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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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abgespannt und gelangweilt. Er ist nicht unbefangen, sondern in einer bestän¬
digen Angst; seine Tollheit ist von einem nüchternen Katzenjammer nicht nur be¬
gleitet, sondern stets unzertrennlich damit verbunden. Die Einfälle sprudeln uicht
unerwartet mit lebendiger Frische hervor, sondern sie werden mit einer unerträg¬
lichen Breite ausgeführt und wiederholen sich beständig; man kann nicht darüber
lachen, denn für den Spaß sind sie zu trocken, man findet aber auch keinen Grund,
mit dem Helden darüber zu rechten, denn dazu sind sie wieder zu luftig und zu un¬
bestimmt. Münchhausen ist keine concrete Gestalt, sondern eine Abstraction, und
als solche poetisch nicht darstellbar. Aber auch die anderen häßlichen Personen,
die weniger Universalität beanspruchen, sind eben so trübselig und langweilig.
Ihren Starrheiten fehlt jener verklärende Sonnenglanz, in dem wir anch das
Unsinnige mit Heiterkeit hinnehmen. Um zu verstehen, was wir meinen, vergleiche
man z. B. den Karl Buttervogel mit seinem Vorbild Sancho Pansa, oder mit
irgend einer Figur vou Dickens, z. B. mit Sviveller. Der nämliche Mangel
an Humor und Plastik machtauch die satyrischen Anspielungen auf gleichzeitige
literarische und politische Erscheinungen ungenießbar, obgleich einzelne Einfälle
der Anlage nach ganz vortrefflich sind. Ueberhaupt kann man nicht sagen, daß
dieses ganze satyrische Gemälde ohne Geist und Verstand ist, aber es ist ohne
Poesie, und das ist schlimmer.

Desto verdienter ist das Lob, welches man der andern Partie des Romans
wol ziemlich allgemein hat zu Theil werden lassen. Die idyllische Zeichnung des
westphälischen Hofschnlzen ist ein Meisterstück und zeigt, was Immermann hätte
leisten können, wenn er sich ans seinen ewigen unfruchtbaren literarischen Bezie¬
hungen hätte losreißen und zur unbefangenen Beobachtung der Natur und des
Menschenlebens wenden wollen. Der Hofschulze ist ein Resultat aus bestimmten
Anschauungen, an denen Immermann Frende gehabt, und die ihn befähigt
haben, ein Ideal zu gestalten. Denn ein wirkliches, poetisch ausgeführtes Ideal
ist es, nicht blos eine Handzeichnung nach der Natur: in jedem Zuge Leben und
Bewegung, überall die gleiche Consistenz und Uebereinstimmung, die nicht blos auf
künstlicher Reflexion beruht. Diese Verbindung von scharfem Verstand und wil¬
dem Aberglauben, von humoristischer Drolligkeit und von tragischer Energie, von
gesundem Gefühl und von starrer Befangenheit in Vorurtheilen, ist eine Kom¬
position, die man nicht genug rühmen kann und die man dreist den größten Cha¬
rakterbildern an die Seite stellen darf, die je ein deutscher Dichter erfunden hat.
Leider verfällt Immermann zum Schluß in den Fehler, der die meisten seiner
Compositionen charakterisirt. Als die romantische Illusion des Vehmgerichts durch
die Einmischung der prosaischen Polizei aufgehoben wird, legt er seinem Helden
Reflexionen über dieses Institut in den Mund, die an sich sehr richtig, scharfsinnig
und weise sind, die aber 'dem Charakter widersprechen. Ein Mann, der so klar
und verständig über die historische Bedeutung und das Wesen dieser unter mysti-


abgespannt und gelangweilt. Er ist nicht unbefangen, sondern in einer bestän¬
digen Angst; seine Tollheit ist von einem nüchternen Katzenjammer nicht nur be¬
gleitet, sondern stets unzertrennlich damit verbunden. Die Einfälle sprudeln uicht
unerwartet mit lebendiger Frische hervor, sondern sie werden mit einer unerträg¬
lichen Breite ausgeführt und wiederholen sich beständig; man kann nicht darüber
lachen, denn für den Spaß sind sie zu trocken, man findet aber auch keinen Grund,
mit dem Helden darüber zu rechten, denn dazu sind sie wieder zu luftig und zu un¬
bestimmt. Münchhausen ist keine concrete Gestalt, sondern eine Abstraction, und
als solche poetisch nicht darstellbar. Aber auch die anderen häßlichen Personen,
die weniger Universalität beanspruchen, sind eben so trübselig und langweilig.
Ihren Starrheiten fehlt jener verklärende Sonnenglanz, in dem wir anch das
Unsinnige mit Heiterkeit hinnehmen. Um zu verstehen, was wir meinen, vergleiche
man z. B. den Karl Buttervogel mit seinem Vorbild Sancho Pansa, oder mit
irgend einer Figur vou Dickens, z. B. mit Sviveller. Der nämliche Mangel
an Humor und Plastik machtauch die satyrischen Anspielungen auf gleichzeitige
literarische und politische Erscheinungen ungenießbar, obgleich einzelne Einfälle
der Anlage nach ganz vortrefflich sind. Ueberhaupt kann man nicht sagen, daß
dieses ganze satyrische Gemälde ohne Geist und Verstand ist, aber es ist ohne
Poesie, und das ist schlimmer.

Desto verdienter ist das Lob, welches man der andern Partie des Romans
wol ziemlich allgemein hat zu Theil werden lassen. Die idyllische Zeichnung des
westphälischen Hofschnlzen ist ein Meisterstück und zeigt, was Immermann hätte
leisten können, wenn er sich ans seinen ewigen unfruchtbaren literarischen Bezie¬
hungen hätte losreißen und zur unbefangenen Beobachtung der Natur und des
Menschenlebens wenden wollen. Der Hofschulze ist ein Resultat aus bestimmten
Anschauungen, an denen Immermann Frende gehabt, und die ihn befähigt
haben, ein Ideal zu gestalten. Denn ein wirkliches, poetisch ausgeführtes Ideal
ist es, nicht blos eine Handzeichnung nach der Natur: in jedem Zuge Leben und
Bewegung, überall die gleiche Consistenz und Uebereinstimmung, die nicht blos auf
künstlicher Reflexion beruht. Diese Verbindung von scharfem Verstand und wil¬
dem Aberglauben, von humoristischer Drolligkeit und von tragischer Energie, von
gesundem Gefühl und von starrer Befangenheit in Vorurtheilen, ist eine Kom¬
position, die man nicht genug rühmen kann und die man dreist den größten Cha¬
rakterbildern an die Seite stellen darf, die je ein deutscher Dichter erfunden hat.
Leider verfällt Immermann zum Schluß in den Fehler, der die meisten seiner
Compositionen charakterisirt. Als die romantische Illusion des Vehmgerichts durch
die Einmischung der prosaischen Polizei aufgehoben wird, legt er seinem Helden
Reflexionen über dieses Institut in den Mund, die an sich sehr richtig, scharfsinnig
und weise sind, die aber 'dem Charakter widersprechen. Ein Mann, der so klar
und verständig über die historische Bedeutung und das Wesen dieser unter mysti-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/224>, abgerufen am 24.07.2024.