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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Schluß nur dieser sein, daß das Melodrama die einzige denkbare Art dramatischer
Musik sei. Blicken wir aus den Grund unsres Herzens, so ist die Ursache alles
Experimentirens nur ein gewisser Neid auf die von unsren Vorfahren geschaffenen
Schönheiten, die uns nachzubilden trotz aller kühnen Theoreme nicht gelingen
wollen.

Es scheint uns aber wirklich an der Zeit, einen Nothruf zu erheben
gegen die jetzt eingerissene Experimentensucht, gegen das geflissentliche Vernach¬
lässigen des Schönen und Einfachen in der Kunst. Man soll nicht mit ästhetischen
Wahrheiten Ball spielen, und es dann dem Ungefähr überlassen, ob der Wurf
gelingt, oder ob der Ball für ewig in einem tiefen Graben untersinkt. --

Genovefa ist also als Musterbild der nachfolgenden größeren Gesangswerke
Schumann's anzusehen. Das umfangreichste von ihnen, "Der Rose Pilger¬
fahrt", wurde das erste Mal in dem Concert der Singakademie aufgeführt, und
in der von Schumann und seiner Gattin veranstalteten Matinee wiederholt. Der
Text, von Moritz Horn mit offenbarer Anlehnung an Moore ausgearbeitet, ent¬
hält die Verwandlung einer Rose in ein Mädchen und ihre nachträglichen Schick¬
sale bis zu ihrem frühen Tod. Es ist der reine Lavendelduft ohne Form und
Gestalt, und macht den süßlich weinerlichen Eindruck, den die Blumen- und
Arabeskenpoesie unsrer modernen fashionablen Damenlyrikcr in Maroquin mit
Goldschnitt nie verfehlen wird. Wie ein Komponist sich an diesem Castraten-
wesen begeistern kann, ist uns unbegreiflich. Freilich! der Dichter wartet in
diesem Ragout mit jeder Sorte Salonpoeste ans. Es giebt Frühlings¬
gesänge, Elfcnchöre, Grabeslieder, Gebete, Müllerlieder, Waldesluft, Ständ¬
chen, Trauungsgesänge, abgerechnet die kurzen lyrischen Ergüsse der einzeln
auftretenden Personen und die kurzen zum Verständniß nöthigen erzählenden
Verse, die, wie in der Perl, meistens in den Part des Tenors' hinein-
geschrieben sind. Die Sprache in den Versen ist geläufig, kurz genug für die
musikalische Bearbeitung. Es ist begreiflich, daß die Mattigkeit der Heldin und
die kleinen, spießbürgerlichen Begebnisse anch in der Komposition sich wieder ab¬
spiegeln. Wir anerkennen gern, daß wir manchem schönen und tiefempfundenen
Stücke in der Komposition begegnet sind, aber Schumann's Muse schreitet zu
ernst und bedeutsam einher, fast wie mit gefesselten Füßen; es gelingt ihr nicht
mehr, mit dem Mühlbache zu plaudern, mit den Vögeln des Waldes zu wett¬
eifern, oder die harmlose Unschuld harmlos zu zeichnen. Darum erscheint uns
auch der ernste Tranerchor des ersten Theils als das gelungenste und wahrste Stück
des Ganzen, und wenn uus auch die Abwechselung des zweiten Theils im All¬
gemeinen erfreute, und die Elfeuchvre im ersten Theile dnrch ihre eigenthümliche
Färbung uns interesstrten, so geschah dies weniger ans musikalischen Gründen,
als aus einem gewissen innern Behagen, von Zeit zu Zeit aus eiuer strengen
Gleichförmigkeit erlöst zu sein. Nach dein vou ihm angenommenen Gesetze hat


Grenzboten. II. I8ö2. ?3

Schluß nur dieser sein, daß das Melodrama die einzige denkbare Art dramatischer
Musik sei. Blicken wir aus den Grund unsres Herzens, so ist die Ursache alles
Experimentirens nur ein gewisser Neid auf die von unsren Vorfahren geschaffenen
Schönheiten, die uns nachzubilden trotz aller kühnen Theoreme nicht gelingen
wollen.

Es scheint uns aber wirklich an der Zeit, einen Nothruf zu erheben
gegen die jetzt eingerissene Experimentensucht, gegen das geflissentliche Vernach¬
lässigen des Schönen und Einfachen in der Kunst. Man soll nicht mit ästhetischen
Wahrheiten Ball spielen, und es dann dem Ungefähr überlassen, ob der Wurf
gelingt, oder ob der Ball für ewig in einem tiefen Graben untersinkt. —

Genovefa ist also als Musterbild der nachfolgenden größeren Gesangswerke
Schumann's anzusehen. Das umfangreichste von ihnen, „Der Rose Pilger¬
fahrt", wurde das erste Mal in dem Concert der Singakademie aufgeführt, und
in der von Schumann und seiner Gattin veranstalteten Matinee wiederholt. Der
Text, von Moritz Horn mit offenbarer Anlehnung an Moore ausgearbeitet, ent¬
hält die Verwandlung einer Rose in ein Mädchen und ihre nachträglichen Schick¬
sale bis zu ihrem frühen Tod. Es ist der reine Lavendelduft ohne Form und
Gestalt, und macht den süßlich weinerlichen Eindruck, den die Blumen- und
Arabeskenpoesie unsrer modernen fashionablen Damenlyrikcr in Maroquin mit
Goldschnitt nie verfehlen wird. Wie ein Komponist sich an diesem Castraten-
wesen begeistern kann, ist uns unbegreiflich. Freilich! der Dichter wartet in
diesem Ragout mit jeder Sorte Salonpoeste ans. Es giebt Frühlings¬
gesänge, Elfcnchöre, Grabeslieder, Gebete, Müllerlieder, Waldesluft, Ständ¬
chen, Trauungsgesänge, abgerechnet die kurzen lyrischen Ergüsse der einzeln
auftretenden Personen und die kurzen zum Verständniß nöthigen erzählenden
Verse, die, wie in der Perl, meistens in den Part des Tenors' hinein-
geschrieben sind. Die Sprache in den Versen ist geläufig, kurz genug für die
musikalische Bearbeitung. Es ist begreiflich, daß die Mattigkeit der Heldin und
die kleinen, spießbürgerlichen Begebnisse anch in der Komposition sich wieder ab¬
spiegeln. Wir anerkennen gern, daß wir manchem schönen und tiefempfundenen
Stücke in der Komposition begegnet sind, aber Schumann's Muse schreitet zu
ernst und bedeutsam einher, fast wie mit gefesselten Füßen; es gelingt ihr nicht
mehr, mit dem Mühlbache zu plaudern, mit den Vögeln des Waldes zu wett¬
eifern, oder die harmlose Unschuld harmlos zu zeichnen. Darum erscheint uns
auch der ernste Tranerchor des ersten Theils als das gelungenste und wahrste Stück
des Ganzen, und wenn uus auch die Abwechselung des zweiten Theils im All¬
gemeinen erfreute, und die Elfeuchvre im ersten Theile dnrch ihre eigenthümliche
Färbung uns interesstrten, so geschah dies weniger ans musikalischen Gründen,
als aus einem gewissen innern Behagen, von Zeit zu Zeit aus eiuer strengen
Gleichförmigkeit erlöst zu sein. Nach dein vou ihm angenommenen Gesetze hat


Grenzboten. II. I8ö2. ?3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/267>, abgerufen am 24.07.2024.