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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Schaffung der'Todesstrafe, Straflosigkeit der Gotteslästerung , ehrenvolles Be-
gräbniß des Selbstmörders." -- Wie das Alles unter sich zusammenhängt, ver¬
stehe ich nicht recht, noch weniger, wie Sie später alle diese Punkte als Gegensatz
gegen das Christenthum aufstellen können. Denn mit den civilrechtlichen Be-
stimmungen, die Sie zuerst anführen, hat sich das Christenthum überhaupt nie
zu thun gemacht, und was jene Auffassung des Strafrechts betrifft, daß es nur
ausgeübt werde, um den biblischen Spruch: Auge um Auge, Zahn um Zahn,
zu erfüllen, so scheint mir diese äußerliche Auffassung des Gesetzes mehr jüdisch
als christlich, da das Christenthum die Strenge des Gesetzes im Geiste der Liebe
gebrochen haben will. Inwieweit die Theilbarkeit des Grundeigentums und, die
Gewerbefreiheit in jedem bestimmten Fall dem Volke nützlich sind oder nicht,
darüber werden uuter uns verschiedene Meinungen stattfinden, weil eine so con-
crete Frage sich überhaupt nicht mit einer abstracten Allgemeinheit ausmachen läßt.
Gern aber wollen wir Ihnen zugestehen, daß wir uns in allen diesen Fragen nur
.durch den Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit bestimmen lassen, da in dem göttlichen
Gesetz über Majorate, über Erbrecht, über Ansässigmachung nud Gewerbefreiheit
unsres Wissens Nichts zu finden ist.

Drittens. "Die Revolution fordert die Gleichheit, Aufhebung aller Stände,
Klassen und Korporationen, aller gegebenen Obrigkeiten, Nivellirung der Gesell¬
schaft." -- In diesem Sinn will der Liberalismus nicht die Gleichheit der Men¬
schen. Er fordert eben so wenig vom Staat das gleiche Glück für jeden Ein¬
zelnen, wie er von Gott die gleiche Fähigkeit für jeden Einzelnen fordert. Aber
er verlangt für Jeden die Gleichheit des Rechts und die Gleichheit der Ehre:
er will, daß der schlechteste Tagelöhner dasselbe Gefühl der Menschenwürde in sich
tragen soll, wie der stolzeste Pair des Reichs,, und er will, daß die Institutionen
und Gesetze des Staats ihm dieses Gefühl nicht unmöglich machen. Jene goldene
Zeit, wo der Edelmann ungestraft das bürgerliche Mädchen entehren und ihren
Bruder, der Rechenschaft von ihm forderte, fuchteln lassen konnte, jene goldene
Zeit hat der Liberalismus allerdings abgeschafft, und er hat selbst das von Gott
gegebene ärcM as seiFaeuri-rge nicht geachtet. Wenn das die "gliedliche
Stellung" ist, in der Sie Gottes Weltplan wiederfinden, so nehmen wir aller¬
dings Ihre Vorwürfe an. Aber Sie sollten nicht so hart über ein Princip
urtheilen, dem Sie selber Ihre Geltung verdanken. Sie stehen geehrt und an¬
gesehen in der Mitte der ersten Versammlung des Reichs, ein Führer Ihrer stolzen
Partei, Sie, der Bürgerliche, der Gelehrte, der Abkömmling eines verachteten
Stammes! Ueberlegen Sie sich, was Ihre Stellung sein würde, wenn die
Revolution nicht jenen gliedlichen Organismus, den Sie Gottes Weltplan zu
nennen wagen, aufgehoben hätte! -- Daß übrigens der Liberalismus die Auf¬
hebung aller Korporationen fordert, der Eisenbahngesellschaften, der Banken n.
s. w., IMn wir zum ersten Male; und daß er die Aufhebung der gemeinschäd-


Schaffung der'Todesstrafe, Straflosigkeit der Gotteslästerung , ehrenvolles Be-
gräbniß des Selbstmörders." — Wie das Alles unter sich zusammenhängt, ver¬
stehe ich nicht recht, noch weniger, wie Sie später alle diese Punkte als Gegensatz
gegen das Christenthum aufstellen können. Denn mit den civilrechtlichen Be-
stimmungen, die Sie zuerst anführen, hat sich das Christenthum überhaupt nie
zu thun gemacht, und was jene Auffassung des Strafrechts betrifft, daß es nur
ausgeübt werde, um den biblischen Spruch: Auge um Auge, Zahn um Zahn,
zu erfüllen, so scheint mir diese äußerliche Auffassung des Gesetzes mehr jüdisch
als christlich, da das Christenthum die Strenge des Gesetzes im Geiste der Liebe
gebrochen haben will. Inwieweit die Theilbarkeit des Grundeigentums und, die
Gewerbefreiheit in jedem bestimmten Fall dem Volke nützlich sind oder nicht,
darüber werden uuter uns verschiedene Meinungen stattfinden, weil eine so con-
crete Frage sich überhaupt nicht mit einer abstracten Allgemeinheit ausmachen läßt.
Gern aber wollen wir Ihnen zugestehen, daß wir uns in allen diesen Fragen nur
.durch den Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit bestimmen lassen, da in dem göttlichen
Gesetz über Majorate, über Erbrecht, über Ansässigmachung nud Gewerbefreiheit
unsres Wissens Nichts zu finden ist.

Drittens. „Die Revolution fordert die Gleichheit, Aufhebung aller Stände,
Klassen und Korporationen, aller gegebenen Obrigkeiten, Nivellirung der Gesell¬
schaft." — In diesem Sinn will der Liberalismus nicht die Gleichheit der Men¬
schen. Er fordert eben so wenig vom Staat das gleiche Glück für jeden Ein¬
zelnen, wie er von Gott die gleiche Fähigkeit für jeden Einzelnen fordert. Aber
er verlangt für Jeden die Gleichheit des Rechts und die Gleichheit der Ehre:
er will, daß der schlechteste Tagelöhner dasselbe Gefühl der Menschenwürde in sich
tragen soll, wie der stolzeste Pair des Reichs,, und er will, daß die Institutionen
und Gesetze des Staats ihm dieses Gefühl nicht unmöglich machen. Jene goldene
Zeit, wo der Edelmann ungestraft das bürgerliche Mädchen entehren und ihren
Bruder, der Rechenschaft von ihm forderte, fuchteln lassen konnte, jene goldene
Zeit hat der Liberalismus allerdings abgeschafft, und er hat selbst das von Gott
gegebene ärcM as seiFaeuri-rge nicht geachtet. Wenn das die „gliedliche
Stellung" ist, in der Sie Gottes Weltplan wiederfinden, so nehmen wir aller¬
dings Ihre Vorwürfe an. Aber Sie sollten nicht so hart über ein Princip
urtheilen, dem Sie selber Ihre Geltung verdanken. Sie stehen geehrt und an¬
gesehen in der Mitte der ersten Versammlung des Reichs, ein Führer Ihrer stolzen
Partei, Sie, der Bürgerliche, der Gelehrte, der Abkömmling eines verachteten
Stammes! Ueberlegen Sie sich, was Ihre Stellung sein würde, wenn die
Revolution nicht jenen gliedlichen Organismus, den Sie Gottes Weltplan zu
nennen wagen, aufgehoben hätte! — Daß übrigens der Liberalismus die Auf¬
hebung aller Korporationen fordert, der Eisenbahngesellschaften, der Banken n.
s. w., IMn wir zum ersten Male; und daß er die Aufhebung der gemeinschäd-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/135>, abgerufen am 24.07.2024.