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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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lichen Korporationen fordert, so wie die Aufhebung der Prärogativen, die der
natürlichen Entwickelung zuwider sind, dürfte ihm um so weniger zu verargen sein,
da er diese Aufhebung nicht ohne Entschädigung beansprucht, für den Fall, daß
berechtigte Individuen vorhanden sind. Berechtigte Begriffe als Träger von
Prärogativen erkennt er allerdings nicht an, und steht darin mit den rechtlichen
Vorstellungen der Reformation ans gleichem Boden.

Viertens. ,,Die Revolution fordert die Trennung von Staat und
Kirche." -- Wer fordert das nicht? Oder vielmehr, wo ist diese Trennung nicht
schon vorhanden? Die Einheit der Kirche und des Staats ist mir in dem Falle
denkbar, daß die Kirche selbst eine Einheit ist- Der preußische Staat aber ist
z. B. in der Lage, es mit zwei gleichberechtigten Kirchen zu thun zu haben, von
denen das Princip der einen die andere ausschließt. Er mag also wollen oder
nicht, er muß sich in seiner Stellung zu diesen Kirchen durch Motive bestimmen
lassen, die nicht den kirchlichen Begriffen, sondern seinem eigenen Princip ent¬
nommen sind, ganz einerlei, ob die Kirche schon vor ihm vorhanden war oder,
nicht. Was Sie weiter über die Irreligiosität der Revolution sagen, gehört mehr
Ihrem christlichen Eifer, als der ruhigen Ueberlegung an. Sie finden in dem
Christenthum die einzige Kraft, welche die Revolution zu bändigen im Stande
sei, aber Sie geben nicht den entferntesten Fingerzeig, auf welche Weise das
Christenthum diese Aufgabe lösen soll. Die Geschichte widerspricht Ihnen.
Das Christenthum hat überall, wo es in seiner Kraft und Herrlichkeit auftrat,
nicht ein staatenbildendes, nicht ein conservatives, sondern ein revolutionäres
Princip entwickelt. Es hat dies im alten Rom, im Papstthum, in der Refor¬
mation, im Jesuitismus gezeigt. Wie heilbringend diese revolutionäre Ein¬
wirkung für das Gedeihen der Menschheit war, darauf kommt es hier nicht an,
jedenfalls war sie revolutionairer Natur. Auch der Liberalismus ist an sich
kein staatenbildendes Princip und behauptet auch nicht, es zu sein; seine Wirksam¬
keit ist eine vorzugsweise kritische. Aber Kritik ist eben so wenig ein negativer
Begriff wie Revolution. Die Kritik des Liberalismus wirkt zerstörend gegen den
Aberglauben, aber nicht zerstörend gegen den Staat, der ihr vielmehr als die
höchste Aeußerung und Entfaltung der menschlichen Kraft für diese irdischen Ver¬
hältnisse das Höchste ist, und von dessen geordnetem Fortbestehen ihre eigene Mög¬
lichkeit abhängt.

Fünftens. "Die Revolution fordert die Charte, d. h. die Vernichtung
der ganzen naturwüchsigen geschichtlichen Verfassung des Laudes, wie sie durch
Jahrhunderte sich gebildet, durch Herkommen und einzelne Gesetze, um eine neue
zu macheu in einem Acte, in einer Urkunde, so daß kein Recht mehr gilt, als das
in dieser Urkunde steht, und weil es in ihr steht." -- Eine solche Absurdität ist
mir einzelnen Fanatikern in ihrem Fiebertraum eingefallen. So weitläufig anch
die Verfassungen waren, so hat doch noch niemals ein gesetzgebender Körper den


lichen Korporationen fordert, so wie die Aufhebung der Prärogativen, die der
natürlichen Entwickelung zuwider sind, dürfte ihm um so weniger zu verargen sein,
da er diese Aufhebung nicht ohne Entschädigung beansprucht, für den Fall, daß
berechtigte Individuen vorhanden sind. Berechtigte Begriffe als Träger von
Prärogativen erkennt er allerdings nicht an, und steht darin mit den rechtlichen
Vorstellungen der Reformation ans gleichem Boden.

Viertens. ,,Die Revolution fordert die Trennung von Staat und
Kirche." — Wer fordert das nicht? Oder vielmehr, wo ist diese Trennung nicht
schon vorhanden? Die Einheit der Kirche und des Staats ist mir in dem Falle
denkbar, daß die Kirche selbst eine Einheit ist- Der preußische Staat aber ist
z. B. in der Lage, es mit zwei gleichberechtigten Kirchen zu thun zu haben, von
denen das Princip der einen die andere ausschließt. Er mag also wollen oder
nicht, er muß sich in seiner Stellung zu diesen Kirchen durch Motive bestimmen
lassen, die nicht den kirchlichen Begriffen, sondern seinem eigenen Princip ent¬
nommen sind, ganz einerlei, ob die Kirche schon vor ihm vorhanden war oder,
nicht. Was Sie weiter über die Irreligiosität der Revolution sagen, gehört mehr
Ihrem christlichen Eifer, als der ruhigen Ueberlegung an. Sie finden in dem
Christenthum die einzige Kraft, welche die Revolution zu bändigen im Stande
sei, aber Sie geben nicht den entferntesten Fingerzeig, auf welche Weise das
Christenthum diese Aufgabe lösen soll. Die Geschichte widerspricht Ihnen.
Das Christenthum hat überall, wo es in seiner Kraft und Herrlichkeit auftrat,
nicht ein staatenbildendes, nicht ein conservatives, sondern ein revolutionäres
Princip entwickelt. Es hat dies im alten Rom, im Papstthum, in der Refor¬
mation, im Jesuitismus gezeigt. Wie heilbringend diese revolutionäre Ein¬
wirkung für das Gedeihen der Menschheit war, darauf kommt es hier nicht an,
jedenfalls war sie revolutionairer Natur. Auch der Liberalismus ist an sich
kein staatenbildendes Princip und behauptet auch nicht, es zu sein; seine Wirksam¬
keit ist eine vorzugsweise kritische. Aber Kritik ist eben so wenig ein negativer
Begriff wie Revolution. Die Kritik des Liberalismus wirkt zerstörend gegen den
Aberglauben, aber nicht zerstörend gegen den Staat, der ihr vielmehr als die
höchste Aeußerung und Entfaltung der menschlichen Kraft für diese irdischen Ver¬
hältnisse das Höchste ist, und von dessen geordnetem Fortbestehen ihre eigene Mög¬
lichkeit abhängt.

Fünftens. „Die Revolution fordert die Charte, d. h. die Vernichtung
der ganzen naturwüchsigen geschichtlichen Verfassung des Laudes, wie sie durch
Jahrhunderte sich gebildet, durch Herkommen und einzelne Gesetze, um eine neue
zu macheu in einem Acte, in einer Urkunde, so daß kein Recht mehr gilt, als das
in dieser Urkunde steht, und weil es in ihr steht." — Eine solche Absurdität ist
mir einzelnen Fanatikern in ihrem Fiebertraum eingefallen. So weitläufig anch
die Verfassungen waren, so hat doch noch niemals ein gesetzgebender Körper den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/136>, abgerufen am 18.06.2024.