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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Hofer selbst weiß nicht, was er eigentlich will, und wir wissen es auch nicht,
obgleich ein Cherub persönlich auftritt, um ihm das bereits weggeworfene Schwert
des Volksanfstandes wieder zu übergeben. Börne hat in seiner vortrefflichen
Recension ganz richtig herausgefunden, daß eigentlich die ehrgeizigen Pfaffen die
Maschinisten des Stücks sind, daß mir sie sich ihre Absichten und Zwecke klar
gemacht haben. Sonderbarer Weise wirkte aber diese Kritik so auf den Dichter
ein, daß er bei der spätern Ausgabe des, ^Drama's, -1833, in welcher viele ein¬
zelne Uebelstände beseitigt sind, gerade dieses ironische Moment noch verstärkte.
Er läßt uns nämlich hinter, die Coulissen des Wiener Cabinets blicken, und wir
erkennen da jenen jesuitischen Geist, der die edelste Aufopferung der Menschen
zu kleinlichen Mitteln herabsetzt. So vollkommen das in der Geschichte begrün¬
det sein mag, und so viel klarer es uns den Sinn der Handlung erscheinen läßt,
so hebt es doch alle tragische Wirkung auf, denn mit einem Volke, welches
sich von seinen Großen am Narrenseile herumziehen läßt, können wir wol noch
Mitleid haben; allein wir können nicht mehr dafür warm werden, und so macht
seine Aufopferung einen widerwärtigen Eindruck. Es hätte um noch gefehlt,
daß Immermann auch die positive Seite dieser Machiavellistischen Politik ins
Auge gefaßt und sich in ein gewisses historisches Interesse dafür hineimeflectirt
hätte. Wenn man die neueren Dramen erwägt, ,in denen Ludwig XI., Richelieu
und ähnliche Verstandcspolitiker zu Helden der Handlung gemacht werden, und
das anerkennende Urtheil, welches nachträglich die Weltgeschichte über ihre Thä¬
tigkeit gefällt hat, für ihre wirkliche Erscheinung anticipirt wird, so muß man
einsehen, daß dieser Abweg nicht allzu sern lag.

Die nämlichen Betrachtungen lassen sich an die letzte historische Tragödie
Immermann's anknüpfen, die von allen seinen dramatischen Werken das bedeu¬
tendste ist: Alexis (1832). Die Geschichte des Don Carlos ist hier nach
Rußland verlegt, aber unsre Theilnahme wird nicht mehr für den leidenden
Sohn, sondern für den erzürnten Vater in Anspruch genommen. Es liegt in
dieser Wendung ein Irrthum über das Verhältniß des dramatischen Eindrucks
zum historischen Eindruck, der sehr charakteristisch für unsre neuere Dichtung ist.
Wir alle wissen bereits aus der Schule, daß Czar Peter ein großer Mann war,
und daß die barbarische Art und Weise, in welcher er seine großen Entwürfe
ins Werk setzte, uns in der Bewunderung seiner gigantischen Thätigkeit nicht
stören darf. Wenn er eine größere Freude am Kopfabschlagen hatte, als unsrer
Humanität bequem ist, und wenn er bis in'seine Späße herunter den willkür¬
lichen russischen Herrscher nicht verläugnen konnte, so verschwinden diese kleinen
Uebelstände, wenn wir seine kolossale Gestalt aus der historischen Perspective
betrachten. In dem engen Rahmen eines Drama's ist es aber nicht möglich.
Was vor unsren Augen vorgeht, beurtheilen wir nach den uns einwohnenden
sittlichen Gesetzen, und die Erinnerung, daß der Held, der vor unsren Augen


Hofer selbst weiß nicht, was er eigentlich will, und wir wissen es auch nicht,
obgleich ein Cherub persönlich auftritt, um ihm das bereits weggeworfene Schwert
des Volksanfstandes wieder zu übergeben. Börne hat in seiner vortrefflichen
Recension ganz richtig herausgefunden, daß eigentlich die ehrgeizigen Pfaffen die
Maschinisten des Stücks sind, daß mir sie sich ihre Absichten und Zwecke klar
gemacht haben. Sonderbarer Weise wirkte aber diese Kritik so auf den Dichter
ein, daß er bei der spätern Ausgabe des, ^Drama's, -1833, in welcher viele ein¬
zelne Uebelstände beseitigt sind, gerade dieses ironische Moment noch verstärkte.
Er läßt uns nämlich hinter, die Coulissen des Wiener Cabinets blicken, und wir
erkennen da jenen jesuitischen Geist, der die edelste Aufopferung der Menschen
zu kleinlichen Mitteln herabsetzt. So vollkommen das in der Geschichte begrün¬
det sein mag, und so viel klarer es uns den Sinn der Handlung erscheinen läßt,
so hebt es doch alle tragische Wirkung auf, denn mit einem Volke, welches
sich von seinen Großen am Narrenseile herumziehen läßt, können wir wol noch
Mitleid haben; allein wir können nicht mehr dafür warm werden, und so macht
seine Aufopferung einen widerwärtigen Eindruck. Es hätte um noch gefehlt,
daß Immermann auch die positive Seite dieser Machiavellistischen Politik ins
Auge gefaßt und sich in ein gewisses historisches Interesse dafür hineimeflectirt
hätte. Wenn man die neueren Dramen erwägt, ,in denen Ludwig XI., Richelieu
und ähnliche Verstandcspolitiker zu Helden der Handlung gemacht werden, und
das anerkennende Urtheil, welches nachträglich die Weltgeschichte über ihre Thä¬
tigkeit gefällt hat, für ihre wirkliche Erscheinung anticipirt wird, so muß man
einsehen, daß dieser Abweg nicht allzu sern lag.

Die nämlichen Betrachtungen lassen sich an die letzte historische Tragödie
Immermann's anknüpfen, die von allen seinen dramatischen Werken das bedeu¬
tendste ist: Alexis (1832). Die Geschichte des Don Carlos ist hier nach
Rußland verlegt, aber unsre Theilnahme wird nicht mehr für den leidenden
Sohn, sondern für den erzürnten Vater in Anspruch genommen. Es liegt in
dieser Wendung ein Irrthum über das Verhältniß des dramatischen Eindrucks
zum historischen Eindruck, der sehr charakteristisch für unsre neuere Dichtung ist.
Wir alle wissen bereits aus der Schule, daß Czar Peter ein großer Mann war,
und daß die barbarische Art und Weise, in welcher er seine großen Entwürfe
ins Werk setzte, uns in der Bewunderung seiner gigantischen Thätigkeit nicht
stören darf. Wenn er eine größere Freude am Kopfabschlagen hatte, als unsrer
Humanität bequem ist, und wenn er bis in'seine Späße herunter den willkür¬
lichen russischen Herrscher nicht verläugnen konnte, so verschwinden diese kleinen
Uebelstände, wenn wir seine kolossale Gestalt aus der historischen Perspective
betrachten. In dem engen Rahmen eines Drama's ist es aber nicht möglich.
Was vor unsren Augen vorgeht, beurtheilen wir nach den uns einwohnenden
sittlichen Gesetzen, und die Erinnerung, daß der Held, der vor unsren Augen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/218>, abgerufen am 24.07.2024.