In diesem melancholischen Zu¬ stande findet ihn Lucifer, der im Gewände eines reisenden Arztes zu ihm eintritt und ihm eine Flasche überreicht, die sein Leiden lindern soll. Vergebens warnt ihn ein Engel mit den Tönen einer Aeolsharfe. Der Prinz trinkt, und sogleich umschweben ihn goldene Visionen, duftige Nebel steigen auf und gestalten sich zu schönen Landschaften vor seiner glücklichen Phantasie, er kommt, sich vor wie ein glücklicher Liebender, der sein Leben mit Träumen verklärt, und sinkt gleich darauf in Schlaf. — Er hat süßen Branntwein getrunken. — Mit seinem Ein¬ schlafen fällt der Vorhang, nud es wird uns nachher in Knittelversen erzählt, was die Mönche, die ihn für todt gehalten haben, mit ihm für HocnSpocus treiben. Endlich erholt er sich in der Hütte eines seiner Pächter. Dort lebt er vorläufig in melancholischer Zurückgezogenheit, schmilzt Bogen und Pfeile für die Kinder, und lehrt die Mädchen geistliche Lieder. Eine von diesen, Elsie, ein Gemüths welches ganz von der Idee der Aufopferung durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/278>, abgerufen am 24.07.2024.